BRAK-Mitteilungen 3/2021

haupteten Schadensersatzansprüche entweder für die direkten oder die indirekten Abnehmer – den Zedenten gleichgültig gewesen sein sollte. Immerhin war Zweck der Zession ja die Durchsetzung von Ansprüchen, nicht der Verzicht darauf. Die Chancen einer gesammelten Rechtsdurchsetzung hätten sich durch die Abtretung für die unterschiedlichen Gruppen von Zedenten ja auch nicht zwangsläufig verbessert, denn die Zessiona- rin kann aus den dargestellten Gründen nicht gleichzei- tig eine Weiterwälzung vollständig behaupten und be- streiten, bei gesonderten Klagen durch die direkten Ab- nehmer einerseits und die indirekten Abnehmer ande- rerseits wäre dies dagegen grundsätzlich möglich, so- weit nicht z.B. Streitverkündungen zu einer Bindungs- wirkung führen würden. [365] Außerdem fehlte den Zedenten – erst recht im Zeitpunkt der damaligen Abtretungen – die erforder- liche Kenntnis aller Umstände, um die Frage eines Inte- ressenwiderspruchs überhaupt verlässlich beurteilen zu können. Die Kl. selbst behauptet nicht, dass sie den Ze- denten im Voraus im Einzelnen aufgezeigt hätte, in wel- cher Weise sie den behaupteten Schaden teilweise auf behauptetes erfolgtes, teilweise auf behauptetes unter- bliebenes Passing-on stützen und damit den Schaden entweder zu den direkten oder indirekten Abnehmern hin – und damit von den jeweils anderen Abnehmern weg – verschieben wollte. Das Informationsschreiben der Kl. Anlage K89 nennt hierzu u.a. jedenfalls nur eine – in der konkreten Umsetzung völlig unbestimmte – „ausgewogene Berücksichtigung der Interessen und An- sprüche von Industriekunden und Handelsunterneh- men“. Insoweit kann auch kein wirksames Einverständ- nis der Zedenten mit dem Interessenwiderstreit bei der Kl. angenommen werden. [366] Ebensowenig können wenigstens einzelne Abtre- tungen dadurch dem Interessenwiderspruch entzogen und wenigstens deren Wirksamkeit herbeigeführt wer- den, indem isoliert nur die Interessen des Zedenten zu 1) und damit dessen Abtretung berücksichtigt wer- den, weil die Kl. zunächst für diesen tätig gewesen wä- re (...). Dem steht schon entgegen, dass das Geschäfts- modell der Kl. ja ausdrücklich gerade die Zusammen- fassung von Zedenten unterschiedlicher Marktstufen umfassen sollte, sodass der Interessengegensatz von vornherein angelegt war und auch nicht durch eine (letztlich zufällige) zeitliche Abfolge der Abtretungen (teilweise) entfallen würde. Außerdem lässt sich eine klare zeitliche Abfolge gar nicht feststellen, denn die dingliche Abtretung des Zedenten zu 1) ist ausweislich der Anlage K11b am 26.1./2.2.2017 erfolgt und lag da- mit zeitlich nicht einmal vor den dinglichen Abtretun- gen anderer Zedenten, wie etwa der Zedenten zu 51) und 63), die ebenfalls am 26.1./2.2.2017 vorgenom- men worden sind. Für die Beurteilung der dinglichen Wirksamkeit der Abtretung kann nur der Zeitpunkt der eigentlichen dinglichen Abtretung selber entscheidend sein, nicht der Zeitpunkt dazu wohl getroffener – hier im Übrigen inhaltlich auch nicht weiter bekannter – schuldrechtlicher Vereinbarungen. [367] ((3)) § 88 GWB ändert an der Rechtslage nichts. Die Vorschrift bestimmt nur, dass mit einer Klage vor einem nach § 87 GWB zuständigen LG auch im recht- lichen oder unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammen- hang stehende andere Ansprüche verbunden werden können, für die das jeweilige LG sonst nicht zuständig wäre. [368] Die allgemeine Zulässigkeit einer Bündelung von Kartellschadensersatzsansprüchen durch Abtretung be- deutet nicht, dass Interessenwidersprüche unbeachtlich sind, sondern hat nur die Bündelung gleichgerichteter Ansprüche verschiedener Anspruchsinhaber im Blick. [369] Dasselbe gilt für die Tatsache, dass der gemein- schaftliche Kartellverstoß der Bekl. einen „im Ergebnis identischen Lebenssachverhalt“ darstellen mag. Auch aus einem identischen Lebenssachverhalt können unter- schiedliche Beteiligte widersprüchliche Interessen ver- folgen. [370] ((4)) Aus Unionsrecht lässt sich ebenfalls keine Keine Bündelung nach Unionsrecht Zulässigkeit der Bündelung von Ansprüchen mehrerer Marktstufen begründen, erst recht kein „unions- rechtliches Gebot einer wirksamen Bündelung von Er- satzansprüchen“ (...). Soweit die Kl. diese Zulässigkeit aus der Richtlinie RL 2014/104/EU herleiten will, schei- tert dies schon daran, dass diese Richtlinie nach ihrem Art. 22 I nur auf Ansprüche anwendbar ist, die nach dem 26.12.2014 entstanden sind. Die hier streitgegen- ständlichen Ansprüche sind alle (weit) vor dem 26.12. 2014 entstanden. Außerdem sieht die von der Kl. inso- weit in Bezug genommene Begriffsbestimmung „Scha- densersatzklage“ gerade eine Einschränkung vor, wenn es dort heißt ...: „Klage ... im Namen eines mutmaßlich Geschädigten oder mehrerer mutmaßlich Geschädigter – sofern diese Möglichkeit im Unionsrecht oder im na- tionalen Recht vorgesehen ist – ...“. Schließlich sprechen sich die Passing-on-Leitlinien der EU-Kommission (Abl. EU 2019 C 276/7) gerade nicht für die Geltendma- chung von Schadensersatzansprüchen mittelbarer und unmittelbarer Abnehmer durch dieselbe Klagepartei oder einen Interessengleichlauf zwischen mittelbaren und unmittelbaren Abnehmern aus, sondern sehen bei einer Schadensersatzklage eines indirekten Abnehmers – wie oben bereits ausgeführt – vielmehr einen mög- lichen Interessengleichlauf zwischen dem Rechtsverlet- zer und dem unmittelbaren Abnehmer: [371] „Andere Instrumente wie z.B. Verfahren des kol- lektiven Rechtsschutzes, Streitverkündung oder Beteili- gung Dritter sowie Möglichkeiten zur Verfahrensausset- zung können je nach nationalem Rechtssystem zur An- wendung kommen. So kann beispielsweise ein unmittel- barer Abnehmer der Schadensersatzklage eines mittel- baren Abnehmers gegen den Rechtsverletzer beitreten. In einem solchen Fall können sowohl der unmittelbare Abnehmer (der Streithelfer) als auch der Rechtsverlet- zer (der Bekl.) anführen, dass der Preisaufschlag nicht oder nicht vollständig an den mittelbaren Abnehmer (Kl.) abgewälzt wurde.“ (Abl. EU 2019 C 276/7, Rn. 28) RECHTSDIENSTLEISTUNGSGESETZ BRAK-MITTEILUNGEN 3/2021 BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG 188

RkJQdWJsaXNoZXIy ODUyNDI0