BRAK-Mitteilungen 4/2020

tung zulässig; die Voraussetzungen des § 5 RDG habe das LG nicht ernsthaft geprüft, sondern nur floskelhaft verneint. Ein weiterer Verfahrensfehler liege im Überge- hen ihres Vortrags zur Vergleichbarkeit von Steuererklä- rungssoftware mit ihrem A-Angebot. Da sie keine uner- laubte Rechtsdienstleistung erbringe, sei die Werbung insoweit auch nicht irreführend. Als pointiert zugespitz- ter Systemvergleich begegne die Werbung ebenfalls kei- nen rechtlichen Bedenken. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 15.5.2020 hat die Bekl. die Berufung im Hinblick auf die Verurtei- lung durch den Tenor zu 1.b) zurückgenommen. Die Bekl. beantragt, im Übrigen das Urteil des LG Köln v. 8.10.2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die Kl. beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie ver- teidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederho- lung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbrin- gens, insbesondere im Hinblick auf die Entscheidung des BGH v. 27.11.2019 – VIII ZR 285/18. II. Die zulässige Berufung ist begründet. Die Kl. hat bezüglich des streitgegenständlichen digita- len Rechtsdokumentengenerators als solchen keinen Unterlassungsanspruch aus §§ 8 I, 8 III Nr. 3, 3 UWG. Die Kl. beruft sich auf den Unlauterkeitstatbestand des § 3a UWG i.V.m. § 3 RDG als einer anerkannten Markt- verhaltensregelung (vgl. BGH, Urt. v. 14.1.2016 – I ZR 107/14 Rn. 12), wobei bereits das Angebot der Rechts- dienstleistung den Unterlassungsanspruch auslösen kann. Ein Verstoß gegen §§ 3, 2 RDG liegt jedoch nicht vor. Die Bekl. erbringt mit dem Angebot des Dokumen- tengenerators keine gem. § 3 RDG erlaubnispflichtige Rechtsdienstleistung i.S.d. § 2 I RDG. Rechtsdienstleistung ist jede Tätigkeit in konkreten fremden Angelegenheiten, sobald sie eine rechtliche Prüfung des Einzelfalles erfordert, § 2 I RDG. Für die Auslegung der Norm sind ihr Wortlaut, Sinn und Zweck, ihre systematische Einordnung und die Gesetzgebungs- geschichte maßgebend. Diese Auslegungskriterien schließen einander nicht aus, sondern ergänzen sich ge- genseitig. Unter ihnen hat keines einen unbedingten Vorrang vor einem anderen, wobei Ausgangspunkt der Auslegung der Wortlaut der Vorschrift ist (s. BGH, Urt. v. 27.11.2019 – VIII ZR 285/18 Rn. 54; BGH, Urt. v. 14.1.2016 – I ZR 107/14 Rn. 43). 1. Der Wortlaut des § 2 I RDG spricht gegen die An- sicht der Kl., der streitgegenständliche Dokumentenge- nerator stelle eine Rechtsdienstleistung der Bekl. dar. Der von der Bekl. unter der Bezeichnung „A“ angebote- ne digitale Rechtsdokumentengenerator erstellt auf der Grundlage eines Frage-Antwort-Systems aus einer Sammlung von Textbausteinen EDV-basiert individuelle Rechtsdokumente. Dieser Vorgang kann nur mit einer – nach der Rechtsprechung des BGH (Urt. v. 27.11.2019 – VIII ZR 285/18) nicht gebotenen – weiten Auslegung der Tatbestandsmerkmale „Tätigkeit in konkreter frem- der Angelegenheit, sobald sie eine rechtliche Prüfung des Einzelfalles erfordert“ als Rechtsdienstleistung an- gesehen werden. Die Software als solche ist nämlich keine „Tätigkeit“ Keine Tätigkeit eines Dienstleisters eines Dienstleisters. Tätig- keit der Bekl. als Adressatin des RDG ist das Entwickeln und Bereitstellen der Soft- ware. Diese Tätigkeit erfolgt jedoch weder in einer „kon- kreten“ fremden Angelegenheit noch bedarf sie einer „rechtlichen Prüfung des Einzelfalles“; die in das Pro- gramm eingeflossene juristische Wertung betrifft viel- mehr eine Vielzahl denkbarer Fälle. Die nachfolgende Inanspruchnahme des Angebots durch die Nutzer – Verbraucher und Unternehmen – ist zwar Tätigkeit in einem konkreten Einzelfall, aber nicht in „fremder“ An- gelegenheit. Um die Tätigkeit der Nutzer in eigener Sa- che als eine Tätigkeit der Bekl. in konkreter fremder An- gelegenheit bewerten zu können, bedarf es einer Zu- rechnungs-Konstruktion, die nur dann in Betracht käme, wenn – wie nicht – Sinn und Zweck des RDG eine solche Zurechnung erforderten. Und selbst dann, wenn die Be- nutzung des Programms in eigener Sache der Anwen- der der Bekl. als Tätigkeit in einer konkreten fremden Angelegenheit zugerechnet werden könnte, erfordert die Tätigkeit jedenfalls keine „rechtliche Prüfung des Einzelfalles“. Das Programm läuft – für den Anwender erkennbar – nach einer festgelegten Routine in einem Frage-Antwort-Schema ab, mit dem ein Sachverhalt in ein vorgegebenes Raster eingefügt wird. Dies stellt un- abhängig von der Anzahl der Fragen, der insoweit vom Programm geleisteten Hilfestellungen und der Indivi- dualität des schließlich erstellten Rechtsdokumentes keine Rechtsprüfung dar. 2. Gegen eine weite Auslegung des Rechtsdienstleis- tungsbegriffs spricht der den Gesetzesmaterialien zu entnehmende Wille des Gesetzgebers. a) Der BGH hat in seiner „wenigermiete.de“ -Entschei- dung v. 27.11.2019 – VIII ZR 185/18, zum Betreiben eines Mietpreisrechners ausgeführt, dass der Begriff der „Rechtsdienstleistung“ in Gestalt der Inkassodienst- leistung nach § 2 II 1 RDG, die ein eingetragener Inkas- sodienstleister gem. § 10 RDG erbringen darf, unter Be- rücksichtigung der Entstehungsgeschichte des RDG und vor allem im Hinblick auf die mit dem Gesetz in An- knüpfung an die Rechtsprechung des BVerfG verfolgte Zielsetzung einer grundlegenden, an den Gesichtspunk- ten der Deregulierung und Liberalisierung ausgerichte- ten, die Entwicklung neuer Berufsbilder erlaubenden Neugestaltung des Rechts der außergerichtlichen Rechtsdienstleistungen nicht in einem zu engen Sinne zu verstehen ist. Vielmehr sei – innerhalb des mit dem RDG verfolgten Schutzzwecks, die Rechtsuchenden, den Rechtsverkehr und die Rechtsordnung vor unqualifizier- ten Rechtsdienstleistungen zu schützen – eine eher großzügige Betrachtung geboten (BGH, Urt. v. 27.11.2019 – VIII ZR 285/18 Rn. 141). Das vom BGH betonte und detailliert belegte (a.a.O. Rn. 134 ff.) Ziel des RDG – eine grundlegende Neuge- staltung des Rechts der außergerichtlichen Rechts- dienstleistungen, die an den Gesichtspunkten der Dere- gulierung und Liberalisierung ausgerichtet ist, und die RECHTSDIENSTLEISTUNGSGESETZ BRAK-MITTEILUNGEN 4/2020 BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG 224

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