BRAK-Mitteilungen 4/2020

[20] ee) Im Ergebnis ist daher eine Anwendung des § 46b Abs. 3 BRAO im Fall eines Arbeitgeberwechsels nach Wortlaut, Systematik, Sinn und Zweck und Mate- rialien des Gesetzes weder im Wege der erweiternden Auslegung noch in analoger Anwendung zu rechtferti- gen. Für eine analoge Anwendung der Vorschrift ist be- reits mangels gesetzlicher Regelungslücke kein Raum. [21] b) Die übrigen Voraussetzungen für den Erlass eines Erstreckungsbescheids nach § 46b III BRAO i.V.m. § 46a BRAO sind dagegen erfüllt. Eine Anhörung der Kl. (§ 46a II 1 BRAO) ist erfolgt. Wie der AGH zutref- fend und von der Kl. mit der Berufung nicht näher ange- griffen angenommen hat, entspricht die Tätigkeit des Beigeladenen bei der N. GmbH auch den Anforderun- gen des §§ 46a I 1 Nr. 3, 46 II-V BRAO. [22] aa) Nach den Angaben im Anstellungsvertrag v. 20.6.2017 und in der Funktions- und Tätigkeitsbeschrei- bung ist der Beigeladene mit der Prüfung von konkre- ten arbeitsrechtlichen Rechtsfragen im Unternehmen (etwa bei Versetzungen, Kündigungen etc.) einschließ- lich der selbstständigen Aufklärung des Sachverhalts und der Herausarbeitung und Darstellung von Lö- sungsmöglichkeiten sowie der unabhängigen Bewer- tung der Vorgehensmöglichkeiten, mit der Überprüfung von Sachverhalten hinsichtlich des Ausspruchs von Kündigungen und der Beobachtung und rechtlichen Be- wertung von Entwicklungen im Bereich des Arbeits- und Sozialrechts befasst (§ 46 III Nr. 1 BRAO). Er berät sei- ne Arbeitgeberin eigenverantwortlich auf allen Gebie- ten des Arbeits- und des Sozialrechts und fertigt Stel- lungnahmen sowie bei Bedarf Gutachten zu aktuellen arbeits- und sozialrechtlichen Themen (§ 46 III Nr. 2 BRAO). Außerdem erstellt, überarbeitet und aktualisiert er selbstständig arbeitsrechtliche Vertragswerke unter Berücksichtigung der Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes und des Bundesdatenschutzgesetzes und der aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung, erstellt und ver- handelt Betriebsvereinbarungen und stellt Anträge bei den jeweils zuständigen Behörden (§ 46 III Nr. 3 BRAO). Schließlich führt er eigenständig und weisungs- frei außergerichtliche Verhandlungen mit gegnerischen Rechtsanwälten, mit den Arbeitnehmervertretungen und Gewerkschaftsvertretern sowie im Rahmen einer Einigungsstelle und vertritt seine Arbeitgeberin eigen- verantwortlich und weisungsunabhängig in Prozessen vor den Arbeits-, Sozial- und Verwaltungsgerichten und in Verwaltungsverfahren (§ 46 III Nr. 4 BRAO). Nach seinen ergänzenden Angaben in der Anhörung durch den AGH ist er derzeit schwerpunktmäßig mit der Um- setzung eines Reorganisationskonzepts betraut, kon- kret der Betreuung arbeitsgerichtlicher Verfahren, indi- viduellen Anpassungen von Arbeitsverträgen, selbst- ständigen Verhandlungen mit dem Betriebsrat insbe- sondere zu arbeitszeitrechtlichen Themen, Kontakt mit der Aufsichtsbehörde und Mitarbeitergesprächen zu arbeits- und tarifrechtlichen Fragen. Daneben betreut er auch andere juristische Fragen wie etwa eine abwas- serrechtliche Problematik und ein handelsrechtliches Verfahren seiner Arbeitgeberin. [23] bb) Entgegen der von der Kl. im Verwaltungsver- fahren geäußerten Ansicht ist die fachlich unabhängige Ausübung dieser Tätigkeiten durch den Beigeladenen entsprechend § 46 IV 2 BRAO durch die im Arbeitsver- trag in Bezug genommene und vom Beigeladenen und seiner Arbeitgeberin unterzeichnete Funktions- und Tä- tigkeitsbeschreibung (dort Nr. 8) auch vertraglich ge- währleistet. [24] cc) Das Merkmal der verantwortlichen Außenver- tretung (§ 46 III Nr. 4 BRAO) ist ebenfalls erfüllt. Nach den unwidersprochenen Feststellungen des AGH zeich- net der Beigeladene gerichtliche und anwaltliche Kor- respondenz – auch bei Eingehung rechtlicher Verpflich- tungen – allein und eigenverantwortlich ohne den Zu- satz „i.V.“ und ohne Geltung von Wertgrenzen. Zudem erfordert § 46 III Nr. 4 BRAO nicht ausnahmslos eine Allein- oder Gesamtvertretungsbefugnis, sondern kann sich die Befugnis, nach außen verantwortlich aufzutre- ten, im Einzelfall auch aus der – hier gegebenen – selbstständigen Führung von Verhandlungen oder der Wahrnehmung vergleichbarer Tätigkeiten ergeben (BGH, Urt. v. 30.9.2019 – AnwZ (Brfg) 63/17, NJW 2019, 3649 Rn. 7 ff.). [25] dd) Schließlich wird das Arbeitsverhältnis des Bei- geladenen bei der N. GmbH auch durch die in § 46 III Nr. 14 genannten Tätigkeiten geprägt. [26] Entscheidend für die Annahme einer Prägung i.S.d. Anwaltliche Prägung § 46 III BRAO ist, dass die anwaltliche Tätigkeit den Kern bzw. Schwerpunkt der Tätigkeit darstellt, mithin das Arbeitsverhältnis durch die anwaltliche Tätigkeit beherrscht wird (vgl. nur Se- nat, Urt. v. 30.9.2019 – AnwZ (Brfg) 63/17, NJW 2019, 3649 Rn. 15 m.w.N.). Nach der ständigen Rechtspre- chung des Senats ist dies in der Regel der Fall, wenn der Anteil der anwaltlichen Tätigkeiten etwa 70–80 % der insgesamt geleisteten Arbeit ausmacht (vgl. BGH, Urt. v. 15.10.2018 – AnwZ (Brfg) 20/18, NJW 2018, 3701 Rn. 82; Beschl. v. 14.1.2019 – AnwZ (Brfg) 29/17, NJW- RR 2019, 440 Rn. 7; Beschl. v. 10.4.2019 – AnwZ (Brfg) 46/18, Rn. 5; Beschl. v. 16.5.2019 – AnwZ (Brfg) 35/17, Rn. 9). Ein Anteil von 65 % anwaltlicher Tätigkeit liegt danach am unteren Rand des für eine anwaltliche Prä- gung des Arbeitsverhältnisses Erforderlichen (Senat, Urt. v. 30.9.2019 – AnwZ (Brfg) 63/17, NJW 2019, 3649 Rn. 18). Diese Grenze ist hier nicht unterschritten. [27] Nach den Angaben in der Funktions- und Tätig- keitsbeschreibung, die der Beigeladene in seiner Anhö- rung durch den AGH bestätigt hat, machen seine an- waltlichen Tätigkeiten ungefähr 70 % seiner insgesamt geleisteten Arbeitszeit aus, während seinen nicht-an- waltlichen Tätigkeiten als Leiter der Personalabteilung lediglich ein Anteil von 30 % zukommt. Anhaltspunkte dafür, dass diese Angaben unzutreffend sein könnten, sind nicht ersichtlich. Der erstinstanzliche Einwand der Kl., die betriebsüblichen Aufgaben eines Personalleiters seien sehr vielfältig und müssten daher einen größeren Anteil ausmachen, gibt in dieser Allgemeinheit keinen SYNDIKUSANWÄLTE BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG BRAK-MITTEILUNGEN 4/2020 239

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