BRAK-Mitteilungen 3/2021

nach zehn Jahren bereits nach fünf Jahren getilgt wer- den). 34 34 BT-Drs. 18/9521 v. 5.9.2016, 127 f. Die BRAK vertrat in einer Stellungnahme zu der bis zum Jahr 2017 geltenden Fassung die Ansicht, dass trotz des beschränkten Verweises in § 74a II 2 BRAO a.F. auf die Anwendbarkeit der Vorschriften der StPO über die Beschwerde (§§ 304 ff. StPO) „grund- sätzlich alle Vorschriften sinngemäß anzuwenden sind, die nach der Strafprozessordnung im Beschwerdever- fahren anzuwenden sind, und damit auch die Regelun- gen des Ersten Buchs der Strafprozessordnung ein- schließlich der Vorschriften über die Verteidigung“. 35 35 BRAK-Stn.-Nr. 34/2015, September 2015. Gleichwohl könne § 74a II 2 BRAO a.F. nicht entnom- men werden, „dass ausnahmslos sämtliche Vorschrif- ten des Allgemeinen Teils der Strafprozessordnung an- zuwenden seien, die im Beschwerdeverfahren nach den §§ 304 ff. StPO Anwendung finden können.“ Die Vorschriften über das Verbot der Mehrfachverteidi- gung sollen daher gerade nicht anwendbar sein. Im Er- gebnis sollen also „grundsätzlich alle Vorschriften sinngemäß“ angewandt werden, was aber nicht be- deutet, „dass ausnahmslos sämtliche Vorschriften des Allgemeinen Teils der Strafprozessordnung anzuwen- den seien“; der Erkenntnisgewinn dieser Aussage scheint gering, bestätigt aber sehr treffend die Unvor- hersehbarkeit, welche Vorschriften von einem Anwalts- gericht letztlich angewandt werden. Ebenfalls zur alten Fassung von § 74a II 2 BRAO hat das BVerfG festgehalten, dass „in der Literatur die An- wendung der allgemeinen Vorschriften der Strafpro- zessordnung für das anwaltsgerichtliche Verfahren nach § 74a BRAO weitgehend abgelehnt wird“. 36 36 BVerfG, Beschl. v. 25.2.2016 – 1 BvR 1042/15 m.w.N. Aller- dings lasse sich „angesichts der divergierenden Recht- sprechung ein einheitliches Meinungsbild zur Reichwei- te der Verweisung in § 74a II 2 BRAO [a.F.] nicht fest- stellen.“ Daran hat sich auch nach der Gesetzesreform nichts geändert. Der AGH Nordrhein-Westfalen hat in Bezug auf ein anwaltsgerichtliches Verfahren nach § 74a BRAO a.F. wiederholt u.a. §§ 24, 28, 33a StPO angewandt. 37 37 AGH Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 6.5.2011 – 2 AGH 67/10; Beschl. v. 12.4. 2013 – 2 AGH 21/12. Der Niedersächsische AGH hingegen meinte, dass der frühere Verweis auf die Vorschriften der StPO über die Beschwerde nicht dazu führen würde, dass ein Rück- griff auf die übrigen Vorschriften der StPO möglich wäre. 38 38 Niedersächsischer AGH, Beschl. v. 18.11.2014 – AGH 1/14. In der Literatur wird – ohne weitere Begründung – zu- dem darauf hingewiesen, dass sogar in Bezug auf das dem anwaltsgerichtlichen Verfahren vorgeschaltete Ein- spruchsverfahren offenbar die StPO sinngemäß anzu- wenden sei. So sei der Rügebescheid auf Grund des all- gemeinen Rechtsgedankens des § 35a StPO mit einer schriftlichen Rechtsmittelbelehrung über das Ein- spruchsrecht nach § 74 V BRAO zu versehen; 39 39 Weyland/ Weyland , § 74 Rn. 51; Henssler/Prütting/ Hartung , § 74 Rn. 48 (unter Rn. 63 ohne Benennung einer Rechtsgrundlage); Kleine-Cosack , § 74 Rn. 8 emp- fiehlt im Hinblick auf Art. 19 IV GG eine Rechtsbehelfsbelehrung. im Fall einer Nichtbelehrung komme in entsprechender Anwen- dung des § 44 S. 2 StPO Wiedereinsetzung in den vori- gen Stand in Betracht. 40 40 Weyland/ Weyland , § 74 Rn. 51 m.w.N. Weyland spricht sich sogar für eine entsprechende Anwendung der „§§ 22 ff. StPO“ so- wohl auf das der Rüge vorausgehende Aufsichtsverfah- ren als auch auf das Einspruchsverfahren aus. 41 41 Weyland/ Weyland , § 74 Rn. 24. Sofern man dieser Ansicht folgt, muss wohl erst recht auch für das nachgeordnete anwaltsgerichtliche Überprüfungs- verfahren die StPO (sinngemäß) zur Anwendung kom- men. Weyland kommt schließlich zu dem Ergebnis, dass es sich um einen Fehler des Gesetzgebers handelt und – entsprechend seiner schon zu § 74a II 2 a.F. vertretenen Auffassung – auch weiterhin die §§ 22 ff. StPO anwend- bar seien. 42 42 Weyland/ Weyland , § 74a Rn. 15. Dabei bleibt allerdings unklar, was bei Weyland unter „ff.“ zu verstehen sein soll, bei welcher Norm die Verweisung also ihr Ende haben soll. Denn einerseits scheint er über den Dritten Abschnitt des Ers- ten Buchs (§§ 22 bis 31 StPO) hinausgehen zu wollen, wenn er auch die „Gehörsrüge“ erwähnt, 43 43 Weyland/ Weyland , § 74a Rn. 15. die mit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Nichtge- währung rechtlichen Gehörs erst in § 33a StPO gere- gelt ist. Gleichzeitig weist Weyland an anderer Stelle aber darauf hin, dass etwa §§ 153, 153a StPO nicht an- wendbar sein sollen, „weil die Vorschriften der StPO in- soweit im Rügeverfahren keine Anwendung finden“. 44 44 Weyland/ Weyland , § 74a Rn. 30. Auch hier bleibt also letztlich alles im Unklaren. Kleine-Cosack meint hingegen, dass im anwaltsgericht- lichen Verfahren über eine Rüge „grds. nicht die StPO“ gilt und „die übrigen Vorschriften der StPO keine sinn- gemäße Anwendung finden“; daher würden auch nicht das Verbot der Mehrfachverteidigung nach § 146 StPO oder die Vorschriften über den Verteidigerausschluss nach §§ 138a, 138c StPO gelten und das Anwaltsge- richt dürfe keine Einstellung nach §§ 153, 153a StPO vornehmen. 45 45 Kleine-Cosack , § 74a Rn. 3 f. Rn. 7. Ob und wie die verbliebene Lücke im Pro- zessrecht zu schließen ist, verschweigt Kleine-Cosack al- lerdings. b) VERWALTUNGSGERICHTSORDNUNG Alternativ kann man – in Ergänzung zu den in § 74a II 2 BRAO ausdrücklich genannten Normen der StPO – auch die VwGO für anwendbar halten. Dafür spricht zu- nächst einmal, dass es um die Überprüfung eines Ver- waltungsaktes geht. Nicht nur die Verwaltungsgerichte wenden zu diesem Zweck die VwGO an, sondern auch der Anwaltsgerichtshof und der Anwaltssenat beim BGH, soweit diese über verwaltungsrechtliche Anwalts- sachen entscheiden (§ 112c I 1 BRAO). Es erschiene da- AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 3/2021 149

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