IMPRESSUM Bundesrechtsanwaltskammer – Körperschaft des öffentlichen Rechts, Littenstraße 9, 10179 Berlin Redaktion: Rechtsanwältin Dr. Tanja Nitschke, Mag. rer. publ. (verantwortlich) Verlag: Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln (ausführliches Impressum unter www.brak.de/zeitschriften) EDITORIAL BEDENKLICHE SCHRUMPFUNGEN Weniger Jura-Absolvent:innen und weniger (niedergelassene) Anwält:innen reißen absehbar eine Lücke. Für den Zugang zum Recht wird das zum Problem. Rechtsanwältin Dr. Tanja Nitschke, Mag. rer. publ., BRAK, Berlin Auf den ersten Blick sieht sie ganz gut aus, die aktuelle Mitgliederstatistik der BRAK: Im Vergleich zum Vorjahr verzeichneten die Rechtsanwaltskammern knapp 2 % mehr Mitglieder. Doch dahinter offenbart sich eine höchst bedenkliche Entwicklung für die klassische anwaltliche Versorgung und den Zugang zum Recht. Zuerst sollte man sich klarmachen, dass die jetzige Entwicklung sich vor dem Hintergrund einer schrumpfenden Zahl potenzieller neuer Anwältinnen und Anwälte abspielt. Die Zahl an erfolgreichen Absolventinnen und Absolventen beider juristischer Examina ist in den vergangenen Jahren gesunken. Auch die Erstsemester-Zahlen in Jura gehen zurück. Aktuelle Untersuchungen lassen erkennen, dass das nicht an mangelndem Interesse an juristischen Studienfächern an sich liegt. Alternative juristische Abschlüsse werden immer beliebter, etwa Informationsrecht oder Wirtschaftsrecht. Diese praxisorientierteren Abschlüsse an Hochschulen für angewandte Wissenschaft haben sich bei den Unternehmen etabliert, es braucht eben für vieles juristisches Know-How, aber keine zwei (Staats-)Examina. Und zum anderen wirken die unbestreitbaren Schwächen der volljuristischen Ausbildung abschreckend – nicht umsonst würde laut einer aktuellen Befragung nur ein Drittel der Absolventen das Jurastudium weiterempfehlen. Die Justizministerkonferenz sieht gleichwohl – und völlig unverständlich für viele – keinen grundlegenden Reformbedarf. Das „Hamburger Protokoll“ will dem etwas entgegensetzen; darüber berichtet Kristina Trierweiler in diesem Heft. Dass für alle volljuristischen Berufe immer weniger Nachwuchs kommen wird, ist also absehbar. Ebenso absehbar gehen viele Berufsträger der„Boomer-Jahrgänge“ in Anwaltschaft und Justiz in den nächsten Jahren in Rente. Damit ist eine Lücke vorprogrammiert. Doch die (immer weniger) Jurist:innen mit zwei Examina wollen nicht automatisch Anwältin oder Anwalt werden. Im Konkurrenzkampf um den juristischen Nachwuchs muss sich der Anwaltsberuf also als attraktive Option behaupten. Der Mitgliederzuwachs der Rechtsanwaltskammern (dazu im Detail Jennifer Witte, BRAK-Mitt. 2024, 122) darf darüber nicht hinwegtäuschen. Denn ein genauerer Blick zeigt: Den größten Anteil daran haben die seit dem 1.8.2022 zulassungspflichtigen Berufsausübungsgesellschaften und ihre nicht-anwaltlichen Organmitglieder. Um letztere dürfte sich die Statistik ohnehin wieder bereinigen, weil der Gesetzgeber doppelte Kammermitgliedschaften nicht- anwaltlicher Organmitglieder nunmehr unterbinden will. Die Zahl der Rechtanwältinnen und Rechtsanwälte stieg zwar insgesamt geringfügig (+0,36 %). Doch dieser Anstieg verteilt sich lediglich auf neun Kammern (die übrigen verzeichnen Rückgänge) und liegt vor allem am deutlichen Zuwachs an Syndikus- und Doppelzulassungen. Diese sind besonders bei Frauen beliebt (knapp 60 % der reinen Syndizi sind weiblich), deren Anteil an der Anwaltschaft ebenfalls weiter auf nun rund 37 % gestiegen ist. Bei der klassischen Anwaltszulassung hingegen setzt sich der Abwärtstrend mit –0,8 % fort. Am stärksten trifft das die ostdeutschen Kammern. Ist dies noch ein Verlagerungseffekt nach Einführung der Syndikuszulassung oder manifestieren sich hier der Trend zum gesicherten Anstellungsverhältnis und schwindendes Interesse am klassischen Anwaltsberuf? Das bliebe näher zu untersuchen. Klar ist, dass sich die skizzierten Entwicklungen auf den Rechtsstaat auswirken werden. Wo weniger Anwält:innen sind, ist auch weniger Zugang zum Recht und erleben weniger Menschen unseren Rechtsstaat ganz greifbar. Dem gegenzusteuern und mehr junge Menschen nicht nur für den Anwaltsberuf, sondern auch für eigene unternehmerische Verantwortung in einer Kanzlei zu interessieren, geht uns alle an. Foto: Oliver Hurst
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