BRAK-Mitteilungen 4/2020

III. DAS RICHTIGE UNTERNEHMENSKLEID AUS BETRIEBSWIRTSCHAFTLICHER SICHT UND ZUGANG ZUM RECHT Die Reformbestrebungen wollen mit unterschiedlichen Einschränkungen der Rechtsanwaltschaft möglichst vie- le der bestehenden gesellschaftsrechtlichen Zusam- menschlussformen öffnen. Die Frage, welches Unter- nehmenskleid man für sein Unternehmen wählt, ist zwar eine Entscheidung, welche durch die juristisch festgelegten Rechtsformen limitiert, letztlich aber eine betriebswirtschaftliche Entscheidung ist. 50 50 Töpfer , Betriebswirtschaftslehre, 2. Aufl. 2007, 225, 247 f. Es geht aus der Perspektive des „Unternehmens Rechtsanwalt“ um die elementare Grundentscheidung, wie man am Markt auftreten will und in welchem Unternehmens- kleid (Gesellschaftsform) man die Leistung am besten erbringen will und kann. In der Betriebswirtschaftslehre ist dazu eine ganze Reihe von Beurteilungskriterien ent- wickelt worden, wie die Wahl der Unternehmensform zu treffen ist. Ausgehend von dem festgelegten Unter- nehmensziel und dem Ziel der Eigenkapitalgeber wird ein Scoring-Modell anhand folgender Kriterien ent- wickelt: Haftung, Leitungsbefugnis, Gewinn- und Ver- lustbeteiligung, Publizitätspflicht, Eigenkapitalbeschaf- fung, 51 51 In der Terminologie des Anwaltsrechts Fremdkapital, also die gesellschaftliche Be- teiligung Dritter, die weder als Rechtsanwälte zugelassen sein müssen, noch in der Rechtsanwaltskanzlei tätig werden, sondern lediglich eine Kapitalbeteiligung hal- ten. Vgl. Töpfer , Betriebswirtschaftslehre, 215. Fremdkapitalbeschaffung, 52 52 Kreditaufnahme. steuerliche Belas- tung, Fortbestand des Unternehmens (Übertragbar- keit), Kosten der Gründung. 53 53 Töpfer , Betriebswirtschaftslehre, 248. Hierbei handelt es sich um die Beurteilung aus der Per- spektive des „Unternehmens Rechtsanwalt“. Was ist für das einzelne Unternehmen das geeignete Unterneh- menskleid für dessen Markteilnahme? Für die rechtspo- litische Beurteilung jenseits des schlichten Lobbyismus für das „Unternehmen Rechtsanwalt“ 54 54 Aufgrund der völlig unterschiedlichen Ausprägung der Kanzleistruktur in Deutsch- land, von Einzelanwalt hin zur internationalen Großkanzlei, wird es wohl kaum das einheitliche Interesse des „Unternehmens Rechtsanwalt“ geben. ist die betriebs- wirtschaftliche Perspektive sinnvoll, wenn man sie in eine gesamtgesellschaftliche Perspektive überführt. Aus der Frage, welches Unternehmenskleid für das einzelne „Unternehmen Rechtsanwalt“ am besten geeignet ist, wird die Frage, welche Unternehmenskleider man zur Verfügung stellen soll, damit die gesellschaftliche Ziel- vorgabe am besten verwirklicht wird. Die Reformbestrebung des anwaltlichen Gesellschafts- rechts zielt darauf ab, insb. die GmbH & Co. KG auch als Berufsausübungsgesellschaft für Rechtsanwälte zur Verfügung zu stellen. Die Diskussion wird dabei meist rechtstechnisch geführt. Warum eine Haftungsbe- schränkung gesamtgesellschaftlich sinnvoll ist und wie sich die Verbandsstruktur auf die unternehmerischen Entscheidungen auswirkt, bleibt in der Regel unerörtert oder allenfalls kursorisch angesprochen. So klammert z.B. der Mauracher Entwurf zur Reform des Personenge- sellschaftsrechts 55 55 S.o. unter II.2. die Frage der grundsätzlichen Öff- nung der GmbH & Co. KG auch für freiberufliche Be- rufsausübungsgesellschaften vollständig aus und dele- giert diese Frage in das jeweilige Berufsrecht. 56 56 Bericht über die Tätigkeit und den Gesetzentwurf der vom BMJV eingesetzten Ex- pertenkommission für die Modernisierung des Personengesellschaftsrechts, 21. Haftungsbeschränkungen dienen allgemein dazu, die Gesellschafter und Vorstände vor dem unternehmeri- schen Risiko zu schützen. Ohne Haftungsbeschränkung würde das sich realisierende unternehmerische Risiko auf das Privatvermögen der Gesellschafter durchschla- gen. Allerdings führt eine Haftungsbeschränkung nicht zur Eliminierung des Risikos, sondern zu einer Verlage- rung des Risikos (Externalisierung). Diese Externalisie- rung des Haftungsrisikos auf die Gläubiger der Gesell- schaft hat aus der Sicht der Gesellschafter den Vorteil, dass die Geschäftsleitung weniger stark kontrolliert werden muss, also ein geringerer Kontrollaufwand be- trieben werden kann. Weiter lassen sich so die Gesell- schaftsanteile leichter übertragen und besser Fremdka- pital einwerben. 57 57 Allgemein zur ökonomischen Begründung MüKo-BGB/ Wagner , 7. Aufl. 2017, § 826 BGB Rn. 185 und Grigoleit , Gesellschafterhaftung für interne Einflussnahme im Recht der GmbH, 2006, 31 ff.; MüKo-GmbHG/ Fleischer , 3. Aufl. 2018, Einl. Rn. 281. Grundsätzlich erlauben juristische Personen auch eine bessere Risikodiversifizierung. Aller- dings ist dies kein Argument, wenn die Gesellschafter- Geschäftsführer in hohem Umfang ihre eigene Arbeits- kraft in die Gesellschaft investieren, 58 58 MüKo-GmbHG/ Fleischer , Einl. Rn. 282 wie dies regelmä- ßig bei Anwaltskanzleien der Fall ist. Schließlich wird durch die Haftungsbeschränkung der risikoaversen Ein- stellung der Bevölkerung Rechnung getragen und An- reiz geschaffen, unternehmerisch tätig zu werden. 59 59 MüKo-GmbHG/ Fleischer, Einl. Rn. 283; MüKo-BGB/ Wagner , § 826 BGB, Rn 185. Die Haftungsverfassung des Verbands wirkt sowohl nach außen als auch nach innen. Nach außen, weil den externen Gläubigern nur das haftende Gesellschaftsver- mögen zur Verfügung steht, und nach innen, weil an die Stelle der gemeinsamen solidarischen Haftung und Ge- schäftsführung eine hierarchische Unternehmenskon- trolle tritt. Dabei stellt sich gleichzeitig die Frage, an welchen Interessen die Unternehmensleitung sich aus- zurichten hat (Shareholder und/oder Stakeholder) und wie diese bestimmt werden. Bereits dies macht deutlich, dass die einer freiberuf- lichen persönlichen Leistungserbringung adäquate Ge- sellschaftsform eigentlich die BGB-Gesellschaft sein müsste, denn wie sollen hierarchische Unternehmens- führungen mit der anwaltlichen Unabhängigkeit verein- bar sein? Schon alleine wegen Art. 3 I GG muss die ge- sellschaftliche bzw. verfassungsrechtliche Zielvorgabe der Bewertung des Unternehmenskleides für das „Un- ternehmen Rechtsanwalt“ nur der gleiche und gleich- wertige Zugang zum Recht sein. 60 60 Wolf , in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 3. Aufl. 2020, § 2 BRAO Rn. 41. Folglich muss man AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 4/2020 189

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