BRAK-Mitteilungen 3/2021
ANWALTSVERSCHULDEN TROTZ FALSCHER RECHTSBEHELFSBELEHRUNG 1. Die Versäumung einer Rechtsmittelfrist ist auch in den Fällen einer unrichtigen Rechtsbehelfsbeleh- rung nicht unverschuldet, wenn diese offenkundig falsch gewesen ist und deshalb – ausgehend von dem bei einem Rechtsanwalt vorauszusetzenden Kenntnisstand – nicht einmal den Anschein der Rich- tigkeit zu erwecken vermochte. 2. Dass Beschwerden gegen Endentscheidungen im Verfahren der einstweiligen Anordnung nach § 57 S. 2 FamFG (hier: über die elterliche Sorge für ein Kind) gem. § 63 II 2 Nr. 1 FamFG binnen einer Frist von zwei Wochen einzulegen sind, gehört zu den verfahrensrechtlichen Grundkenntnissen eines im Familienrecht tätigen Rechtsanwaltes, auch wenn es sich nicht um einen Fachanwalt für Familienrecht handelt. OLG Bremen, Beschl. v. 25.3.2021 – 4 UF 25/21 Ein Beschluss des AG auf vorläufige Entziehung der el- terlichen Sorge wurde mit der falschen Rechtsbehelfs- belehrung versehen, dass hiergegen innerhalb eines Monats Beschwerde zum AG eingelegt werden könne. Auch hier wurde die allgemeine Frist gem. § 63 I FamFG genannt. Da es sich um eine einstweilige Anord- nung handelte, betrug die Frist gem. § 63 II Nr. 1 FamFG tatsächlich aber nur zwei Wochen. Die Versäumung der Frist (und zwar durch die verschie- denen Anwälte beider Elternteile; einer davon Fachan- walt für Familienrecht) beruhe, so das OLG, auf einem Anwaltsverschulden; die Rechtsbehelfsbelehrung sei so offenkundig falsch, dass sie ausgehend von dem bei einem Anwalt vorauszusetzenden Kenntnisstand nicht einmal den Anschein der Richtigkeit habe erwecken können. Das Wissen um die unterschiedliche Fristenre- gelung in § 63 I und II FamFG gehöre zu den verfah- rensrechtlichen Grundkenntnissen eines im Familien- recht tätigen Anwalts. Die Vermutung für fehlendes Ver- schulden nach § 17 II FamFG komme daher nicht zum Tragen. Auch wenn der Fall etwas anders gelagert ist als in der oben besprochenen BVerfG-Entscheidung, begegnet es erheblichen Bedenken, dass hier die Offenkundigkeit des Fehlers der Rechtsbehelfsbelehrung bejaht wird. Das BVerfG hat hierfür als Maßstab gesetzt, dass der Fehler ohne nähere Rechtsprüfung erkennbar sein müs- se. Dies erscheint doch fraglich. Eine Verfassungsbeschwerde dürfte hier allerdings kaum Erfolgsaussichten gehabt haben, weil beide An- wälte ihre Beschwerden zudem nicht beim nach § 64 I 1 FamFG zuständigen AG (iudex a quo), sondern direkt beim OLG (iudex ad quem) eingereicht hatten (und zwar entgegen der insofern zutreffenden Rechtsbehelfs- belehrung), so dass die Beschwerden auch deswegen nicht fristwahrend waren. (hg) EIGENVERANTWORTLICHE PRÜFUNG VON SCHRIFTSÄTZEN Steht nach den Umständen außer Zweifel, dass ein Anwalt einen fristgebundenen Schriftsatz ohne eige- ne Prüfung unterzeichnet hat, kommt diesem keine fristwahrende Wirkung zu. Dies ist etwa der Fall, wenn der Anwalt eine 81 Seiten umfassende Beru- fungsbegründung einreicht, deren erste und letzte Seite (mit der Unterschrift des Anwalts) hinsichtlich Formatierung, Stil und Inhalt vom Rest erkennbar abweichen und der Inhalt des Hauptteils einschließ- lich der Anträge wirr ist und darauf schließen lässt, dass er nicht von einem Anwalt verfasst wurde. BGH, Beschl. v. 11.2.2021 – V ZR 137/20 Der Anwalt hatte eine 81 Seiten umfassende Berufungs- begründung eingereicht, deren erste und letzte Seite (die mit der Unterschrift des Anwalts) in Schriftart, For- matierung, Stil und Inhalt erheblich vom Hauptteil ab- wichen. Letzterer bestand in weiten Teilen aus unver- ständlichen, wirren Ausführungen, die juristische Fach- kenntnisse vermissen ließen. Dies galt nicht nur für die Begründung, sondern auch für die Anträge, die sich über die Seiten 1 bis 5 und 72 bis 81 erstreckten. Das Berufungsgericht verwarf die Berufung als unzulässig, weil sie entgegen §§ 520 III, 78 I ZPO nicht von einem postulationsfähigen Anwalt begründet worden sei. Die dagegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde wurde vom BGH zurückgewiesen. Die Unterzeichnung einer Berufungsbegründung durch einen postulationsfähigen Anwalt stelle keine bloße For- malität dar, sondern sei äußerer Ausdruck für die vom Gesetz geforderte eigenverantwortliche Prüfung des In- halts. Sie müsse das Ergebnis der geistigen Arbeit des Anwalts sein. Zwar sei es zulässig, die Berufungsbe- gründung z.B. durch einen Referendar oder Assessor vorbereiten zu lassen. Der Anwalt müsse den Entwurf aber selbstständig prüfen und die volle Verantwortung für den Schriftsatz übernehmen. Im Regelfall genüge hierfür das äußere Merkmal der Unterschrift. Anders sei es, wenn der Anwalt sich durch einen Zusatz selbst von dem Schriftsatz distanziere oder wenn außer Zwei- fel stehe, dass er den Schriftsatz ohne eigene Prüfung unterschrieben habe. Hierzu zählten insbesondere Rechtsmittelbegründun- gen, die weitgehend unverständlich seien und nach de- ren Inhalt ausgeschlossen werden könne, dass der An- walt sie in der gebotenen Weise überprüft habe. Damit setzt der BGH seine Rechtsprechung zu dieser offenbar gar nicht so seltenen Fallgruppe fort. 8 8 Z.B. BGH, Beschl. v. 23.6.2005 – V ZB 45/04, NJW 2005, 2709 m. Anm. Grams , BRAK-Mitt. 2005, 233; Beschl. v. 24.1.2008 – IX ZB 258/05, NJW 2008, 1311 m. Anm. Jungk , BRAK-Mitt. 2008, 115. (hg) DEMNÄCHSTIGE ZUSTELLUNG, WENN KLAGE NOCH ÜBERSETZT WERDEN MUSS Die Zustellung der Klage in einem anderen EU-Mit- gliedsstaat erfolgt „demnächst“, wenn der Kläger JUNGK/CHAB/GRAMS, PFLICHTEN UND HAFTUNG DES ANWALTS EINE RECHTSPRECHUNGSÜBERSICHT AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 3/2021 163
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