BRAK-Magazin 4/2020
13 BRAK MAGAZIN 04/2020 Ich schätze mich glücklich, in einem funktionieren- den Rechtsstaat zu leben. Unsere Judikative ist unabhängig und frei und wacht nicht nur über die Einhaltung der Gesetze durch uns, sondern auch über den Gesetzgeber selbst. Corona hat einmal mehr gezeigt, dass wir darauf vertrauen dürfen, dass auch die föderalistische Krisengesetzgebung einer Kontrolle zugänglich ist. Durch die Pflege der Rechtsprechungsübersicht auf der Seite www. brak.de/corona, die inzwischen über 750 Entschei- dungen umfasst, habe ich mich beinahe täglich mit den neuesten Verfahren beschäftigt. Dass zahlreiche Landesverordnungen aufgrund der mit ihnen verbundenen Einschnitte in die persönliche Freiheit vor Gericht landen, war erwartbar. Es fan- den sich aber auch einige Kuriositäten und regel- rechte Trendwellen bei den Rechtsanliegen. So dominierten im März Verfahren wegen Geschäftsschließungen und Ausgangsbeschrän- kungen. Im April zeigte sich ein Trend hin zu Ver- fahren betreffend Versammlungen, sei es zu De- monstrationszwecken oder in Kirchen. Es drehte sich also zunächst alles um elementare Grundbe- dürfnisse. Einzige Ausnahme: Schleswig-Holstein: Hier waren Zweitwohnungen Thema Nr. 1 (allein beim VG Schleswig zwölf Entscheidungen in der Zeit vom 21.-23.3.). Ein Schelm, wer dabei denkt, dass Homeoffice in der Ferienwohnung mit Meer- blick natürlich angenehmer ist. Das Phänomen beschränkte sich übrigens nicht auf die Nordsee, sondern betraf natürlich auch die Ostsee (OVG MV gleich fünffach am 9.4.2020). Im Rest Deutschlands ging es derweil – und bis heute – eher um die Frage, ob die Masken- pflicht rechtens ist, sei es ganz generell oder in der Schule, beim Arzt, in Gaststätten oder in Bus und Bahn. Allein unsere – sicher nicht annähernd vollständige – Übersicht auf www.brak.de/coro- na listet (natürlich mit Entscheidungsdatum und Aktenzeichen) beinahe 40 Entscheidungen rund um die Maskenpflicht quer durch die Bundeslän- der auf (z.B. BVerfG, VGH Baden-Württemberg, VGH Bayern, OVG Bremen, OVG Niedersachsen, OVG Nordrhein-Westfalen, OVG Saarland, OVG Sachsen-Anhalt, OVG Schleswig-Holstein, OVG Thüringen). Die Maskenpflicht beschäftigte auch die Sozi- algerichte, nämlich hinsichtlich der Frage, ob die- se zu einem sozialrechtlichen Mehrbedarf führt (LSG Nordrhein-Westfalen). Bei den anfänglichen Preisen für Masken scheint das nicht wirklich ver- wunderlich. Kurioser war schon das Anliegen, Mehrbedarf für Hamsterkäufe durchzusetzen (LSG Hessen). Nach den ersten Lockerungen drehten sich zahlreiche Verfahren vor allem um die Verkaufs- flächenbeschränkungen auf 800 qm. Auch dieses Thema zog sich durch die verschiedenen Bundes- länder. Neben den Grundbedürfnissen, die insbeson- dere auf der persönlichen Freiheit basieren, ging es den Rechtsuchenden im Mai und Juni dann zunehmend um Anliegen aus dem Freizeit- bzw. Unterhaltungsbereich. So hatten sich das VG Bre- men und das VG Düsseldorf mit Verkaufsverboten für Alkohol zu befassen. Auch die Schließung von Shisha-Bars brannte offenbar unter den Nägeln und beschäftigte die OVG in Bremen, Niedersach- sen und dem Saarland sowie die VG in Hamburg und Aachen. Überraschend viele Verfahren wur- den bezüglich der Öffnung von Bordellen geführt (OVG Saarland, VG Hamburg, VGH Hessen, OVG Nordrhein-Westfalen, mehrfach OVG Niedersach- sen, OVG Sachsen, VGH Baden-Württemberg, VG Berlin). Auch wenn es um Bootsfahrten oder den Zugang zur eigenen Yacht geht, versteht der Deut- sche keinen Spaß (VG Schleswig, VGH Bayern, VG München, VG Gelsenkirchen, und OVG Schleswig- Holstein). Mein persönlicher Favorit aus dem Kuriositä- tenkabinett ist aber ein Verfahren vor dem VG Minden. Verfahrensgegenstand war eine Mini- Kirmes auf dem Privatgrundstück für Freunde und Familie. Darauf ein Corona! BIER, BOOTE UND BORDELLE Ein Blick in deutsche Gerichtssäle in Zeiten der Pandemie Rechtsanwältin Stephanie Beyrich, BRAK, Berlin Bild: IM_VISUALS/shutterstock.com
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