BRAK-Mitteilungen 3/2021

gesetzlichen oder – soweit eine Vergütungsvereinba- rung geschlossen wurde – der vereinbarten Vergütung. Unterfällt nämlich der konkrete Anwaltsvertrag den Re- gelungen über Fernabsatzgeschäfte und unterlässt es der Anwalt, den Mandanten gem. § 356 III BGB i.V.m. Art. 246a § 1 II 1 Nr. 1 EGBGB über sein Widerrufs- recht zu belehren, hat der Mandant genau ein Jahr und 14 Tage ab Abschluss des Anwaltsvertrags die Möglich- keit, seine Willenserklärung zu widerrufen. Folge: Eine bereits gezahlte Vergütung muss der Anwalt erstatten; auf eine noch ausstehende Vergütung hat er keinen An- spruch. Schon mit Urteil vom 23.11.2017 2 2 BGH, Urt. v. 23.11.2017 – IX ZR 204/16, BRAK-Mitt. 2018, 113 = ZIP 2018, 279. hatte der BGH ent- schieden, dass Anwaltsverträge Verträge über eine ent- geltliche Erbringung einer Dienstleistung i.S.v. §§ 312 I, 312c BGB sind und als solche den Regeln über Fernab- satzverträge unterworfen sein können. Dem hatte sich der VIII. Zivilsenat des BGH im Urteil vom 17.10.2018 3 3 BGH, Urt. v. 17.10.2018 – VIII ZR 94/17, NJW 2019, 303. angeschlossen. Im jetzt entschiedenen Fall hatte sich ein Student von einer bundesweit tätigen Kanzlei in einer Klage gegen den Notenbescheid einer Fernuniversität vertreten las- sen; bis zum Abschluss des Anwaltsvertrags war die Kommunikation ausschließlich per Telefon und E-Mail erfolgt. Nach – offenbar erfolgreicher – Beendigung des Mandats hatte der Mandant die seinerzeit geschlosse- ne Honorarvereinbarung innerhalb der Jahresfrist (zzgl. 14 Tagen) gem. §§ 312g, 312c BGB widerrufen. Der BGH hielt den Widerruf für gerechtfertigt, da der An- waltsvertrag im Rahmen eines von der Kanzlei vorge- haltenen Fernabsatzsystems abgeschlossen und damit als Fernabsatzvertrag zu qualifizieren sei. Leider hat der BGH – wie auch schon in den beiden oben genannten Entscheidungen zuvor – nicht entschieden, welche Merkmale konkret das Vorliegen eines von der Kanzlei vorgehaltenen Fernabsatz systems kennzeichnen. Er hat diese Frage offen gelassen, da im entschiedenen Fall hinreichende „Indizien“ für ein solches Fernabsatz - system vorgelegen hätten und es wegen der dem Anwalt durch § 312c I Hs. 2 BGB auferlegten Darlegungs- und Beweislast ausreiche, dass ein Fernabsatz system nicht auszuschließen ist. Nach § 312c I BGB liegt ein Fernab- satz vertrag schon dann vor, wenn Unternehmer und Ver- braucher für die Vertragsverhandlungen und den Ver- tragsschluss ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwenden; hierzu gehören gem. § 312c II BGB alle Kom- munikationsmittel, die einen Vertragsschluss ohne gleichzeitige körperliche Anwesenheit ermöglichen, wie etwa Briefe, Telefonate, Faxe, E-Mails und SMS. Zu den vom BGH beschriebenen Indizien für ein Fernab- satz system , also die systematische Verwendung von Fernkommunikationsmitteln für den Abschluss des An- waltsvertrags, gehören neben der regelmäßigen Ver- wendung von Fernkommunikationsmitteln bis zum Ab- schluss des Anwaltsvertrags auch das Werben auf der Homepage für einen Vertragsabschluss ohne persön- liche Anwesenheit, für eine jederzeitige telefonische oder elektronische Erreichbarkeit sowie für die sofortige Aufnahme der Tätigkeit ohne vorheriges persönliches Zusammentreffen. Im konkreten Fall sah der BGH weite- re Indizien in der auf das ganze Bundesgebiet ausge- dehnten Tätigkeit der Kanzlei bei nur drei Standorten in Deutschland und die Spezialisierung auf ein bestimm- tes Rechtsgebiet, wodurch Mandanten aus allen Bun- desländern geworben würden. Keine Rolle für die Fra- ge, ob ein Fernabsatz system vorliegt, spielen dagegen das Recht der Kanzlei, ein Mandat abzulehnen, sich vor Vertragsschluss die Einzelheiten des Falles individuell – aber eben nur mittels Fernkommunikation – erläutern zu lassen oder auch ein persönliches Zusammentreffen nach Vertragsschluss. Es komme nicht darauf an, ob ein Anwaltsvertrag zustande kommt, sondern nur darauf, wie das geschieht. Der BGH rechtfertigt die weitreichende Anwendung der §§ 312c, 312g, 355 ff. BGB mit dem Schutzzweck des Fernabsatzgesetzes, wonach Verbraucher, die ihrem Anbieter vor Vertragsschluss nicht physisch begegnen und daher die von diesem angebotene Ware oder Dienstleistung nicht zuvor in Augenschein nehmen kön- nen, durch das Widerrufsrecht vor Fehlentscheidungen bewahrt werden sollen. Wie man allerdings die Dienst- leistung eines Anwalts vor Vertragsschluss in Augen- schein nehmen können soll, erschließt sich nicht. Auch bleibt im Urteil des BGH im Dunkeln, wie ein Anwalt, der über einen Briefkasten, ein Telefon, eine E-Mail-Ad- resse und eine Homepage verfügt und den Mandanten bis zum Vertragsschluss nicht persönlich getroffen hat, die Vermutung des § 312c BGB für das Vorliegen eines Fernabsatzvertrags entkräften soll. In dieser Situation, in der nach der aktuellen Entscheidung des BGH bei den im Anwaltsalltag häufig ohne persönliche Anwe- senheit geschlossenen Anwaltsverträgen jederzeit die „Fernabsatzfalle“ zuschnappen kann, kann nur jedem Anwalt empfohlen werden, – vor Vertragsschluss vorsorglich über ein eventuell be- stehendes Widerrufsrecht nach § 312g BGB zu be- lehren und – mit seiner Tätigkeit erst zu beginnen, wenn der Man- dant nach entsprechender Belehrung dazu ausdrück- lich seine Zustimmung in Textform erteilt hat, § 356 IV 1 BGB. II. GESCHÄFTSGEBÜHR 1. RAHMENGEBÜHR – TOLERANZGRENZE, § 14 RVG Entstehen in gerichtlichen Verfahren Rahmengebühren (so insb. in sozialgerichtlichen Verfahren), sind diese nach den Kriterien des § 14 I RVG zu bestimmen. Dabei steht dem Rechtsanwalt ein Ermessenspielraum zu mit der Folge, dass eine Überschreitung von bis zu 20 % der angemessenen Gebühr zu tolerieren und nicht als unbillig i.S.v. § 14 I 4 RVG zu bewerten ist. BRAK-MITTEILUNGEN 3/2021 AUFSÄTZE 154

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