BRAK-Magazin 4/2020
3 BRAK MAGAZIN 04/2020 EDITORIAL Die „Formulierungshilfe“ des Bundesministeriums der Finanzen vom 6.6.2020 für einen aus der Mitte des Deutschen Bundestags einzubringenden Ge- setzentwurf zum zweiten Corona-Steuerhilfegesetz enthielt eine Vielzahl von vom Kabinett bereits beschlossenen Änderungen, vor allem steuerliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Folgen und Stärkung der Konjunktur. Ohne jegliche Voran- kündigung waren auch Änderungen im Steuerstraf- recht enthalten, die beim besten Willen in keinem sachlichen Zusammenhang mit Corona standen und weder Gegenstand von Anhörungen noch öf- fentlicher Erörterung waren. Das Gesetz wurde – trotz der angemeldeten Bedenken – im Eiltempo durchgewunken. Es ist inakzeptabel, tatsächlich eil- bedürftige Maßnahmen mit völlig anderen, die da- mit in keinem Zusammenhang stehen, ohne die üb- lichen Konsultationen einfach „durchzupeitschen“! Hintergrund für die Verlängerung der Verjäh- rungsfrist und die Verschärfungen bei der Einzie- hung ist eben nicht Corona, sondern ausschließlich die massiven Schwierigkeiten der Staatsanwalt- schaften und Gerichte bei der Bewältigung der Cum-Ex-Verfahren. Offensichtlich sind die Staats- anwaltschaften Köln und Frankfurt mit der jetzigen Personalausstattung nicht in der Lage, die Ermitt- lungsverfahren gegen rund 1.000 Beschuldigte zu bewältigen, bei denen der Verdacht der Beteiligung an Cum-Ex-Geschäften besteht. Dabei muss man wissen, dass schon bisher in Fällen schwerer Steuerhinterziehung Verfolgungs- verjährung erst nach bis zu 25 Jahren eintrat. Die Verfolgungsverjährung wurde im Jahr 2008 von fünf auf zehn Jahre verlängert und kann durch be- stimmte Maßnahmen unterbrochen werden, d.h. sie beginnt erneut zu laufen. Somit tritt nach § 78c III StGB grundsätzlich dann Verfolgungsverjährung ein, wenn das Doppelte der gesetzlichen Verjäh- rung erreicht ist. Dieser Zeitraum kann sich noch einmal um fünf Jahre verlängern, wenn vor Ablauf dieser 20 Jahre Anklage vor dem Landgericht erho- ben und zugelassen wurde (§ 78b IV StGB). Nach der Neuregelung beträgt die Verfolgungs- verjährung für Steuerhinterziehung jetzt bis zu 30 Jahre. Sie gilt für alle zum Zeitpunkt des Inkrafttre- tens des Änderungsgesetzes noch nicht verjährten Fälle. Dabei liegt nach der Rechtsprechung des BFH eine schwere Steuerhinterziehung bereits bei einem Hinterziehungsbetrag von 50.000 Euro je Tat vor. Eine Steuerhinterziehung mit einem Schaden von 50.000 Euro hat nun also eine längere Verjährungs- frist als viele schwere andere Delikte. Die meisten Cum-Ex-Fälle dürften aber bereits verjährt sein, so dass die Verschärfung ihren Sinn nicht erfüllt. Noch bitterer sind die Neuregelungen zur Ein- ziehung verjährter Steuerforderungen. Diese soll- te vor allem für die Cum-Ex-Verfahren ermöglicht werden. Im Ergebnis wird aber genau das Gegen- teil eintreten, weil klargestellt wurde, dass bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes verjährte Forderungen nicht mehr eingezogen werden kön- nen – und bei Cum-Ex dürfte dies in den meisten Fällen so sein. Steuerhinterziehung sollte keineswegs baga- tellisiert werden. Eine Regelung, die alle systema- tischen Regelungen zur Verjährung außer Acht lässt, ist aber zumindest für die meisten Fälle völlig überzogen. Weshalb soll bei einer Steuerhinterzie- hung von 50.000 Euro eine besondere Verfolgungs- bedürftigkeit bestehen, die eine Verlängerung der Verjährung zu Lasten des Rechtsfriedens erfordert? Letztlich ist nicht nachvollziehbar, weshalb die Cum-Ex-Fälle nicht längst aufgeklärt und angeklagt wurden und stattdessen eine gesetzliche Regelung durchgepeitscht wurde, die nicht den gewünschten Erfolg bringen wird. Eine Regelung, mit der der Gesetzgeber weit über das Ziel hinausschießt, hopplahopp unter der falschen Flagge des Corona-Steuerhilfegesetzes zu verabschieden, entspricht nicht demokratischen Gepflogenheiten und kann im besten Fall mit Kopf- schütteln quittiert werden. SO NICHT! Verlängerte Verjährung bei Steuer hinterziehung unter der Flagge des Corona-Steuerhilfegesetzes Rechtsanwältin und Fachanwältin für Strafrecht Ulrike Paul, Sindelfingen, Präsidentin der RAK Stuttgart und Vizepräsidentin der BRAK IMPRESSUM Bundesrechtsanwaltskammer – Körperschaft des öffentlichen Rechts, Littenstraße 9, 10179 Berlin Redaktion: Rechtsanwältin Dr. Tanja Nitschke, Mag. rer. publ. (verantwortlich) Verlag: Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln (ausführliches Impressum unter www.brak.de/zeitschriften )
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