BRAK MAGAZIN 4/2024 13 RECHTSSTAATLICHKEIT? STABIL! Deutschland im Rule of Law Index 2024 Rechtsanwältin Dr. Tanja Nitschke, Mag. rer. publ., BRAK, Berlin Sieben Jahre in Folge hat die Rechtsstaatlichkeit weltweit abgenommen. Das ist der ernüchternde Befund des Ende Oktober veröffentlichten Rule of Law Index 2024. Danach betrifft der Negativtrend mehr als die Hälfte der Staaten. Immerhin hat er sich aber im Vergleich zu den Vorjahren etwas abgeschwächt. Das liegt u.a. daran, dass in fast 60 % der Staaten die Korruption besser in Schach gehalten wird. Doch seit 2016 lassen sich in immer mehr Staaten autoritäre Trends beobachten, in über 80 % wurden Grundrechte schlechter geschützt und in 77 % rechtsstaatliche Kontrollmechanismen – Gerichte, Zivilgesellschaft und Medien – geschwächt. Schlusslichter sind hier Myanmar, Haiti, Afghanistan, Kambodscha und Venezuela. Am stärksten verbesserten sich Brasilien und Polen; sie arbeiten nach Regierungswechseln aktiv daran, wieder rechtsstaatlicher zu werden. DIE IDEE HINTER DEM INDEX Erstellt wird der Rule of Law Index jährlich durch das World Justice Project, eine unabhängige, gemeinnützige Organisation, die 2006 auf Initiative der American Bar Association gegründet wurde. Sie will u.a. durch Forschung und Publikationen das öffentliche Bewusstsein für die grundlegende Bedeutung von Rechtsstaatlichkeit fördern. Der Index gibt Aufschluss über den Stand der Rechtsstaatlichkeit in 142 Staaten. Er basiert auf der Befragung von rund 214.000 Haushalten sowie 3.500 juristischen Praktikern und Experten. Mit den Daten des Index arbeiten weltweit politische Entscheider, zivilgesellschaftliche Organisationen, Forschende, aber auch Anwaltschaft und Justiz, um rechtsstaatliche Verbesserungen in ihren Staaten anzustoßen. WAS DER INDEX UNTERSUCHT Der Index ist als breit angelegtes Diagnosetool gedacht. Mit einer strengen Methodologie werden Lücken und Schwächen verschiedener Aspekte des Rechtsstaats sichtbar – und damit auch adressierbar. Untersucht werden acht Hauptaspekte: Regierungsmacht und Gewaltenteilung; Korruption; Zugang von Bürgerinnen und Bürgern zu Regierung, Verwaltung und Justiz; Grundrechte; Sicherheit und Ordnung; Effektivität der Rechtsdurchsetzung sowie Zivil- und Strafjustiz. Anhand von 44 Indikatoren werden diese weiter ausdifferenziert und deren Bewertungen sodann gerankt. Die Rankings bieten eine Einordnung im welt- und europaweiten bzw. einkommensmäßigen Vergleich. Eine höhere Platzierung bedeutet daher nicht per se eine Verbesserung gegenüber dem Vorjahr. Für die einzelnen Aspekte kann man jedoch auch detaillierte Bewertungen abrufen und nachvollziehen, wie sich hier einzelne Staaten im Laufe der Jahre entwickelt haben. DEUTSCHLAND STABIL? Global gesehen gehört Deutschland seit Jahren zu den Spitzenreitern im Rule of Law Index. Regelmäßig belegt es den fünften oder sechsten Platz. Auch im 2024er Index ist Deutschland welt- und europaweit auf Platz 5, hinter Dauer-Sieger Dänemark sowie Norwegen, Finnland und Schweden. Allerdings erzielte Deutschland einen um knapp 1 % geringeren Gesamtindex als im Vorjahr. Stabil zeigt es sich z.B. bei der Regierungsmacht oder dem Grundrechtsschutz. Im Bereich Korruptionsbekämpfung und in der Strafjustiz verbesserte es sich sogar leicht, verlor aber bei der Einschränkung staatlicher Befugnisse. Im Bereich Ziviljustiz fiel Deutschland von Platz 4 im Vorjahr auf Platz 5 und verschlechterte sich in den vergangenen Jahren kontinuierlich; es erzielt aber einen Spitzenwert bei der Unabhängigkeit der Zivilgerichte. Im Strafrecht ist Platz 5 hingegen ein Aufstieg um einen Platz. Ob es aber auch beim Teilaspekt schnelle und effektive Strafverfolgung bei einem so guten Wert bleibt, darf bezweifelt werden. Denn der bereits jetzt herrschende Personalmangel in Gerichten und Staatsanwaltschaften wird sich durch demographische Faktoren in den nächsten Jahren verstärken. Ausruhen sollte man sich auf der guten Platzierung also nicht.
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