BRAK-Mitteilungen 4/2020

rufen der Zugang zu dem dem Gemeinwohl verpflichte- ten Gut jeweils organisiert wird. Während der Markt der Gewinnmaximierung verpflichtet ist, ist das Recht, so Kirchhof , die Kultur des Maßes, verlangt Rechtsan- wendung Augenmaß und Abwägungskraft. 105 105 Kirchhof , in Kirchhof, Gemeinwohl und Wettbewerb, 2004, 9. Hierzu auch jüngst die 4. Ad-hoc-Stellungnahme v. 27.5.2020 der Leopoldina zur Corona Pandemie: „Wie diese Krise deutlich zeigt, können in einem Gesundheitssystem, das ein inte- graler Bestandteil der Daseinsvorsorge ist, grundsätzlich nicht die gleichen wirt- schaftlichen Maßstäbe angelegt werden wie in der freien, wettbewerbsorientier- ten Wirtschaft.“, 5. Im Grunde passen die Governance-Strukturen des Kapi- talmarktrechts und die auf den Rechtsstaat bezogene Funktion des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege nicht zusammen. Es wäre sicherlich eine Illusion, man könne nach 26 Jahren das nachholen, was das BayOb- LG 106 106 BayObLGZ 1994, 353. versäumt hat, und mit einer ökonomischen Analy- se der Governance-Strukturen für eine Rejustierung des Rechts der anwaltlichen Berufsausübungsgesellschaft streiten. Für was sich immer noch zu streiten lohnt, ist allerdings, die juristischen Personen in ihrer jeweiligen Satzung auf die Tätigkeit eines Organs der Rechtspfle- ge zu verpflichten: „Die ...-AG ist eine Rechtsanwaltsak- tiengesellschaft, die Rechtsberatung durch zugelassene Rechtsanwälte als Organ der Rechtpflege i.S.v. § 1 BRAO erbringt. Als Organ der Rechtspflege muss die AG durch ihre Rechtsanwälte bei Prozesskostenhilfe (§ 48 BRAO), Pflichtverteidigung (§ 49 BRAO) und Bera- tungshilfe (§ 49a BRAO) sowie an der in der RVO ange- legten Quersubventionierung mitwirken.“ IV. ANWALTLICHE UNABHÄNGIGKEIT UND ADRESSAT DES BERUFSRECHTS Die anwaltliche Unabhängigkeit soll auch die Einhal- tung des anwaltlichen Berufsrechts absichern. Adressat der berufsrechtlichen Verpflichtungen ist nach der BRAO der einzelne Anwalt. Dies wirft aber die Frage auf, wie der einzelne Anwalt, der in eine Governance- Struktur des Verbands eingebunden ist, in seiner Person sicherstellen kann, dass die Berufspflichten eingehalten werden, oder ob nicht zumindest neben dem einzelnen Rechtsanwalt diejenigen, die in einem Verband das in- dustrielle Sagen haben, Adressat der Berufsrechtsver- pflichtung sein müssten. 1. AUSEINANDERFALLEN VON (INDIVIDUAL-)PFLICHT UND VERLETZUNGSHANDLUNG Bisher entfalten die anwaltlichen Berufspflichten – spie- gelbildlich zu den Berufsrechten – nur gegenüber dem einzelnen Rechtsanwalt ihre Geltung. Adressat der be- rufsrechtlichen Sanktionen ist daher auch nicht die Be- rufsausübungsgesellschaft, sondern der einzelne Be- rufsträger. Gegen ihn richten sich die anwaltsgericht- lichen Maßnahmen nach §§ 113 ff. BRAO. So kann z.B. einem Rechtsanwalt nach § 114 I Nr. 4 BRAO bis zu fünf Jahre verboten werden, auf bestimmten Rechts- gebieten tätig zu werden, nicht jedoch der Berufsaus- übungsgesellschaft als Ganzer die Tätigkeit untersagt werden. Im Gegensatz hierzu ist Adressat nicht nur des Rechts der Gewerbefreiheit, sondern auch der gewerberecht- lichen Sanktionen, die juristische Person. 107 107 BeckOK-GewO/ Pielow , 49. Ed. 1.3.2020, § 1 GewO Rn. 186. Keine ge- werbliche Tätigkeit i.S.d. GewO ist die Ausübung eines freien Berufs. 108 108 Obwohl sich sogar Henssler kritisch zur Ausklammerung der freien Berufe aus dem Gewerbebegriff äußert: Henssler , ZHR 1997, 13, 24 f. § 35 GewO soll als zentrale Untersa- gungsvorschrift im Gewerberecht verhindern, „dass der Gewerbetreibende schrankenlosen Gebrauch von der Gewerbefreiheit ohne Rücksicht auf entgegenstehende Belange macht.“ 109 109 BeckOK-GewO/ Brüning , 49. Ed. 1.3.2020, § 35 GewO Vor Rn. 1. Dabei wird zum Schutz der Allge- meinheit vor einem Handeln des Gewerbetreibenden auf die Verbandsverantwortlichkeit geschlossen, unab- hängig von der konkret handelnden Person. Als Sank- tion für die Handlung des Einzelnen wird dem Gesamt- gewerbe eine (zeitweise oder teilweise) Gewerbeunter- sagung ausgesprochen. 110 110 BeckOK-GewO/ Brüning , § 35 GewO Vor Rn. 1 und Rn. 39. Arbeitsteilige Prozesse sind mit erheblichen ökonomi- schen Vorteilen verbunden. Bei Law Firms nennt man dies Leverage. Gleichzeitig erhöhen die arbeitsteiligen Prozesse auch die Gefahren, die von einem Wirtschafts- unternehmen ausgehen können. Die gesteigerte Hand- lungsmacht, die derartige Zusammenschlüsse haben, beinhaltet neben den ökonomischen Vorteilen zugleich auch die Schaffung eines erheblichen Gefährdungspo- tentials. 111 111 BeckOK-OWiG/ Beck , 26. Ed. 1.4.2020, § 130 OWiG Rn. 5. Mitarbeiter von größeren Einheiten verhal- ten sich häufig risikobereiter und weniger regelkon- form. Dies beruht zum einen auf der Hoffnung, in der Masse unterzugehen. Zum andern stehen sie aber auch unter dem Druck der internen Regeln und Zielvorgaben, die in vielen Fällen stärker wirkt als die Verpflichtung gegenüber gesetzlichen Regelungen. 112 112 BeckOK-OWiG/ Beck , § 130 OWiG Rn. 5. Daher muss si- chergestellt werden, dass der übergeordnete Verant- wortliche nicht nur von den Vorteilen der Kollektivie- rung profitiert, sondern auch für mögliche von ihr aus- gehende Nachteile einzustehen hat, so Beck . 113 113 BeckOK-OWiG/ Beck , § 130 OWiG Rn. 5. Aus diesem Grund hat man mit § 130 OWiG i.V.m. § 9 OWiG eine Garantenstellung kraft Organisationszu- ständigkeit der Unternehmensleitung 114 114 Definiert wird das Unternehmen als Organisation von Personen- und Sachmitteln, die unabhängig von ihrem Gegenstand nach Art und Umfang einen in kaufmän- nischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert und auf gewisse Dauer angelegt sind, so Kernberger/ Krumm , OWiG, 5. Aufl. 2018, § 130 Rn. 4. geschaffen, zu- mal der Inhaber eines Betriebs, als eigentlich Verpflich- teter, häufig nicht selbst handelt und der Handelnde (bspw. als Angestellter) ihm jedenfalls nicht in erster Li- nie verpflichtet ist. 115 115 KK-OWiG/ Rogall , 5. Aufl. 2018, § 130 OWiG Rn. 2, 4. Nicht nur wird der einzelne Ver- pflichtete nach § 130 OWiG für das Handeln 116 116 Das Handeln meint die Begehung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten. eines anderen verantwortlich gemacht, welches er durch ent- sprechende Aufsichtsmaßnahmen hätte verhindern AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 4/2020 193

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