BRAK-Mitteilungen 4/2020

tion bauende, System brach nun die insb. durch die Rechtsprechung geschaffene Verbandsstruktur ein. Zwar ist nach wie vor Adressat der Entscheidung über die Annahme oder Ablehnung des Mandats nach § 44 BRAO der einzelne Rechtsanwalt. 72 72 Henssler , AnwBl. Online 2018, 564 (566). Jedoch lässt sich dies nicht mehr aufrechterhalten, je größer die Einhei- ten sind und je weniger sich alleine wegen der Größe der Einheiten eine solidarische Haftung aller Gesell- schafter verwirklichen lässt. b) GOVERNANCE-STRUKTUR, SHAREHOLDER VALUE UND DIE AUSWIRKUNG AUF DEN ZUGANG ZUM RECHT Die Idee, dass jeder Rechtsanwalt eigenständig über die Mandatsannahme zu entscheiden hat, ist in einer bestimmten Governance-Struktur nicht verwirklichbar. Je größer das „Unternehmen Rechtsanwalt“ ist, desto stärker sind betriebswirtschaftliche und hierarchische Steuerungsmechanismen notwendig. Der Marktführer unter den Law Firms machte 2012/2013 nach Anga- ben des Branchenblatts JUVE einen Gesamtumsatz in Deutschland von 334 Mio. Euro. Der Umsatz pro Be- rufsträger betrug bei dieser Kanzlei 732.000 Euro, der pro Equity-Partner 3.093.000 Euro. 73 73 JUVE 10/2013, 56 ff. Bereits aus den Summen ist ablesbar, dass die Firmen nur noch durch hierarchische Strukturen steuerbar sind. 74 74 S. auch Kirkland , 35 UMPSLR (2005), 631, 705 ff. So werden selbst nicht mehr alle Partner in die Entscheidungsfin- dungsprozesse einbezogen, sondern diese auf den Ebe- nen der Executive Partners oder der Practice Group Lea- ders getroffen. 75 75 Stoller , Mega-lawyering in Europa, 2000, 103 ff. Dabei bedienen sich die Law Firms zur Steuerung eines Systems der „minimum billable hours “ , deren Erfüllung computergestützt täglich, wöchentlich und jährlich genau überwacht wird. 76 76 Zum Nachweis Stürner/Bormann , NJW 2004, 1481, 1485 und azur v. 29.4.2014 „Kanzleien verlangen im Schnitt 1.657 Billables jährlich“, http://www.azur-online. de/2017/04/stundenvorgaben-kanzleien-verlangen-im-schnitt-1-657-billables-jaehr lich (zuletzt abger. am 7.7.2020). Selbst die Steue- rung der Auswahl der Mandanten nach bestimmten Umsatzchancen und Umsatzentwicklungen soll üblich sein (willingness to pay). 77 77 Hierzu Parker/Ruschena , 9 University of St. Thomas Law Journal, (2011) 619 ff.; Halfmann , Marketingpraxis für Anwälte, 2. Aufl. 2018, 132. Für die Grundidee des An- waltsrechts war die unreflektierte Öffnung der Berufs- ausübungsgesellschaften 78 78 Wolf , in FS BRAK, 2019, 63, 171. so gefährlich, weil damit aus der Frage, ob der einzelne Rechtsanwalt bereit ist, sich auch intrinsisch motivieren zu lassen, eine Frage geworden ist, ob das Organ der Berufsausübungsge- sellschaft sich auch von Gemeinwohlbelangen leiten lassen darf. Unter dem Stichwort Corporate Governance wird die Diskussion der Leitungsinteressen im Gesellschafts- recht seit Längerem geführt. 79 79 Fleischer , in Spindler/Stilz, AktG, 4. Aufl. 2019, § 76 AktG Rn. 40; Schaefer , NZG 2007, 900. Dabei geht es um die Frage, in welchem Umfang der Vorstand nur den Ge- winnmaximierungsinteressen der Gesellschafter ver- pflichtet sein soll (Shareholder-Ansatz) oder darüber hinaus dem Unternehmen an sich (Walther Rathenau), also einem Ausgleich der Interessen von Eigentümern, Gläubigern, Arbeitnehmern, Anwohnern, Gemeinde, Kunden, Staat, verpflichtet ist (Stakeholder-Ansatz). 80 80 MüKo-AktG/ Spindler , 5. Aufl. 2019, § 76 AktG Rn. 71; Busse von Colbe , ZGR 1997, 271, 272; Mülbert , ZGR 1997, 129, 130 ff. Mit anderen Worten: in welchem Umfang das Unter- nehmen einen Interessenausgleich zwischen diesen ge- sellschaftlichen Gruppen herbeizuführen und damit sei- ner sozialen Verantwortung nachzukommen hat. Das Unternehmensinteresse wird nach dem Stakeholder-An- satz interessenpluralistisch verstanden. 81 81 Kort , AG 2012, 605. Die Aktien- gesellschaft strebt danach, die unterschiedlichen Inte- ressen von Eigentümern, Gläubigern, Arbeitnehmern etc. in Einklang zu bringen und richtet ihr Vorstands- handeln danach aus (Stakeholder-Ansatz). 82 82 Fleischer , in Spindler/Stilz, § 76 AktG Rn. 27; MüKo-AktG/ Spindler , § 76 AktG Rn. 64; http://www.joelrose.com/articles/client_selection_improves_profitability. html (zuletzt abger. am 7.7.2020). Im Gegensatz hierzu muss sich das Vorstandshandeln der Aktiengesellschaft nach dem Shareholder-Ansatz primär an den Aktionärsinteressen orientieren. 83 83 Kort , AG 2012, 605 und BeckOGK/ Fleischer , Stand 15.1.2020, § 76 AktG Rn. 29 ff. Das Gesamtinteresse des Unternehmens sei demnach auf eine Gewinnmaximierung gerichtet. Diese Fixierung auf die Gewinnmaximierung rechtfertigt sich, weil hier- durch verhindert werden kann, dass die Aktionäre in rentablere Anlageoptionen abwandern. Ohne diese von den Investoren erwartete Kapitalverzinsung werden sich diese nicht an dem Unternehmen beteiligen. 84 84 BeckOGK/ Fleischer , § 76 AktG Rn. 31. Es kommt daher entgegen Henssler nicht darauf an, wie hoch die Kapitalbeteiligung an einer Anwaltsgesell- schaft ist, 85 85 Henssler , AnwBl. Online 2018, 564, 578. weil jede externe Beteiligung dieses Ent- scheidungskriterium zugrunde legt. 86 86 Zumal bei einer zu geringen Kapitalbeteiligung das Argument fehlgeht, es bedürfe einer solchen zur wirtschaftlichen Fortführung der Berufsausübungsgesellschaft. Mit anderen Wor- ten: Finanzinvestoren verändern mit ihren Kapital- ertragserwartungen bereits die Handlungsparameter des Vorstands einer Kapitalgesellschaft, unabhängig von der Höhe ihres Gesellschafteranteils. Hierin lag auch der Grund, warum der Gesetzgeber den Betrieb eines medizinischen Versorgungszentrums nicht in der Form einer Aktiengesellschaft erlaubt hat. Wörtlich heißt es in der Gesetzesbegründung des GKV-Versor- gungsstrukturgesetzes: „Insbesondere durch den Aus- schluss von Aktiengesellschaften als zulässiger Rechts- form für medizinische Versorgungszentren wird die Un- abhängigkeit ärztlicher Entscheidungen von reinen Ka- pitalinteressen gewährleistet.“ 87 87 BT-Drs. 17/6906, 71. Erwirtschaftet die Rechtsanwalts-AG nicht die vom Ka- pitalmarkt erwartete Rendite, wandern die Investoren ab. Bestimmenden Einflusses auf die Bestellung des Vorstands bedarf es insoweit nicht. Demgegenüber kön- nen die gegen eine Fremdkapitalbeteiligung vorgetra- genen Bedenken nicht mit dem Hinweis entkräftet wer- WOLF/GERKING, REFORM DES ANWALTLICHEN GESELLSCHAFTSRECHTS AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 4/2020 191

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