BRAK-Magazin Ausgabe 1/2025

IMPRESSUM Bundesrechtsanwaltskammer – Körperschaft des öffentlichen Rechts, Littenstraße 9, 10179 Berlin Redaktion: Rechtsanwältin Dr. Tanja Nitschke, Mag. rer. publ. (verantwortlich) Verlag: Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln (ausführliches Impressum unter www.brak.de/zeitschriften) EDITORIAL ZIELSCHEIBEN Rechtsanwältin Dr. Tanja Nitschke, Mag. rer. publ., BRAK, Berlin „Sie verdienen diese Zielscheibe!“ Das kommentierte ein Nutzer unter einen Beitrag auf X, in dem Fotos von französischen Anwältinnen und Anwälten veröffentlicht wurden. Ihre Namen und die Orte ihrer Kanzleien hatte kurz zuvor das rechtsextreme Magazin „Frontières“ publik gemacht: Eine Liste mit insgesamt 60 Kolleginnen und Kollegen erschien Ende Januar in einer Sonderausgabe des Magazins, die sich den „wahren Schuldigen“ der „Migranteninvasion“ widmet: NGOs, Richter, Anwälte und Journalisten. Den Anwältinnen und Anwälte wird vorgeworfen, „Komplizen“ der Personen zu sein, die sich illegal im Land aufhalten. Das Ergebnis lässt sich leicht erraten: Eine Flut von Beleidigungen und Drohungen ergoss sich über die auf der Liste Genannten. Sie seien „Kollaborateur-Abschaum“ hieß es etwa, die „wahren Feinde Frankreichs“, man müsse diese „verdammten Verräter“, die „den Völkermord an ihrem eigenen Volk orchestrieren“, öffentlich bloßstellen. Derartige Diffamierungen in Online-Medien sind hässlich. Gefährlich werden kann es jedoch, wenn wie hier Namen, Arbeitsorte und Fotos zusammen kursieren und zudem mehr oder weniger direkt zu Gewalt aufgefordert wird – so werden die Betroffenen zu Zielscheiben gemacht. Man mag sich lieber nicht ausmalen, was der Nutzer mit der „verdienten Zielscheibe“ konkret meint. Was die Anwältinnen und Anwälte auf der Liste getan haben, um derartige Aggression auszulösen? Ihre Arbeit. Sie vertraten Personen in behördlichen und gerichtlichen Verfahren im Zusammenhang mit Aufenthaltstiteln – also etwas völlig Normales in einem Rechtsstaat. Der geschilderte Fall spielt in Frankreich, die Äußerungen erinnern aber stark an das, was vor allem im Migrationsrecht tätige Anwältinnen und Anwälte in anderen Ländern und auch in Deutschland erleben. Erst im Spätsommer 2024 wurde eine Rechtsanwältin in Dresden zum Ziel massiver Bedrohungen. Auch sie machte lediglich ihren Job: einen Mann in seinem Asylverfahren vertreten. Später tötete dieser Mann in Solingen bei einer Messerattacke mehrere Menschen. Die Anwältin wurde in der BILD quasi als seine Gehilfin dargestellt, in einer Weise, die sie identifizierbar machte. Die rechtsextreme „identitäre Bewegung“ demonstrierte daraufhin vor ihrer Kanzlei. Die Kollegin wird seitdem auf verschiedenen Kanälen massiv beleidigt und bedroht, sie benötigt Polizeischutz. Die beiden geschilderten Fälle mögen für Anwältinnen und Anwälte, die in anderen Rechtsgebieten praktizieren, weit weg klingen. Doch sie sind auch Ausdruck eines insgesamt raueren Klimas, das viele Anwältinnen und Anwälte, auch aus anderen Rechtsgebieten, empfinden. In einer in 18 europäischen Ländern durchgeführten Befragung des Rates der europäischen Anwaltschaften (CCBE) gaben rund 45 % der Teilnehmenden an, dass nach ihrer Wahrnehmung in den letzten fünf Jahren Bedrohungen, Belästigungen und Aggression gegen Anwältinnen und Anwälte zugenommen haben, und zwar quer durch die Rechtsgebiete. In den aktuellen BRAK-Mitteilungen wird die Untersuchung im Detail vorgestellt. Die Untersuchung und die oben geschilderten Fälle zeigen eines: Ein relevanter Teil der Menschen versteht die Rolle nicht, die Anwältinnen und Anwälte, aber auch die Justiz, in einem Rechtsstaat innehaben. Offenkundig muss der Rechtsstaat besser erklärt werden, und auch, dass anwaltliche Beratung eben nicht bedeutet, Komplize des Mandanten zu sein. Und es ist wichtig, dass Kolleginnen und Kollegen, die konkret mit Bedrohungen und Aggression konfrontiert sind, Solidarität und Schutz erfahren. Staat, Anwaltschaft und Zivilgesellschaft sind hier gleichermaßen gefragt, Diffamierungen und Angriffen entgegenzutreten. Denn unser Job – eine unabhängige Beratung und Vertretung – ist nur möglich, wenn Anwältinnen und Anwälte ihre beruflichen Aufgaben ohne Angst vor Repressalien, Einschüchterung oder Belästigung ausüben können. Niemand von uns darf wegen unseres Berufs zur Zielscheibe werden! Foto: Oliver Hurst

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