BRAK-Mitteilungen 4/2020

Unbeschadet der Frage, welche konkrete Zeitspanne als Verzögerung noch kein Vermögens- nachteil unverzüglich anzusehen ist, was sich nach den Umstän- den des Einzelfalls be- stimmt (s. Feuerich/Wey- land/ Träger , BRAO, 9. Aufl., 2016, § 43a Rn. 90, die eine Frist von maximal drei Wo- chen ab Eingang des Geldes annehmen), kann diese Verzögerung als solche regelmäßig noch keinen Vermö- gensnachteil begründen (vgl. OLG Stuttgart, NJW 1971, 64, 65; a.A. OLG Köln, AnwBl. 1999, 608 f.). Ebenso wenig kann allein der Verstoß gegen die Pflicht zur Führung eines Anderkontos und zur Weiterleitung von Fremdgeldern auf dieses (vgl. § 4 II 2 BORA) einen Nachteil begründen. Maßgeblich ist vielmehr, ob das Vermögen des Mandanten durch die Pflichtverletzung gemindert wird (zum „Verschleifungsverbot“ vgl. BVerfGE 126, 170, 206). Das ist etwa dann der Fall, wenn in der unterlassenen Weiterleitung die Absicht liegt, die eingenommenen Gelder endgültig für sich zu behalten, der Rechtsanwalt die Gelder zwar nicht auf Dauer für sich behalten will, aber ein dem Geldeingang entsprechender Betrag nicht jederzeit für den Berechtig- ten zur Verfügung gehalten wird (BGH, Beschl. v. 29.1.2015 – 1 StR 587/14, NJW 2015, 1190, 1191; Se- nat, Beschl. v. 24.7.2014 – 2 StR 221/14, NStZ 2015, 277), oder die Gefahr eines Vermögensverlustes groß ist, weil die auf dem Geschäftskonto befindlichen Gelder dem (unabwendbaren und unausgleichbaren) Zugriff von Gläubigern offenstehen (vgl. BGH, Beschl. v. 2.4.2008 – 5 StR 354/07, BGHSt 52, 182, 188 f.). Tilgt der Rechtsanwalt durch Verwendung auf dem Ge- schäfts- oder dem Anderkonto eingegangenen Fremd- gelds private Verbindlichkeiten oder erfüllt er vom An- derkonto aus geschäftliche Verbindlichkeiten, die keinen Zusammenhang mit den Zahlungseingängen aufwei- sen, ist mit der Kontokorrentbuchung der Bank des Rechtsanwalts oder dem Abfluss des Zahlungseingangs von dessen Konto abgesehen vom Falle des Vorhanden- seins ausreichender Mittel zum in Aussicht genomme- nen Ausgleich – bei dem Berechtigten bereits ein end- gültiger Vermögensschaden eingetreten. Infolge des kompensationslosen Abflusses, der mit dem Verlust der Fremdgelder einhergeht, liegt ein endgültiger Vermö- gensnachteil vor (vgl. BGH, Beschl. v. 29.1.2015 – 1 StR 587/14, NJW 2015, 1190, 1191). [14] b) Hiervon ausgehend wird ein Vermögensnachteil durch die Urteilsgründe in allen Fällen nicht tragfähig belegt. [15] aa) Die Beweiswürdigung, auf die das LG die aus seiner Sicht einen Vermögensnachteil allein tragende Annahme stützt, den Angeklagten habe der Wille ge- fehlt, die zur Auskehrung stehenden Fremdgelder auch tatsächlich auszuzahlen, erweist sich als lückenhaft. [16] Die Strafkammer hat bei ihrer knappen Begrün- dung für diese Annahme wesentliche Gesichtspunkte außer Acht gelassen, die gegen das Fehlen eines Ersatz- willens sprechen könnten und die infolgedessen in die Würdigung des LG einzubeziehen gewesen wären. So hat das LG festgestellt, Ursache für verspätete Zahlun- gen sei ein auf Überforderung der Angeklagten zurück- zuführendes „Missmanagement“ gewesen. Der hierin liegende Widerspruch zur Annahme eines durchgängig fehlenden Ersatzwillens wird in den Urteilsgründen nicht aufgelöst. Auch ist nicht erkennbar, dass die Straf- kammer den Umstand in den Blick genommen hat, dass trotz des festgestellten überdauernden „Missma- nagements“ im Tatzeitraum von fünf Jahren lediglich 27 Fälle festgestellt worden sind, in denen es nach An- sicht des LG zu i.S.v. § 266 StGB strafrechtlich relevan- ten Unregelmäßigkeiten im Umgang mit Mandanten- geldern gekommen sein soll. [17] Die Strafkammer hätte in diesem Zusammenhang ferner bedenken müssen, dass die Angeklagten, wie in den Urteilsgründen festgestellt, immer wieder privates Geld zur Auszahlung an Mandanten nachschossen und ihre Entnahmen aus den Einkünften der Kanzlei im maßgeblichen Zeitraum immer weiter zurückfuhren. Diese Umstände könnten darauf hindeuten, dass es ih- nen nicht darauf ankam, ihnen nicht zustehende Gelder für private Zwecke zu verwenden, sie im Gegenteil be- strebt waren, ihren Mandanten keine Gelder vorzuent- halten. Trotz der vom LG gegen das Vorhandensein eines Ersatzwillens herangezogenen Beweisanzeichen (Abstreiten von Zahlungseingängen gegenüber Man- danten bzw. Auszahlung fälliger Gelder erst auf nach- haltige Intervention) kann der Senat demzufolge nicht ausschließen, dass die Strafkammer im Rahmen der für jede Tat gesondert vorzunehmenden Gesamtabwägung zumindest in einzelnen Fällen – auch unter Berücksichti- gung ihrer privaten wirtschaftlichen Situation (s. dazu im Folgenden unter bb) – zur Annahme von Zahlungs- willigkeit und -fähigkeit der Angeklagten gelangt wäre. [18] bb) Die Strafkammer hat es – von ihrem Stand- punkt aus folgerichtig – nicht für erforderlich erachtet, nähere Feststellungen zur Fähigkeit der Angeklagten zu treffen, die zurückbehaltenen Beträge jederzeit auszu- gleichen. Dass dies nicht der Fall war, kann der Senat den Urteilsgründen – auch unter Beachtung ihres Ge- samtzusammenhangs – nicht entnehmen. Insoweit wird sich die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkam- mer eingehend mit der finanziellen Situation der Kanz- lei und auch derjenigen der Angeklagten persönlich auseinanderzusetzen haben, sollte sie den grundsätz- lichen Willen zur Auszahlung einbehaltener Fremdgel- der feststellen. [19] cc) Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begeg- net es zudem, dass das LG einen Vermögensnachteil in den Fällen II. 7, 8, 9, 10, 17 und 26 der Urteilsgründe (im Urteil als „juristischer Schaden“ bezeichnet) damit begründet hat, dass den Angeklagten zwar (nicht aus- schließbar) Honoraransprüche in einer die Auszah- lungsbeträge übersteigenden Höhe zugestanden hät- ten, eine schadensausgleichende Kompensation aber nicht in Betracht komme, weil diese Ansprüche nicht ab- gerechnet worden seien. Eines solchen Ausgleichs be- dürfte es nämlich nur dann, wenn schon die pflichtwid- rige Einzahlung auf ein Geschäftskonto, die Verwen- BERUFSRECHTE UND PFLICHTEN BRAK-MITTEILUNGEN 4/2020 BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG 212

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