BRAK-Mitteilungen 3/2021

waltsgericht über die vorstehend genannten Normen hinaus bei seiner Überprüfung zugrunde zu legen hat. 1. GESETZLICHE REGELUNG In der bis zum 17.5.2017 geltenden Fassung von § 74a II 2 BRAO hieß es: „Auf das Verfahren sind die Vorschrif- ten der Strafprozeßordnung über die Beschwerde sinn- gemäß anzuwenden.“ Seit dem 18.5.2017 heißt es hin- gegen nur noch: „Auf das Verfahren sind die §§ 308, 309 und 311a der Strafprozessordnung sinngemäß an- zuwenden.“ 2. ERFORDERLICHKEIT ZUSÄTZLICHER REGELUNGEN Diese sehr selektive Verweisung führt dazu, dass es dem Verfahren nach § 74a BRAO an allgemeinen Vor- schriften fehlt. Dadurch gäbe es beispielsweise keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Gerichts- personen könnten nicht wegen Befangenheit abgelehnt werden; ebenso gäbe es keinen Rechtsbehelf im Falle der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Das ist aus rechtsstaatlicher Sicht nicht hinnehmbar, weshalb der Rückgriff auf zusätzliche Regelungen erfor- derlich ist. 3. MÖGLICHE REGELUNGEN a) STRAFPROZESSORDNUNG Gleich mehrere Gründe sprechen für die Anwend- barkeit der StPO. Zunächst einmal verfährt das Anwaltsgericht bei der Verhängung anwaltsgericht- licher Maßnahmen – also dem „Kerngeschäft“ des An- waltsgerichts – grundsätzlich auf Basis der StPO (§ 116 I 2 BRAO). Um eine Einheitlichkeit herzustellen, liegt es nahe, auch das Verfahren nach § 74a BRAO der StPO zu unterwerfen. Insoweit ist auch zu beachten, dass das Anwaltsgericht – anders als der auch für verwal- tungsrechtliche Anwaltssachen zuständige Anwaltsge- richtshof – ausschließlich in Disziplinarsachen tätig wird (sofern man auch die Rüge als eine solche be- trachtet). Wohl nicht zuletzt aus diesem Grund war in § 74a II 2 BRAO in der bis zum 17.5.2017 geltenden Fassung aus- drücklich geregelt, dass auf das Verfahren die Vorschrif- ten der StPO über die Beschwerde (§§ 304 ff. StPO) sinngemäß zur Anwendung kommen. Auch insoweit konnte man allerdings durchaus die Frage stellen, ob damit zugleich ein Verweis auf die Allgemeinen Vor- schriften der StPO verbunden ist 27 27 So i.Erg. zum alten Recht: AnwG Sachsen, Beschl. v. 9.4.2015 – SAG I 11/13 – C I.370/2011; a.A. Niedersächsischer AGH, Beschl. v. 18.11.2014 – AGH 1/14. oder wie ansonsten die Lücke zu füllen ist. Bei der Einführung des § 74a BRAO ging der Gesetzge- ber am ehesten ebenfalls von einer – gleichwohl stark eingeschränkten – Anwendung der StPO aus; die in § 74a BRAO normierten Erleichterungen sollten ledig- lich sicherstellen, dass nicht die strengen Förmlichkei- ten gelten, die die Strafprozessordnung für das Haupt- verfahren vorsieht, und die Staatsanwaltschaft auch nicht zur Durchführung von Vernehmungen herangezo- gen werden kann; eher sollte das Verfahren damit einem Verfahren bei Anträgen auf gerichtliche Entschei- dung gegen den Bußgeldbescheid nach dem Ordnungs- widrigkeitengesetz angenähert werden. 28 28 BT-Drs. 5/2848 v. 22.4.1968, 20. Ebenso kann der seit 2017 bestehende Verweis in § 74a II 2 StPO auf einzelne Vorschriften der StPO als Argument für die Anwendbarkeit der StPO angeführt werden. In der Gesetzesbegründung heißt es zwar, dass damit „ausdrücklich klargestellt wird, dass andere Nor- men der StPO von der Verweisung in § 74a II 2 StPO nicht erfasst werden.“ 29 29 BT-Drs. 18/9521 v. 5.9.2016, 129. Dies entspreche der herrschen- den Meinung in der Literatur (wobei ausschließlich auf Weyland verwiesen wird), sei aber klarstellungsbedürf- tig, weil die pauschale Verweisung auf die Vorschriften der StPO über die Beschwerde (§§ 304 ff. StPO) „schon bisher zu Auslegungsschwierigkeiten geführt“ habe 30 30 BT-Drs. 18/9521 v. 5.9.2016, 129. und das AnwG Sachsen etwa die Regelungen über das Verbot der Mehrfachverteidigung (§ 146 StPO) für an- wendbar hielt, so dass ein Rechtsanwalt nicht fünf von identischen Rügen betroffene Kollegen vertreten konnte (die Gesetzesbegründung ordnet den Beschluss fälsch- licherweise der Rechtsanwaltskammer des Freistaates Sachsen – und nicht dem Anwaltsgericht – zu). 31 31 AnwG Sachsen, Beschl. v. 9.4.2015 – SAG I 11/13-C I.370/2011; die hiergegen eingelegte Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen, BVerfG, Beschl. v. 25.2.2016 – 1 BvR 1042/15. Die Gesetzesbegründung schweigt jedoch dazu, weshalb die allgemeinen Vorschriften der StPO nicht anwendbar sein sollten; stattdessen beschränkt sich die Begrün- dung darauf, die einzelnen Vorschriften des Zweiten Ab- schnitts des Dritten Buchs der StPO (§§ 304 – 311a StPO) im Einzelnen zu analysieren und zu erläutern, weshalb die meisten davon ebenfalls nicht anwendbar sein sollen. Die Gesetzesbegründung verweist zudem darauf, dass sich die bisherigen Auslegungsschwierigkeiten bezüg- lich der pauschalen Verweisung auf die §§ 304 ff. StPO noch dadurch verstärken könnten, dass die Rüge fortan mit einer Geldbuße verbunden werden kann; 32 32 BT-Drs. 18/9521 v. 5.9.2016, 129. auf diese Begründung stützt sich auch Diem – noch dazu unter Verweis auf § 114 I Nr. 3 BRAO – bis heute. 33 33 BeckOK-BRAO/ Diem , 9. Ed. 2020, § 74a Rn. 2. Zu dieser vom Gesetzgeber im Jahr 2017 geplanten Reform ist es jedoch nicht gekommen. Die Rüge kann heute gerade nicht mit einer Geldbuße verbunden werden; und selbst wenn, wäre es nicht eine solche nach § 114 I Nr. 3 BRAO gewesen, deren Verhängung dem Anwaltsgericht vorbehalten bleibt und die ganz bewusst zu gänzlich anderen Rechtsfolgen als die für die Rüge vorgesehene Geldbuße führt (so sollte eine vom Vorstand auferlegte Geldbuße gerade nicht zum Ausschluss von der Wähl- barkeit nach § 66 BRAO führen und sie sollte statt – wie bei der vom Anwaltsgericht verhängten Geldbuße – OTT, ANWENDBARE VERFAHRENSVORSCHRIFTEN BEI ANWALTSGERICHTLICHER ENTSCHEIDUNG ÜBER EINE RÜGE BRAK-MITTEILUNGEN 3/2021 AUFSÄTZE 148

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