BRAK-Mitteilungen 3/2021

her konsequent, die VwGO auch in Bezug auf die Über- prüfung der Rüge anzuwenden. Insoweit wäre es auch naheliegend, bezüglich der Rüge die Notwendigkeit einer Rechtsmittelbelehrung nicht aus § 35a StPO ab- zuleiten und Wiedereinsetzung nach § 44 S. 2 StPO zu gewähren, 46 46 Hierzu bereits o. II.5. sondern auf die entsprechenden Vorschrif- ten aus dem Verwaltungsrecht (§§ 37 VI 1, 32 VwVfG, §§ 58, 60 VwGO) zurückzugreifen. Ferner hat der Gesetzgeber über § 74a II 2 BRAO eben gerade nur drei Normen der StPO für anwendbar er- klärt, nicht aber die gesamte StPO. Selbst wenn es sich hierbei um einen Fehler des Gesetzgebers handelt, er- schließt sich hieraus noch nicht zwingend, wie der Ge- setzgeber die Lücke hätte schließen wollen. § 79 VwVfG regelt zudem, dass für förmliche Rechtsbehelfe gegen Verwaltungsakte die VwGO und die zu ihrer Ausfüh- rung ergangenen Rechtsvorschriften gelten, soweit nicht durch Gesetz etwas anderes bestimmt ist. Zwar gilt mit § 74a BRAO „etwas anderes“, aber eben nur in einem sehr begrenzten Umfang, so dass darüber hin- aus („soweit“) die VwGO Anwendung finden kann. Weyland wiederholt hingegen die historische Geset- zesbegründung und argumentiert, dass die Anwen- dung der VwGO – bzw. genauer: die Überprüfung einer Rüge im Rahmen der verwaltungsrechtlichen An- waltssachen nach §§ 112a ff. BRAO – nicht sachge- recht wäre, da anderenfalls der Vorstand der Rechts- anwaltskammer in eine förmliche Parteirolle als Geg- ner des betroffenen Rechtsanwalts gedrängt würde, die sich mit seiner Stellung als Organ der Berufsauf- sicht nicht vereinbaren ließe. 47 47 Weyland/ Weyland , § 74a Rn. 6; Argument findet sich bereits in BT-Drs. 5/2848 v. 22.4.1968, 20 l.Sp. Unabhängig davon, dass man vom Vorstand bzw. der Rechtsanwaltskam- mer erwarten kann, dass sie für ihre Entscheidungen einstehen, wäre die Parteirolle als Gegner aber auch nicht ungewöhnlich; schließlich richtet sich auch in ver- waltungsrechtlichen Anwaltssachen die Klage gegen die Rechtsanwaltskammer (§ 112d I BRAO) und be- kanntlich schließt dies auch die Überprüfung eines – rügenahen – belehrenden Hinweises mit ein. Ohnehin muss der Vorstand selbst im heutigen Verfahren nach § 74a BRAO bereits die Gegenerklärung im Sinne des § 308 I StPO abgeben (§ 74a II 3 BRAO) und ist schon deshalb in das Verfahren involviert. Dem weiteren – ebenfalls aus der Gesetzesbegründung übernommenen – Argument von Weyland , wonach die Anwendung der VwGO dazu führen würde, dass das Anwaltsgericht nach Vorschriften verfahren müsste, die es sonst im Rahmen seines Aufgabenbereichs nicht an- zuwenden hat 48 48 Weyland/ Weyland , § 74a Rn. 6; Argument findet sich bereits in BT-Drs. 5/2848 v. 22.4.1968, 20 l.Sp. , ist inhaltlich zuzustimmen. Das darf je- doch nicht dazu führen, dass die wohl näherliegende Verfahrensordnung außer Betracht bleibt. Entweder muss man die Verfahren zur gerichtlichen Entscheidung einem anderen Gerichtszug zuweisen oder aber man muss von den Anwaltsgerichten erwarten können, dass sie auch imstande sind, mit der VwGO zu arbeiten; da- für spricht, dass auch die StPO für all diejenigen An- waltsrichter fremd ist, die ihren Schwerpunkt nicht im Strafrecht haben. c) BUNDESRECHTSANWALTSORDNUNG Schließlich ließe sich noch überlegen, ob der Gesetzge- ber bewusst davon abgesehen hat, weitere Verfahrens- regelungen für anwendbar zu erklären und es bei den Vorschriften der BRAO belassen wollte. Selbst wenn ein solcher Wille vorhanden gewesen sein sollte, wäre er al- lerdings wenig praktikabel, da wesentliche Fragen von der BRAO schlicht nicht beantwortet werden, aber be- antwortet werden müssen. Es kann daher im Ergebnis auch kein Zweifel daran bestehen, dass dem Gesetz- geber ein Fehler unterlaufen ist. 49 49 Vgl. Weyland/ Weyland , § 74a Rn. 15. 4. RELEVANZ EINER ENTSCHEIDUNG Dass die Frage nicht von rein akademischem Interesse ist, sondern erhebliche Auswirkungen auf die Praxis hat, zeigt sich bei der Betrachtung einzelner Fallgestaltun- gen. So sieht § 45 S. 1 StPO für einen Wiedereinset- zungsantrag eine Frist von einer Woche vor; nach § 60 I 1 Hs. 1 VwGO beträgt die Frist hingegen zwei Wochen, für bestimmte Fristen wie etwa die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung sieht § 60 II 1 Hs. 2 VwGO sogar eine Monatsfrist vor. Anders als die StPO sieht § 60 III VwGO zudem vor, dass eine Wiedersetzung in den vorigen Stand unzuläs- sig ist, wenn seit dem Ende der versäumten Frist ein Jahr vergangen ist. Sofern die Wiedereinsetzung abge- lehnt wird, kann die Entscheidung nach § 46 III StPO mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden. Im Verwaltungsgerichtsverfahren kann nach § 173 S. 1 VwGO i.V.m. § 238 II 1 ZPO die eine Wiedereinsetzung versagende Entscheidung hingegen mit dem Rechtsmit- tel angefochten werden, das gegen die Entscheidung über die nachgeholte Prozesshandlung eröffnet ist; 50 50 Bier/Steinbeiß-Winkelmann , in Schoch/Schneider, VwGO, 39. EL 2020, § 60 Rn. 77; BeckOK-VwGO/ Peters , 55. Ed. 2020, § 60 Rn. 46. in- soweit würde sich die Folgefrage stellen, was dann in einem Verfahren nach § 74a BRAO gelten soll, wenn der Beschluss des Anwaltsgerichts nach § 74a III 4 BRAO unanfechtbar ist. Dies könnte dann auch auf die Ablehnung der Wiedereinsetzung durchschlagen, so dass die Nichtanfechtbarkeit zugleich Zwischenent- scheidungen erfasst. Auch die Regelungen zur Ausschließung und Ableh- nung der Gerichtspersonen unterscheiden sich zwi- schen der StPO (§§ 22-31 StPO) und der VwGO (§ 54 VwGO i.V.m. §§ 41-49 ZPO). Ebenso stellt sich wie im bereits erwähnten Fall des AnwG Sachsen 51 51 AnwG Sachsen, Beschl. v. 9.4.2015 – SAG I 11/13-C I.370/2011. beispielsweise die Frage, ob das Ver- bot der Mehrfachverteidigung aus § 146 StPO greift BRAK-MITTEILUNGEN 3/2021 AUFSÄTZE 150

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