BRAK-Mitteilungen 3/2021

schen Lösung regeln, sondern der Bekl. hinsichtlich der technischen Umsetzung einen gewissen Spielraum be- lassen wollte, solange gemessen am aktuellen Stand der Technik eine sichere Kommunikation gewährleistet ist. Das von der Bekl. zu errichtende System hat nicht nur den Erfordernissen einer sicheren Kommunikation zwischen zwei Kommunikationspartnern zu genügen, sondern muss auch eine Nutzung durch Vertreter, Ab- wickler und Zustellungsbevollmächtigte ermöglichen (§ 31a III 2 BRAO, § 25 RAVPV) und den vom Postfach- inhaber Dritten nach § 23 RAVPV gewährten Zugang zu seinem besonderen elektronischen Postfach sicher re- geln. Die Verordnung bestimmt das technische Gesamt- konzept nicht in allen Details, sondern belässt der Bekl. einen Umsetzungsspielraum, wobei vorgegeben wird, durch wen und wozu das System nutzbar sein und wel- cher Mindeststandard eingehalten sein muss (vgl. für einen Spielraum z.B. §§ 22 III, 23 I und 24 I RAVPV). Zu- gleich hat der Verordnungsgeber an anderer Stelle teils sehr konkrete Vorgaben gemacht (vgl. z.B. § 25 III RAVPV). Dem ist zu entnehmen, dass der Verordnungs- geber bewusst teils sehr konkrete Vorgaben in den Ver- ordnungstext aufgenommen hat, an anderer Stelle aber Spielraum für die technische Umsetzung unter Einhal- tung der im Verordnungstext vorgesehenen Standards gewährt. [54] Die technische Nachrichtenübermittlung nach § 20 RAVPV zählt zu den Regelungen, bei denen der Verordnungsgeber erkennbar zwar einen bestimmten Rahmen gesteckt, innerhalb dieses Rahmens jedoch kei- ne detaillierten technischen Vorgaben formuliert hat. Diese Offenheit auch für künftige Entwicklungen zeigt sich u.a. darin, dass in § 20 I RAVPV auf den OSCI-Stan- dard oder einen künftig nach dem Stand der Technik an dessen Stelle tretenden Standard verwiesen wird. Eine Festlegung auf ein Detail des Gesamtprozesses – wie eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung i.S.d. europäischen Patentschrift EP 0 877 507 B1 v. 26.9.2007 – wider- spräche dem, zumal der Verordnungsgeber die von den Kl. befürwortete Nachrichtenverschlüsselung i.S.d. bei Erlass der Verordnung bereits über einen Zeitraum von neun Jahren bestehenden europäischen Patentschrift ohne Weiteres verbindlich in § 20 I RAVPV hätte vorge- ben können, wenn er dies gewollt hätte. Auch dies spricht dafür, dass der Verordnungsgeber mit Rücksicht auf die technische Komplexität des Gesamtsystems so- wie die fortlaufende Weiterentwicklung im Bereich der elektronischen Kommunikation eine technische Offen- heit gewährleisten wollte, die es bewusst vermeidet, die Bekl. auf eine bestimmte technische Lösung festzule- gen. [55] (1.4) Die historische Entwicklung der RAVPV zeigt, Historie und Zweck der RAVPV dass dem Verordnungsge- ber bei deren Verabschie- dung bereits das später in die Praxis umgesetzte Sys- tem der besonderen elektronischen Anwaltspostfächer bekannt war und dieses von ihm gebilligt und damit als sicherer Kommunikationsweg angesehen wurde. Die Bekl. hat unwidersprochen vorgetragen, dass im Zeit- punkt des Erlasses von §§ 19 und 20 RAVPV die von den Kl. kritisierte Architektur des besonderen elektroni- schen Anwaltspostfachs einschließlich der Umschlüsse- lung des Schlüssels im HSM bereits feststand und sie diese immer wieder mit den zuständigen Referatsleitern des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucher- schutz erörtert hat. Auch die Kl. gehen davon aus, dass sich das Ministerium über Jahre hinweg in einem steti- gen Austausch mit der Bekl. befand. [56] Der zeitliche Ablauf bestätigt dies: Der Entwurf der Verordnung wurde dem Bundesrat am 9.8.2016 zur Zu- stimmung zugeleitet (vgl. BR-Drs. 417/16, Anschreiben an den Präsidenten des Bundesrates). Die Verordnung stammt v. 23.9.2016 (BGBI. I S. 2167). Der Verord- nungsgeber ging dabei von einem Start des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs am 29.9.2016 aus (BR-Drs. 417/16, 18). Dies zeigt, dass die Verordnung in einem Zeitpunkt erstellt wurde, zu dem die Struktur des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs be- reits feststand. Denn eine Entwicklung des Gesamtkon- zepts innerhalb des kurzen Zeitraums zwischen dem Entwurf der Verordnung, deren Erlass und dem avisier- ten Start des besonderen elektronischen Anwaltspost- fachs ist ausgesprochen fernliegend und wird von den Kl. auch nicht behauptet. Dies deckt sich mit den von der Bekl. als Anlagen A 3a bis 3c vorgelegten, von der Firma Atos erstellten Schaubildern zur beA-Verschlüsse- lung aus dem Jahr 2014, aus denen bereits die heute verwirklichte Grundstruktur der Nachrichtenübermitt- lung einschließlich der Verwendung des HSM hervor- geht. [57] Die Kenntnis des Verordnungsgebers von der be- reits erarbeiteten Grundstruktur des besonderen elek- tronischen Anwaltspostfachs unter Einschluss des HSM vor Erlass der Verordnung spricht dafür, dass der Ver- ordnungsgeber diese Struktur gebilligt hat und diese von seinem Willen umfasst ist. Dies gilt umso mehr, als er in keiner Weise im Rahmen der Verordnung oder de- ren Begründung zum Ausdruck gebracht hat, dass ge- gen das damals bereits erarbeitete System bezüglich des vorgesehenen Übermittlungswegs von Nachrichten unter Umschlüsselung des zur Verschlüsselung der lnhalte verwendeten Schlüssels im HSM Bedenken be- stehen. Hieraus folgt zugleich, dass der Verordnungsge- ber durch die Verwendung der Begriffe „sichere Kom- munikation“ und „sicherer Übermittlungsweg“ nicht ausschließlich eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung in dem von den Kl. geforderten Sinne gemeint hat. [58] (1.5) Nichts Anderes ergibt sich aus den Gesetzes- materialien. [59] Unstreitig ist zwischen den Parteien, dass die Bekl. bis Februar 2018 öffentlich davon sprach, dass das be- sondere elektronische Anwaltspostfach eine „Ende-zu- Ende-Verschlüsselung“ der Nachrichten vorsehe, ob- gleich die gewählte Struktur wegen der Umschlüsse- lung der Schlüssel im HSM nicht der Definition einer En- de-zu-Ende-Verschlüsselung i.S.d. europäischen Patents ELEKTRONISCHER RECHTSVERKEHR BRAK-MITTEILUNGEN 3/2021 BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG 196

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