BRAK MAGAZIN 4/2024 19 DIE SITUATION VON ANWALTSCHAFT UND JUSTIZ IN RUSSLAND Rechtsanwältin Dr. Veronika Denninger, LL.M., BRAK, Berlin Direkte Kontakte zur russischen Anwaltschaft und insbesondere zur Föderalen Russischen Rechtsanwaltskammer pflegt die BRAK seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine nicht mehr. Um sich dennoch über die Situation der Anwaltschaft und der Justiz in Russland zu informieren, besuchte die Autorin die Jahrestagung der Deutsch-Russischen Juristenvereinigung e.V., die am 13.6.2024 in Frankfurt am Main stattfand. An der Tagung nahmen etwa 60 deutsche Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sowie deutsche und russische Rechtswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler teil. Thema waren rechtliche Veränderungen in Russland und in den Beziehungen zu Russland und die daraus resultierenden völkerrechtlichen Konsequenzen. REPRESSIONEN GEGEN OPPOSITIONELLE UND ANWALTSCHAFT Die Tagung begann mit einem Video-Grußwort des deutschen Botschafters in Russland, Alexander Graf Lambsdorff. Er sprach über die Repressionen des russischen Staates, die mit großer Wucht über die russische Gesellschaft hereingebrochen seien. Russland führe nicht nur einen Krieg gegen die Ukraine, sondern auch einen nicht minder brutalen Krieg gegen die eigene Bevölkerung. Unerwünschte Meinungsäußerungen würden mit drakonischen Strafen wie jahrelanger Lagerhaft geahndet. Strafprozesse gegen Oppositionelle fänden hinter verschlossenen Türen statt; ihr Ausgang stehe von vornherein fest. Die Botschaft entsende Mitarbeitende zur Prozessbeobachtung, die jedoch häufig des Saales verwiesen würden. Dennoch mache die Botschaft weiter, weil es für die Angeklagten sehr wichtig sei, dass es Menschen und Institutionen gibt, die an ihrem Schicksal Anteil nehmen. Die Anwältinnen und Anwälte könnten Ablauf und Ausgang der Verfahren selten beeinflussen. Aber sie verteidigten – unter Einsatz ihrer eigenen Sicherheit – weiter, um vor allem das Unrecht für eine eventuelle zukünftige Aufarbeitung zu dokumentieren und das Leid ihrer Mandantinnen und Mandanten ein wenig zu lindern. Die Zivilgesellschaft sei Repressalien ausgesetzt und könne sich nicht mehr selbstständig regen. Die Botschaft tue alles, um den Kontakt zu ihr nicht zu verlieren. Man dürfe Russland nicht aufgeben, betonte der Botschafter. Für die Zukunft sehe er, dass es kein isoliertes deutsch-russisches Verhältnis mehr geben könne, sondern ein Verhältnis, das eingebettet sei in ein friedliches Miteinander Russlands mit Partnern Deutschlands. GEWALTAKZEPTANZ IN DER RUSSISCHEN GESELLSCHAFT In der anschließenden Keynote sprach Dr. Gesine Dornblüth (Russlandkorrespondentin des Deutschlandradio 2012 bis 2017) über die Akzeptanz von Gewalt in der russischen Gesellschaft. Zum Beispiel wurde häusliche Gewalt in Russland vor Kurzem von einer Straftat zu einer Ordnungswidrigkeit herabgestuft. Immer wieder sorgten aufsehenerregende Fälle häuslicher Gewalt für Schlagzeilen in den russischen Medien und erschütterten die Gesellschaft. Die Herabstufung stelle eine Rückkehr zum sowjetischen Strafrecht dar. Dornblüth verwies auch auf haarsträubende Fälle von Gewalt in der Armee und in Gefängnissen, für die Russland bekannt sei. MODIFIKATIONEN IM STRAFRECHT FÜR DEN KRIEG Besonders hervorzuheben ist der Vortrag des russischen Strafrechtswissenschaftlers Dr. Gleb Bogush (Institut für Friedenssicherungsrecht, Universität zu Köln). Er sprach über die Entwicklungen im russischen Strafrecht seit dem Angriff Russlands gegen die Ukraine. Neue Straftatbestände, wie z.B. die Verunglimpfung der russischen Streitkräfte, seien eigens dazu eingeführt worden, um jegliche Meinungsäußerungen gegen den Krieg mit hohen Strafen zu belegen. Auf der anderen Seite hat der russische Gesetzgeber die Strafbarkeit für viele „reguläre“ Straftaten herabgesenkt. Bogush sprach auch über den der BRAK bekannten Fall des ehemaligen Präsidenten der Rechtsanwaltskammer von Udmurtien, Dmitri Talantov. Dieser sitzt seit nun eineinhalb Jahren wegen seines Facebook-Posts gegen den Krieg in Untersuchungshaft. Ihm droht eine Strafe von zehn Jahren Lagerhaft. Jüngsten Berichten zufolge hat die Staatsanwaltschaft nun eine zwölfjährige Haftstrafe beantragt.
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