BRAK-Mitteilungen 3/2021

5. KEINE BERÜCKSICHTIGUNG VON WARTEZEITEN BEI EINER ALS RAHMENGEBÜHR ANFALLENDEN TERMINSGEBÜHR Wie sich ein verspäteter Terminsbeginn auf die Bemes- sung der Terminsgebühr auswirkt, hatte das LSG Baden- Württemberg 14 14 LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 30.4.2020 – L 10 SF 3796/18 E-B, AGS 2020, 389. zu entscheiden, wobei Grundlage noch der Wortlaut von Vorbemerkung 3 III VV RVG a.F. (bis 31.7.2013) war. Dort ist ausdrücklich von einer Vertre- tung „in“ einem Gerichtstermin die Rede, wozu die War- tezeit „vor“ einem Gerichtstermin nicht gehöre. Zudem sei – auch nach jetzt geltender Gesetzesfassung – aus der Vorbem. 4 III 2 VV RVG als argumentum e contrario zu schließen, dass bei Teil 3 des VV gerade keine plan- widrige Regelungslücke des Gesetzgebers vorliege, die das Berücksichtigen von Wartezeiten erlaube. Durch das Kostenrechtsänderungsgesetz (KostRÄG) 2021 15 15 Dazu ausf. Witte , BRAK-Mitt. 2021, 2 sowie Beck-Bever/Witte, BRAK-Mitt. 2020, 244. wurde für die Gebühren des Verteidigers eine neue Regelung in Vorbem. 4.1 III VV RVG eingefügt, wo- nach auch Wartezeiten und Unterbrechungen in einer Hauptverhandlung als Teilnahme zu berücksichtigen sind, sofern sie nicht vom Rechtsanwalt zu vertreten sind bzw. die Dauer von einer Stunde nicht überschrei- ten und der Fortsetzungszeitpunkt feststeht (weil dann der Rechtsanwalt seine Arbeitszeit anderweitig nutzen können soll). Ob in Zukunft diese auf Strafverfahren zu- geschnittene Regelung auf Teil 3 des VV übertragen werden kann, bleibt abzuwarten. 6. ZUSATZGEBÜHR BEI BESONDERS UMFANGREICHEN BEWEISAUFNAHMEN Zu der mit dem 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz (KostRMoG) eingeführten Nr. 1010 VV RVG gibt es äu- ßerst wenige Gerichtsentscheidungen. Die Ursache hierfür liegt klar auf der Hand: Die Voraussetzungen dieser „Zusatzgebühr für besonders umfangreiche Be- weisaufnahmen“ sind derart hoch, dass die 0,3-Gebühr fast nie anfällt. Das OLG München hat dies in seinem Beschluss vom 26.6.2020 16 16 OLG München, Beschl. v. 26.6.2020 – 11 W 674/20, AGS 2020, 374. klar herausgearbeitet und kritisiert, dass die Vorschrift sowohl vom Wortlaut als auch von der Gesetzesbegründung her „an Deutlichkeit zu wünschen übrig lässt“. Im konkreten Fall hätte der 11. Zivilsenat dem Klägervertreter gerne die Zusatzgebühr zuerkannt – hatten doch insgesamt fünf Gerichtstermine stattge- funden, zwei davon mit Sachverständigen- und Zeugen- anhörungen; bei einem dritten Termin war der Sachver- ständige geladen, ohne dass es zu einer Anhörung kam. Im Hinblick auf den Wortlaut der Vorschrift, wonach an mindestens drei gerichtlichen Terminen Zeugen oder Sachverständige vernommen werden müssen, sah das OLG keine Möglichkeit, die Zusatzgebühr zuzuerkennen – auch deshalb, weil der Kostenbeamte die Vorausset- zung einer „besonders umfangreichen Beweisaufnah- me“ häufig selbstständig nicht abschließend beurteilen könne und daher auf das leicht nachprüfbare Kriterium der drei Gerichtstermine mit Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen angewiesen sei. IV. PKH/VKH PKH/VKH BEI MEHRVERGLEICH Schon nach der bis zum 31.12.2020 geltenden Fassung des § 48 I RVG war spätestens seit der klarstellenden Entscheidung des BGH vom 17.1.2018 17 17 BGH, Beschl. v. 17.1.2018 – XII 248/16, AGS 2018, 141. einhellige Mei- nung, dass die bedürftige Partei einen Anspruch auf Er- streckung der Verfahrenskostenhilfe auf den Mehrwert des Vergleichs hat und nach Erstreckung der Anwalt nicht nur die Einigungsgebühr, sondern auch die Ver- fahrensdifferenzgebühr sowie die erhöhte Terminsge- bühr abrechnen darf. Umstritten ist jedoch – und daran ändert auch die Neufassung des § 48 RVG durch das KostRÄG 2021 nichts –, ob es eines expliziten Antrags des Rechtsanwalts auf Erstreckung der PKH/VKH auf den Mehrvergleich bedarf. Das OLG Koblenz hat in sei- nem Beschluss vom 16.12.2019 18 18 OLG Koblenz, Beschl. v. 16.12.2019 – 13 W 1035/19, AGS 2020, 293; ebenso: LAG Hessen, Beschl. v. 16.9.2020 – 4 Ta 67/19, AGS 2020, 294. entschieden, dass je- denfalls dann, wenn über die PKH/VKH noch nicht ent- schieden wurde, von einem konkludenten Antrag des Anwalts auf Erstreckung der PKH/VKH auch auf den Mehrvergleich ausgegangen werden kann. Anders liegt es nach Auffassung des OLG jedoch dann, wenn vor Ab- schluss des Mehrvergleichs bereits über die PKH/VKH entschieden wurde. Dann bedarf es eines Beschlusses, der die Erstreckung der bereits bewilligten PKH/VKH auf den Abschluss des Mehrvergleichs ausspricht, und eines dementsprechenden Antrages des Rechtsanwalts. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung sollte sich der Rechtsanwalt vor Abschluss des Mehrvergleichs stets vergewissern, ob dieser vom Beschluss über die PKH/VKH erfasst ist, und vorsorglich einen entspre- chenden Antrag stellen. V. GEGENSTANDSWERT Insbesondere Familienrechtler/innen beschäftigen sich häufig mit der Auseinandersetzung von gemeinsamem Immobilienvermögen bei Trennung oder Scheidung der Eheleute. Oftmals übernimmt einer der Ehegatten den im Eigentum des anderen Ehegatten stehenden hälfti- gen Miteigentumsanteil; als Gegenleistung wird (u.a.) regelmäßig die Freistellung des übertragenen Ehegat- ten im Innenverhältnis von den gemeinsamen Darle- hensverbindlichkeiten gegenüber den Kreditinstituten durch den übernehmenden Ehegatten vereinbart. Das OLG Hamm hat mit Urteil vom 27.7.2018 19 19 OLG Hamm, Urt. v. 27.7.2018 – I-33 U 2/18, AGS 2020, 290. entschie- den, dass der einen Ehegatten vertretende Rechtsan- AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 3/2021 157

RkJQdWJsaXNoZXIy ODUyNDI0