BRAK-Mitteilungen 3/2021

stritten, ob für den Anfall einer Terminsgebühr nach Anm. I Nr. 1 zu Nr. 3104 VV RVG ein gerichtlicher Ver- gleich i.S.v. § 101 I 2 SGG bzw. § 106 S. 2 VwGO erfor- derlich ist. Der Hessische VGH hat die Frage hier zugunsten des die Terminsgebühr beantragenden Rechtsanwalts ent- schieden – unter Hinweis auf den anderenfalls beste- henden Wertungswiderspruch zu Anm. II zu Nr. 3104 VV RVG, wonach eine Terminsgebühr bereits für auf die Erledigung des Verfahrens gerichtete Besprechungen mit dem Prozessgegner anfällt. In gleicher Weise hat nunmehr auch das OVG Berlin-Brandenburg mit Be- schluss vom 30.11.2020 8 8 OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 30.11.2020 – OVG 6 K 60/20; AGS 2021, 74. entschieden. Seit dem 1.1.2021 gilt aufgrund der Neufassung von Anm. I Nr. 1 zu Nr. 3104 VV RVG sowie zu Nr. 3106 VV RVG durch das KostRÄG 2021, dass die Terminsgebühr bereits dann anfällt, wenn „mit oder ohne Mitwirkung des Gerichts ein Vertrag i.S.d. Nr. 1000 VV RVG ge- schlossen wird oder eine Erledigung i.S.d. Nr. 1002 VV RVG eingetreten ist.“ 2. TERMINSGEBÜHR BEI SCHRIFTLICHEM VERGLEICH IM EINSTWEILIGEN VERFÜGUNGSVERFAHREN In der Zivilgerichtsbarkeit wird – anders als z.B. in der Sozial- und Verwaltungsgerichtsbarkeit (s.o.) – nach ganz herrschender Rechtsprechung eine Terminsgebühr nach Anm. I Nr. 1 zu Nr. 3104 VV RVG auch dann zuer- kannt, wenn kein Prozessvergleich nach § 278 VI ZPO geschlossen, sondern eine außergerichtliche Einigung erzielt wird, durch die der Rechtsstreit beendet werden kann. Der BGH hat mit Beschluss vom 7.5.2020 9 9 BGH, Beschl. v. 7.5.2020 – V ZB 110/19, RVGreport 2020, 343. nun entschieden, dass dies auch im einstweiligen Verfü- gungsverfahren gilt. Hier war bislang umstritten, ob im einstweiligen Verfügungsverfahren eine mündliche Ver- handlung „vorgeschrieben“ i.S.v. Anm. I Nr. 1 zu Nr. 3104 VV RVG ist. Dies wurde zum Teil verneint unter Hinweis darauf, dass die Gerichte gem. den §§ 936, 922 ZPO ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheiden können. Der BGH hat nun klargestellt, dass eine mündliche Verhandlung auch dann i.S.d. Gebüh- renrechts „vorgeschrieben“ ist, wenn das Gericht nicht nach eigenem Ermessen auf eine mündliche Verhand- lung verzichten und durch Beschluss entscheiden kann, sondern nur dann, wenn bestimmte gesetzliche Voraus- setzungen erfüllt sind. Für das einstweilige Verfügungsverfahren bedeutet dies, dass grundsätzlich mündlich zu verhandeln ist und nur in den in § 937 II ZPO ausdrücklich geregelten Fäl- len ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss ent- schieden werden darf. Damit könne eine Terminsgebühr nach Anm. I Nr. 1 zu Nr. 3104 VV RVG auch im einst- weiligen Verfügungsverfahren grundsätzlich anfallen, und zwar selbst dann, wenn der Prozessbevollmächtig- te des Antragstellers eine Entscheidung ohne münd- liche Verhandlung angeregt habe. 3. TERMINSGEBÜHR BEI VOLLSTÄNDIGEM OBSIEGEN DURCH GERICHTSBESCHEID? Entscheidet ein Verwaltungsgericht oder Sozialgericht statt durch Urteil durch Gerichtsbescheid, entsteht eine fiktive Terminsgebühr nach Anm. I Nr. 2 zu Nr. 3104, Nr. 3106 VV RVG dann, wenn eine mündliche Verhand- lung beantragt werden kann. Umstritten ist, ob auch von Seiten der vollständig obsiegenden Partei „eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann“. Wäh- rend der VGH München in seinem Beschluss vom 27.2. 2020 10 10 VGH München, Beschl. v. 27.2.2020 – 8 C 18.1889, juris Rn 13. ein Antragsrecht bejaht und damit eine fiktive Terminsgebühr zuerkannt hat, lehnte dies das OVG Ber- lin-Brandenburg mit Beschluss vom 24.6.2020 11 11 OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 24.6.2020 – OVG 3 K 135.19, AGS 2020, 382. ab. Der obsiegenden Partei fehle das Rechtsschutzbedürf- nis für einen Antrag auf mündliche Verhandlung. Auch könne der Kostenbeamte ohne Aufwand prüfen, ob eine Partei vollständig obsiegt habe und damit ein Antrag auf mündliche Verhandlung mangels Rechtsschutzbe- dürfnis unzulässig sei. Dass der Rechtsanwalt der un- terlegenen Partei eine fiktive Verhandlungsgebühr er- halten könne, sei im Hinblick auf die Steuerungsfunk- tion von Anm. I Nr. 2 zu Nr. 3104 VV RVG sachlich ge- rechtfertigt. Im gegenteiligen Sinne hat zuletzt wieder das VG Mün- chen 12 12 VG München, Beschl. v. 6.8.2020 – M 21aM 18.30789, AGS 2020, 475. entschieden und eine fiktive Terminsgebühr zu- gunsten der obsiegenden Partei auch bei stattgeben- dem Gerichtsbescheid zuerkannt. 4. TERMINSGEBÜHR BEI TEILWEISER KLAGERÜCKNAHME Nimmt ein Rechtsanwalt im Termin zur mündlichen Ver- handlung die Klage teilweise zurück, entsteht die Ter- minsgebühr selbst dann aus dem vollen ursprünglichen Streitwert, wenn die teilweise Klagerücknahme zuvor angekündigt war. Dies hat das OLG Frankfurt mit Be- schluss vom 5.2.2020 13 13 OLG Frankfurt, Beschl. v. 5.2.2020 – 18 W 132/19, RVGreport 2020, 225. entschieden. Maßgeblich sei gem. Vorbem. 3 III 1 Hs. 1 VV RVG, ob die Klage vor Aufruf der Sache teilweise zurückgenommen werde. Da- rauf, ob über den zurückgenommenen Teilanspruch tat- sächlich verhandelt worden sei, komme es für den An- fall der Terminsgebühr nicht an, da die Wahrnehmung eines Termins mit dem Aufruf der Sache und nicht mit dem Stellen von Anträgen beginne. Anders liegt der Fall, wenn vor Aufruf der Sache die (teilweise) Klage- rücknahme schon bei Gericht eingegangen war. Dann fällt nach herrschender Meinung für den Beklagten selbst dann keine Terminsgebühr aus dem vollen Wert an, wenn er von der Klagerücknahme keine Kenntnis hatte. Steht fest, dass im Termin zur mündlichen Verhandlung die Klageforderung teilweise nicht weiterverfolgt wer- den soll, sollte mithin im Kosteninteresse unbedingt vor dem Verhandlungstermin eine teilweise Klagerücknah- me bei Gericht eingehen. BECK-BEVER, EIN BLICK ZURÜCK AUF WICHTIGE GEBÜHRENRECHTLICHE ENTSCHEIDUNGEN IM JAHR 2020 BRAK-MITTEILUNGEN 3/2021 AUFSÄTZE 156

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