BRAK-Mitteilungen 3/2021

oder im Fall einer gemeinsamen Verhandlung auch mehrere Betroffene durch denselben Rechtsanwalt ver- treten werden können. Die Gesetzesbegründung zu § 74a II 2 BRAO meint zwar, insoweit Klarheit geschaf- fen zu haben; das stimmt allerdings nur dann, wenn man – wie der Gesetzgeber – tatsächlich davon aus- geht, dass sämtliche übrigen Vorschriften der StPO (und erst recht solche der nicht erwähnten VwGO) keine Anwendung finden. V. STELLUNGNAHME Die Praxis hat sich in der Vergangenheit stets zwangs- läufig selbst geholfen, auch wenn die Gerichte dabei durchaus zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. 52 52 Eine Übersicht bietet Weyland/ Weyland , § 74a Rn. 9-13. Die damit verbundenen Ungewissheiten sind eines rechtsstaatlichen Verfahrens nicht würdig und müssen dringend beseitigt werden. Dies gilt umso mehr, weil die nach § 74a BRAO ergangenen Entscheidungen un- ter Verweis auf § 74a III 4 BRAO nach bislang ganz herrschender Ansicht nicht anfechtbar sind; jedes An- waltsgericht kann daher für sich entscheiden, ohne dass die Fragen einmal ober- oder gar höchstgerichtlich und damit bundesweit einheitlich geklärt werden wür- den. Ein betroffener Rechtsanwalt muss aber Gewissheit haben, welche Vorschriften zur Anwendung kommen und auf welche Weise er sich gegen einen Eingriff in seine (Grund-)Rechte zur Wehr setzen kann. Es darf nicht sein, dass die Anwaltsgerichte im Wege eines Ro- sinenpickens eigenständig entscheiden können, ob sie eine bestimmte Norm im einzelnen Verfahren anwen- den, ob sie bestimmte Rechtsgrundsätze für anwend- bar halten, und ob sie sich bei den Details dann eher an der einen oder an der anderen Verfahrensordnung „sinngemäß“ orientieren oder sich vielleicht gleich eine rechtsfortbildende Ermessensentscheidung zugeste- hen. Derartige Unwägbarkeiten sind nicht nur allgemein un- tragbar, sondern erst recht dann, wenn es um einen Ein- griff in die Grundrechte (Art. 12 GG) und die rechts- staatliche Überprüfung geht. Es würde daher nicht überraschen, wenn demnächst einmal eine nach § 74a BRAO ergangene anwaltsgerichtliche Entscheidung zur Überprüfung durch das BVerfG – oder mit einge- schränktem Prüfungsumfang durch ein Landesverfas- sungsgericht – gestellt wird. Obwohl das Thema auch beim Gesetzgeber präsent sein sollte, verwundert es umso mehr, dass der Referen- tenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz vom 29.10.2020 zur BRAO-Re- form 53 53 Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz v. 29.10.2020, Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Berufsrechts der anwalt- lichen und steuerberatenden Berufsausübungsgesellschaften sowie zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe. zwar Änderungen in den §§ 74 f. BRAO vorsieht, das hier aufgeworfene Problem aber totschweigt. Im Ergebnis ist es dabei weniger entscheidend, welche Vorschriften man für anwendbar erklärt; wichtiger ist es vielmehr, dass man überhaupt Klarheit und damit zu- gleich Rechtssicherheit schafft. Damit sollte nicht abge- wartet werden, bis ein Verfassungsgericht das aktuelle Verfahrensrecht als unzureichend erklärt. Dabei wird man einerseits berücksichtigen können, dass das An- waltsgericht in den übrigen ihm zugewiesenen Fällen nur die StPO anwendet (§ 116 I 2 BRAO); dies allein kann aber – wie oben ausgeführt – kein Grund sein, eine unpassende Verfahrensordnung anzuwenden. Vor- rangig wird vielmehr darauf abzustellen sein, was der Verfahrensgegenstand ist. Und da es dabei um die Überprüfung eines Verwaltungsaktes geht, liegt es deutlich näher, die VwGO anzuwenden; dies gilt erst recht, wenn man bedenkt, dass auch über die Rechtmä- ßigkeit eines ebenfalls vom Vorstand der Rechtsan- waltskammer ausgesprochenen belehrenden Hinweises auf Basis der VwGO entschieden wird. Insoweit bliebe allenfalls noch zu überlegen, den Rechtsweg bezüglich belehrendem Hinweis und Rüge zu vereinheitlichen, was jedoch den Rahmen dieses Auf- satzes sprengen würde und daher in Kürze Gegenstand eines eigenständigen Aufsatzes des Autors wird; dort soll sodann auch die Frage geklärt werden, ob die an- waltsgerichtliche Entscheidung nach § 74a BRAO tat- sächlich nicht anfechtbar ist und ob dies auch für Zwi- schenentscheidungen gilt. VI. FAZIT Der Status Quo des § 74a BRAO ist aus rechtsstaat- lichen Gründen nicht tragbar. Die Anwaltsgerichte ent- scheiden bislang eigenständig und unanfechtbar darü- ber, welche verfahrensrechtlichen Vorschriften sie dort heranziehen, wo die BRAO eine Lücke lässt. Der Gesetz- geber muss daher dringend klarstellen, welche Verfah- rensordnung vom Anwaltsgericht anzuwenden ist. Die besseren Argumente sprechen dabei für die VwGO. OTT, ANWENDBARE VERFAHRENSVORSCHRIFTEN BEI ANWALTSGERICHTLICHER ENTSCHEIDUNG ÜBER EINE RÜGE AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 3/2021 151

RkJQdWJsaXNoZXIy ODUyNDI0