BRAK-Mitteilungen 3/2021
den Zedenten und der Kl. – Anlage GL 12) selbst er- wähnt, konnte die Kl. nicht billigerweise damit rechnen, dass die Bekl. schon auf eine entsprechende außerge- richtliche Geltendmachung hin leisten würden. Die for- mell in den Vereinbarungen vorgesehene Variante der außergerichtlichen Geltendmachung ging folglich von vorneherein ins Leere.“ (LG München I, NZKart 2020, 145, 147). [280] Die betreffenden Voraussetzungen sind hier ent- sprechend erfüllt, da hier ebenfalls eine Reihe schwieri- ger Rechtsfragen zu klären war, so dass mit einer au- ßergerichtlichen Erfüllung – zumal sämtlicher Schuldner für sämtliche Forderungen – nicht ernstlich zu rechnen war. Vorliegend kommt dazu, dass nach dem Vorbrin- gen der Kl. einzelne Zedenten zunächst ohne die Kl. au- ßergerichtliche Anspruchsschreiben an Bekl. gesendet hatten, welche aber zurückgewiesen worden waren; mindestens für diese Zedenten war somit noch klarer, dass eine (weitere) außergerichtliche Geltendmachung durch die Kl. wenig aussichtsreich erschien. [281] Namentlich in den Fällen des hier streitgegen- ständlichen „Zuckerkartells“ war die vorgerichtliche Ei- nigung auch deswegen unwahrscheinlich, weil die drei großen Zuckerhersteller Einwendungen ganz grundsätz- licher Art – wie etwa die besonderen Regelungen der ZMO als Kartellwirkungen ausschließende Preisbil- dungsmechanismen – gegen einen Ausgleich erhoben haben. [282] Vorliegend ist zudem auch nicht ersichtlich, dass die Kl. vorprozessual überhaupt an die Bekl. herange- treten ist. Jedenfalls an die Bekl. zu 2) wendete sich die Kl. erstmals mit Schreiben v. 2.5.2017, d.h. nach der Klagerhebung v. 16.2.2017. Im Übrigen würde auch ein (teilweises) vorprozessuales Herantreten an die Bekl. zu keiner anderen Bewertung führen. Denn auch dann, wenn mit einer außergerichtlichen Einigung nicht ernst- lich zu rechnen ist, ist die vorgerichtliche Auseinander- setzung über die Forderung natürlich nicht ausge- schlossen und ggf. naheliegend, und wenn nur zu dem Zweck, die rechtlichen und tatsächlichen Positionen der Gegenpartei auszuloten und zudem die Voraussetzun- gen des § 93 ZPO sicher auszuschließen. [283] I.E. ist daher von einer wenn auch möglicherwei- se nicht ausschließlichen, so bei realistischer Betrach- tung doch jedenfalls ganz vorrangigen Ausrichtung auf eine gerichtliche Durchsetzung der Ansprüche auszuge- hen (vgl. entsprechend für Fälle des LKW-Kartells LG München I, Endurt. v. 7.2.2020 – 37 O 18934/17, BeckRS 2020, 841 Rn. 119 ff.). [284] (cc) Diesem Ergebnis steht nicht entgegen, dass der BGH Pflichten zur Beauftragung einer gerichtlichen Rechtsdurchsetzung nicht grundsätzlich als mit dem RDG unvereinbar betrachtet. Denn in dem vom BGH entschiedenen Fall stand die außergerichtliche Durch- setzung viel mehr im Zentrum sowohl der objektiven Vertragszwecke als auch der vertraglichen Einzelrege- lungen zwischen Zessionar und Zedent. Der BGH führte diesbezüglich aus, dass im dort zu entscheidenden Fall vertraglich eine vorrangige außergerichtliche An- spruchsdurchsetzung geregelt war; nur, wenn diese nicht zum Erfolg führte, und nur „bei entsprechenden Erfolgsaussichten“ durfte (nicht: musste) der dortige Dienstleister auch das gerichtliche Verfahren initiieren (BGH, Urt. v. 27.11.2019 – VIII ZR 285/18, BeckRS 2019, 30591 Rn. 4-6). Der Schwerpunkt der außerge- richtlichen Durchsetzung drückte sich ferner in detail- lierten Regelungen der Vergütung gerade für die außer- gerichtliche Tätigkeit aus. In all dem unterscheidet sich der Fall des BGH somit von dem vorliegenden. Unter dem Aspekt, dass der BGH die von ihm behandelte und (weitaus) näher am Leitbild der klassischen Inkassotä- tigkeit anzusiedelnde Konstellation ausdrücklich (nur) als „noch“ mit dem Inkassobegriff vereinbar ansah, liegt nahe, dass in anderen Konstellationen, die sich so- gar noch weiter von diesem Leitbild entfernen, anders entschieden werden kann und soll. [285] (4) Unabhängig von den vorstehenden Ausfüh- rungen führt auch eine kumulative Betrachtung der Umstände des vorliegenden Falles in Relation zum In- kassoleitbild dazu, dass die vertraglichen Pflichten der Kl. keine Inkassodienstleistung i.S.d. §§ 10 I 1 Nr. 1, 2 II 1 RDG (mehr) darstellen. Die Umstände des vorliegen- den Einzelfalls im Zusammenspiel bedingen, dass die gesetzliche Funktion, die der Inkassodienstleistung zu- kommt, nicht mehr hinreichend angesprochen wird: [286] (a) Atypisch ist zunächst, dass hier bereits die vor- gerichtliche, erst recht aber die gerichtliche Durchset- zung mehr als eine für Inkasso als typisch angesehene „grobe Schlüssigkeitsprüfung“ (s. Hartmann , NZM 2019, 353, 358) erforderte. [287] (b) Anders als im typischen Fall stand und steht – wie oben ausgeführt – die gerichtliche Durchsetzung hier ganz im Vordergrund. [288] (c) Ebenfalls anders als im typischen Fall war Gerichtliche Durchsetzung im Vordergrund nicht davon auszugehen, dass keine Einwände des Schuldners bestehen (vgl. zu diesem Typizitätskriteri- um Hartmann , NZM 2019, 353, 358). [289] (d) In Ansehung der Komplexität der Rechtsfra- gen in einem Kartellschadensersatzfall dürften die typi- scherweise vorhandenen Rechtskenntnisse bei einem Inkassodienst nicht mehr hinreichend sein. Für das Leit- bild ist insofern entscheidend, dass für die Zulassung des Dienstleisters laut § 2 I RDV im Regelfall ein 120 Zeitstunden umfassender Sachkundelehrgang (§ 4 RDV) ausreicht (s. Hartmann , NZM 2019, 353, 358). Unabhängig von der Problematik, dass das Kartellrecht schon sachlich überhaupt nicht der nachzuweisenden Sachkunde (§ 11 I RDG) des Inkassodienstleisters unter- fällt, sind es jedenfalls Quantität und Qualität der kom- plexen kartellrechtlichen Rechtsfragen des vorliegenden Einzelfalles, welche diesen ganz aus dem Rahmen einer Inkassoforderung fallen lässt. Nicht zufällig zeichnen sich die Schriftsätze der Kl. wie der Bekl. im vorliegen- RECHTSDIENSTLEISTUNGSGESETZ BRAK-MITTEILUNGEN 3/2021 BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG 180
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