BRAK-Mitteilungen 3/2021
z.B. durch ein System der Rückfrage in der Kanzlei jedenfalls abstrakt ausscheidet. (eigener Ls.) BayVGH, Beschl. v. 10.3.2021 – 19 ZB 20.1712 Der Antrag auf Zulassung der Berufung war per Fax beim zuständigen OVG (hier: „VGH in Ansbach“) einge- reicht worden. Für die Übermittlung der Antragszulas- sungsbegründung am Tag des Fristablaufs wurde das beA gewählt, als Adressat wurde zutreffend ebenfalls der „VGH in Ansbach“ angegeben. Allerdings fand sich im beA kein Postfach für den VGH in Ansbach. Ein kurzer Blick auf die Homepage des Bay- VGH hätte deutlich gemacht, dass es sich bei dem „VGH in Ansbach“ um eine bloße Außenstelle handelt, das zuständige Gericht mithin der Bayerische Verwal- tungsgerichtshof ist, der über ein eigenes beA-Postfach verfügt. Diesen Blick wagte die Mitarbeiterin aber an- scheinend nicht, sondern rief beim VG Ansbach (Vorin- stanz) an, wo man ihr angeblich mitteilte, das Doku- ment solle an das VG München versandt werden, von wo es weitergeleitet werden würde. Die Weiterleitung von dort an den BayVGH in Ansbach erfolgte allerdings erst 16 Tage später. Wiedereinsetzung gab es hier nicht. Die Weiterleitung nach erst 16 Tagen thematisiert der BayVGH nicht ein- mal – allerdings hätte auch eine schnellere Weiterlei- tung innerhalb weniger Tage die Frist nicht mehr ge- wahrt. Der BayVGH macht deutlich, dass das Vertrauen auf die Aussage des offenkundig nicht besonders sachkun- digen Gesprächspartners beim VG Ansbach unange- bracht war. Jedenfalls aber sieht er ein Manko in der Büroorganisation – und damit ein Verschulden des An- walts – darin, dass er das Personal im Hinblick auf die mit der „Außenstellenzuständigkeit“ einhergehenden besonderen Anforderungen nicht hätte „allein laufen lassen“ dürfen. Solange noch keine Routine da ist, muss das Personal angehalten werden, bei allen auftreten- den Unsicherheiten oder Unklarheiten rückzufragen. Dafür dürfte im Zusammenhang mit dem beA derzeit in vielen Kanzleien noch Anlass bestehen. (ju) ANSPRUCH AUF BESONDERE FAIRNESS BEI FEHLERN DES GERICHTS Eine unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung des Ge- richts schafft einen Vertrauenstatbestand auch für den Rechtsanwalt, sofern die Belehrung nicht offen- kundig unrichtig ist. Die Anforderungen an die Ge- währung von Wiedereinsetzung sind dann mit be- sonderer Fairness zu handhaben. (eigener Ls.) BVerfG, Beschl. v. 4.9.2020 – 1 BvR 2427/19, NJW 2021, 915; FamRZ 2021, 40 Die Beschwerdeführerin hatte beantragt, sie nach § 274 IV Nr. 1 FamFG am Betreuungsverfahren ihrer Mutter zu beteiligen. Das AG wies den Antrag zurück. Der Beschluss enthielt eine Rechtsbehelfsbelehrung, der zufolge er binnen eines Monats mit der Beschwerde angefochten werden könne. Die allgemeine Monatsfrist für Beschwerden in Familiensachen ist in § 63 I FamFG geregelt. Hier war der richtige Rechtsbehelf jedoch eine sofortige Beschwerde nach § 7 V 2 FamFG, für die die Frist gem. § 569 ZPO nur zwei Wochen betrug. Erst nach Ablauf dieser zwei Wochen beauftragte die Beschwerdeführerin einen Anwalt mit ihrer Vertretung; dieser legte innerhalb der vermeintlichen Monatsfrist Beschwerde ein. Einen Antrag auf Wiedereinsetzung stellte er erst, nachdem das Beschwerdegericht Monate später auf die Verfristung hingewiesen hatte. Das LG verwarf die Beschwerde als unzulässig. Der Anwalt ha- be erkennen müssen, dass die Beschwerdefrist zum Zeitpunkt seiner Mandatierung bereits abgelaufen war, und hätte nach § 18 FamFG, §§ 234, 236 ZPO binnen zwei Wochen Wiedereinsetzung beantragen müssen. Das BVerfG hob den Beschluss auf und verwies die Sa- che zurück. Die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin sei offensichtlich begründet. Sie sei in ihrem Anspruch auf ein faires Verfahren aus Art. 2 I i.V.m. Art. 103 GG verletzt. Wenn die Fristversäumung, wie hier, auf einem Fehler des Gerichts beruhe, seien die Wiedereinset- zungsregeln mit besonderer Fairness zu handhaben. 4 4 BVerfGE 40, 88; 67, 208. Die vom LG gestellten Anforderungen an die Gewäh- rung von Wiedereinsetzung seien nicht mehr vertretbar. Die fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung sei für die Frist- versäumung ursächlich geworden. Auch ein Anwalt dür- fe grundsätzlich auf die Richtigkeit einer gerichtlichen Rechtsbehelfsbelehrung vertrauen. Etwas anderes gelte nur dann, wenn die Belehrung so offenkundig falsch sei, dass sie nach dem bei einem Anwalt vorauszusetzen- den Kenntnisstand nicht einmal den Anschein der Rich- tigkeit erwecken könne. 5 5 BGH, NJW-RR 2018, 385; NJW 2014, 517. Dies sei hier nicht der Fall, da hier die im Regelfall anwendbare Monatsfrist nach § 63 I FamFG genannt worden sei. Offenkundigkeit bedeute, dass der Fehler ohne nähere Rechtsprüfung erkennbar sein müsse. Eine generelle Obliegenheit zur Überprü- fung gerichtlicher Rechtsbehelfsbelehrungen sei – auch bei anwaltlicher Vertretung – abzulehnen. Der Anwalt müsse – insofern – nicht klüger sein als das zuständige Fachgericht. 6 6 BGH, NJW 1993, 3206. Dies ist eine erfreuliche Feststellung, aber leider nicht verallgemeinerungsfähig, man denke an die ständige BGH-Rechtsprechung, wonach der Anwalt ver- pflichtet ist, Gerichte von Fehlern zu Lasten des Man- danten abzuhalten. 7 7 Z.B. BGH, NJW-RR 2003, 850; NJW 2009, 987. Der Anwalt hatte übrigens auch aus eigenem Recht Verfassungsbeschwerde erhoben und eine Verletzung seines Grundrechts auf freie Berufsausübung (Art 12 I GG) gerügt. Diese Beschwerde wurde als unzulässig verworfen, da sie nicht den Begründungsanforderun- gen genüge. (hg) BRAK-MITTEILUNGEN 3/2021 AUFSÄTZE 162
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