IMPRESSUM Bundesrechtsanwaltskammer – Körperschaft des öffentlichen Rechts, Littenstraße 9, 10179 Berlin Redaktion: Rechtsanwältin Dr. Tanja Nitschke, Mag. rer. publ. (verantwortlich) Verlag: Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln (ausführliches Impressum unter www.brak.de/zeitschriften) EDITORIAL NUR, WEIL SIE IHREN JOB MACHEN Rechtsanwältin Dr. Tanja Nitschke, Mag. rer. publ., BRAK, Berlin Ein krasser Einzelfall – das hätte man in Deutschland vor ein paar Jahren noch meinen können, als die Frankfurter Anwältin Seda Basay-Yildiz wegen ihrer Tätigkeit im NSU-Komplex aus der rechten Szene mehrfach mit dem Tode bedroht wurde. Doch das ist es längst nicht mehr. Nach dem Attentat von Solingen berichtete die BILD hetzerisch über die Dresdener Kollegin, die den späteren Attentäter ein Jahr zuvor in seinem Asylverfahren vertreten hatte. In der Folge wurde sie massiv bedroht und Rechtsextreme demonstrierten mit Grabsteinen vor ihrer Kanzlei. Außerdem ergoss sich ein Schwall von Hass (vor allem) über Anwältinnen und Anwälte, die im Migrationsrecht tätig sind. Doch neben ihnen berichten etwa auch Strafverteidiger, Sozialrechtlerinnen oder Familienrechtler davon, von ihren Mandanten, Prozessgegnern oder Dritten beschimpft oder bedroht zu werden. Wer sich durch soziale Medien oder durch die Kommentare unter dem kürzlich erschienenen Focus- Interview eines Migrationsrechtlers liest, bekommt einen plastischen Eindruck von der Verachtung unseres gesamten Berufsstands und davon, wie wenig der Rechtsstaat verstanden wird. Diese Ablehnung und Abwertung von Anwältinnen und Anwälten bei der Ausübung ihres Berufs sind kein rein deutsches Phänomen. Auch in anderen europäischen Ländern nehmen sie zu. Der Rat der Europäischen Anwaltschaften (CCBE) will diese Situation fassbarer machen. Ausgehend von einer Untersuchung der niederländischen Anwaltskammer (NOVA) aus dem Jahr 2022 haben zahlreiche Mitgliedsorganisationen des CCBE im Sommer 2024 parallele Umfragen in ihren Ländern durchgeführt. Gefragt wurde, inwiefern Anwältinnen und Anwälte Belästigungen, Bedrohungen und Angriffe durch Mandanten oder Dritte erleben, welche beruflichen und privaten Auswirkungen das hat und wie sie damit umgehen. Inzwischen liegen die Daten aus insgesamt 16 teilnehmenden Staaten vor. Ihre Aussagekraft ist nicht unbedingt vergleichbar und die Teilnahmequoten sowie die Querschnitte der Teilnehmenden unterscheiden sich zum Teil. Beispielsweise nahmen in Spanien überproportional viele Kolleginnen und Kollegen teil, die im Bereich Legal Aid tätig sind. Dort ist die Bedrohungssituation besonders groß, was wohl eine Motivation für die rege Teilnahme war. In Deutschland hat die BRAK diese Umfrage durchgeführt und ist noch mit der detaillierten Analyse der Ergebnisse befasst. In den Niederlanden lief in diesem Jahr eine Folge-Umfrage, deren Ergebnisse NOVA-Direktorin Maaike Bomers Anfang November bei der von BRAK und Universität Hannover organisierten Konferenz „Anwaltschaft im Blick der Wissenschaft“ präsentierte. Im Vergleich zur Umfrage zwei Jahre zuvor wurde das Klima rauer: Der Anteil der Kolleginnen und Kollegen, die Bedrohungen, Beleidigungen oder sogar Gewalt erlebten, stieg um 5 % auf ganze 55 %. Für viele war es nicht die erste derartige Erfahrung. Ebenso wie in Deutschland sind Anwältinnen deutlich häufiger betroffen als ihre männlichen Kollegen. Der CCBE arbeitet derzeit an der detaillierten Auswertung der Länder-Umfragen. Im Winter soll ein Übersichtsbericht veröffentlicht werden. Klar ist bereits jetzt: Das Phänomen existiert europaweit und man darf es nicht auf die leichte Schulter nehmen, die Anwaltschaft muss sich insgesamt besser wappnen. In dem Fall in Dresden konnte die Kammer die betroffene Kollegin schnell unterstützen, wie Präsidentin Sabine Fuhrmann im BRAK-Podcast berichtet. Doch übergreifend zeigt sich, dass Anwältinnen und Anwälte häufig die erlebten Bedrohungen und Beleidigungen mit sich selbst ausmachen. Schließlich sind wir gewohnt, andere zu beraten und zu unterstützen – eine neue Rolle also, sich selbst Beratung und Hilfe zu holen. Doch gerade der Dresdener Fall zeigt, wie wichtig es ist, über die eigene Situation zu sprechen, mit Kolleginnen und Kollegen, Mitarbeitenden, der Kammer und wenn nötig auch der Polizei. „Das muss ich aushalten“ ist oft keine sinnvolle Alternative. Foto: Oliver Hurst
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