BRAK-Mitteilungen 3/2021

Das Bayerische LSG 4 4 Bay. LSG, Beschl. v. 24.3.2020 – L12 SF 271/16 E, AGS 2020, 215. hatte zu entscheiden, ob dann, wenn mehrere Rahmengebühren (hier: Verfahrensge- bühr und Terminsgebühr) anfallen, bei der Festlegung der Toleranzgrenze von maximal 20 % auf die gesam- ten Gebühren des Verfahrensabschnitts abzustellen ist oder auf die einzelne Gebühr, die als solche ohne Be- rücksichtigung der Toleranzgrenze zu hoch angesetzt wäre. Diese in der Rechtsprechung und Literatur um- strittene Frage hat das Bayerische LSG im letztgenann- ten Sinne beantwortet. Es sei jeweils auf die einzelne vom Rechtsanwalt angesetzte Gebühr abzustellen, da auch bei mehreren in einem Verfahren anfallenden Rahmengebühren der Rechtsanwalt bei jeder einzel- nen Gebühr sein Ermessen sorgfältig auszuüben habe und nicht erst im Rahmen einer „Gesamtschau“ sämt- licher Gebühren. Würde man der Gegenansicht folgen, könnte immer dann, wenn eine der Rahmengebühren zu Recht sehr hoch oder gar mit dem Höchstbetrag in Ansatz gebracht wird, für die andere(n) Rahmengebüh- r(en) ein über 20 % der Einzelgebühr hinausgehen- der Toleranzrahmen generiert werden, was zu einer „Verzerrung“ des Gebührenrahmens der Einzelgebühr führe. 2. DIESELBE ANGELEGENHEIT, § 15 II RVG Wird der Rechtsanwalt in einer Ehescheidungssache be- auftragt, den Mandanten bei der Ehescheidung sowie diversen Folgesachen und weiteren Gegenständen (Ver- sorgungsausgleich, Unterhalt, Vermögensauseinander- setzung, Nutzungsentschädigung) zu vertreten, und er- hält er in zeitlichem Zusammenhang damit den weite- ren Auftrag, den Mandanten in einer Auseinanderset- zung über einen Gesamtschuldnerausgleich zu vertre- ten, stellt Letzteres keine besondere Angelegenheit i.S.v. § 15 II RVG dar. Dies hat der BGH 5 5 BGH, Urt. v. 29.10.2020 – IX ZR 264/19, AnwBl. 2021, 47. entschieden. Zwar folge dies nicht aus § 16 Nr. 4 RVG, wonach eine Scheidungssache und die Folgesachen dieselbe Angele- genheit sind, da der Gesamtschuldnerausgleich keine Folgesache ist. Aus § 2 I 1 BerHG wiederum könne um- gekehrt zugunsten des Anwalts nicht hergeleitet wer- den, dass es sich um verschiedene Angelegenheiten handele, da diese Vorschrift andere Sachverhalte be- treffe und damit anders auszulegen sei. Nach den so- mit maßgeblichen allgemeinen Kriterien für die Defini- tion der Angelegenheit i.S.v. § 15 RVG – einheitlicher Rahmen, einheitlicher Auftrag, innerer Zusammenhang – gehöre die Tätigkeit betreffend die Auseinanderset- zung über den Gesamtschuldnerausgleich zu derselben Angelegenheit wie die Tätigkeit betreffend die übrigen finanziellen Auswirkungen von Trennung und Schei- dung. Entscheidend seien insoweit die Umstände des Einzelfalls. Jedenfalls für den außergerichtlichen Tätigkeitsbereich habe der Rechtsanwalt entsprechend den Wünschen des Mandanten die finanziellen Folgen von Trennung und Scheidung einheitlich einer gütlichen Regelung zu- führen sollen, wozu auch der Gesamtschuldneraus- gleich gehöre. Dem stehe nicht entgegen, dass bei Scheitern einer gütlichen Einigung die jeweiligen Ge- genstände in verschiedenen Verfahren gerichtlich hät- ten geltend gemacht werden müssen. Der BGH hat es dem klagenden Rechtsanwalt im Übrigen auch versagt, aufgrund der von ihm nun entschiedenen Tatsache, dass in die einheitlich abzurechnende Geschäftsgebühr auch der Gesamtschuldnerausgleich aufgenommen werden muss, diese Geschäftsgebühr nachträglich an- zuheben, da der Rechtsanwalt an sein einmal ausgeüb- tes Ermessen gebunden sei. 3. GESCHÄFTSGEBÜHR IN SOZIALGERICHTLICHEN ANGELEGENHEITEN Das BSG hat in seinem Urteil vom 12.12.2019 6 6 BSG, Urt. v. 12.12.2019 – B 14 AS 48/18 R, RVGreport 2020, 218. ent- schieden, dass in sozialrechtlichen Angelegenheiten, z.B. im vorgerichtlichen Widerspruchsverfahren, die Ge- schäftsgebühr nach Nr. 2302 VV RVG zunächst ausge- hend von der Mittelgebühr – unter Anwendung der Kri- terien des § 14 I RVG – zu bestimmen ist. Erst in einem zweiten Schritt ist dann die auf diese Weise bestimmte Gebühr auf die Schwellengebühr zu kappen, wenn die Tätigkeit weder umfangreich noch schwierig war. Die angemessene Gebühr muss also konkret im Einzelfall bestimmt werden; „typisierende“ Bestimmungen (insb. auf Seiten der erstattungspflichtigen Behörde) sind un- zulässig. Weiter hat das BSG ausgeführt, dass der Rechtsanwalt zwar bei der Bestimmung der angemes- senen Gebühr gegenüber dem Mandanten an sein ein- mal ausgeübtes Ermessen gebunden ist. Diese Bindung wirkt jedoch nicht gegenüber einem erstattungspflichti- gen Dritten, z.B. der Behörde, so dass im Rahmen der Kostenerstattung der Rechtsanwalt auch eine höhere Gebühr ansetzen kann, solange diese angemessen i.S.v. § 14 I RVG ist. III. TERMINSGEBÜHR 1. TERMINSGEBÜHR BEI SCHRIFTLICHEM VERGLEICH IM VERFAHREN VOR DEN VERWALTUNGSGERICHTEN Auch für Angelegenheiten, in denen das KostRÄG 2021 noch nicht gilt, fällt nach einer Entscheidung des Hessi- schen VGH 7 7 Hess. VGH, Beschl. v. 30.3.2020 – 1 E 1105/19, RVGreport 2020, 260. eine Terminsgebühr nach Nr. 3104 I Nr. 1 VV RVG nicht nur dann an, wenn ein das gerichtliche Verfahren unmittelbar beendender Prozessvergleich i.S.v. § 106 S. 2 VwGO geschlossen wird; vielmehr kön- ne eine Terminsgebühr auch nach der bis zum 31.12. 2020 geltenden Gesetzesfassung abgerechnet werden, wenn mit oder ohne Beteiligung des Gerichts aufgrund der zwischen den Prozessvertretern geführten Korres- pondenz eine Einigung herbeigeführt wird, die zur Been- digung des Verfahrens führt. Insbesondere in der sozial- und verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ist um- BECK-BEVER, EIN BLICK ZURÜCK AUF WICHTIGE GEBÜHRENRECHTLICHE ENTSCHEIDUNGEN IM JAHR 2020 AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 3/2021 155

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