BRAK-Mitteilungen 3/2021

entsprach (vgl. hierzu oben 2.a.aa ). Anhaltspunkte da- für, dass die Bekl. diesen Begriff etwa zur Täuschung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucher- schutz als Verordnungsgeber, der Anwaltschaft oder der allgemeinen Öffentlichkeit über die Sicherheit des Systems bewusst unzutreffend eingesetzt hätte, wie dies die Kl. behaupten, bestehen nicht. lm Gegenteil spricht vieles dafür, dass mit der Verwendung des Be- griffs „Ende-zu-Ende-Verschlüsselung“ – zutreffend – vermittelt werden sollte, dass die Nachrichten und lnhalte verschlüsselt übertragen werden, durchgehend verschlüsselt bleiben und nur von dem berechtigten Empfänger entschlüsselt werden können. Dies ist der Kern einer jeden Ende-zu-Ende-Verschlüsselung und die allgemeine Erwartungshaltung an eine derartige Ver- schlüsselung. Der Unterschied der beA-Struktur zu einer solchen ist, dass sich der Schlüssel, mit dem die Nachricht entschlüsselt wird, bei der Ende-zu-Ende-Ver- schlüsselung i.S.d. europäischen Patentierung aus- schließlich in der Verfügungsgewalt des Empfängers be- findet, während bei der von der Bekl. gewählten Struk- tur der Schlüssel im HSM umgeschlüsselt wird auf die Schlüssel der jeweiligen Leseberechtigten, die diesen in der Folge mittels ausschließlich in ihrer Verfügungsge- walt befindlicher Schlüssel entschlüsseln können. lm Hinblick darauf, dass ein wesentliches Kernelement der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung eingehalten war und die Bekl. zugleich das vorgesehene Verschlüsselungssystem und die Verwendung eines HSM öffentlich bekannt ge- macht und auf Kammerversammlungen und Veranstal- tungen des EDV-Gerichtstags erläutert hat, hält der Se- nat eine bewusste Täuschung durch die Bekl. für fernlie- gend. [60] Vor diesem Hintergrund ist § 20 RAVPV eine Ver- pflichtung zur Ende-zu-Ende-Verschlüsselung ohne Ver- wendung des HSM auch nicht deshalb zu entnehmen, weil der Verordnungsgeber in seiner Begründung zu § 20 I RAVPV sowie zu § 19 II RAVPV die Ende-zu-Ende- Verschlüsselung erwähnt hat. So wird in der Begrün- dung zu § 20 I RAVPV ausgeführt, dass der Betrieb der besonderen elektronischen Anwaltspostfächer zur Ge- währleistung einer sicheren Kommunikation mit Ende- zu-Ende-Verschlüsselung auf der Grundlage des Proto- kollstandards „Online Services Computer Interface“ (OSCI) oder einem künftig nach dem Stand der Technik an dessen Stelle tretenden Standard zu erfolgen hat (BR-Drs. 417/16, 35). In der Begründung zu § 19 II RAVPV heißt es zur künftigen Ermöglichung einer Kom- munikation auch mit Dritten über besondere elektroni- sche Anwaltspostfächer, dass dies insb. die Kommuni- kationsmöglichkeiten erfassen könne, die bereits jetzt in der Struktur des Elektronischen Gerichts- und Verwal- tungspostfachs (EGVP), in die auch das besondere elek- tronische Anwaltspostfach eingebettet sei, vorgesehen seien. Soweit auch dabei stets die Beachtung der ele- mentaren Grundelemente des besonderen elektroni- schen Anwaltspostfachs (wie bspw. die Ende-zu-Ende- Verschlüsselung von Nachrichten) sichergestellt sein müsse, werde dies dadurch gewährleistet, dass auch für die Kommunikation mit anderen Stellen und Perso- nen die Vorgaben des § 20 I RAVPV gelten würden. [61] Es ist indes nicht davon auszugehen, dass der Ver- ordnungsgeber durch die Verwendung des Begriffs „En- de-zu-Ende-Verschlüsselung“ das von der Bekl. erstellte, ihm bekannte Konzept für unzulässig erklären und die Einhaltung einer Ende-zu-Ende-Verschlüsselung in dem von den Kl. geforderten Sinne vorschreiben wollte. Viel- mehr spricht alles dafür, dass der Verordnungsgeber der öffentlich bis 2018 von der BRAK verwendeten, technisch ungenauen Begrifflichkeit einer „Ende-zu-En- de-Verschlüsselung“ gefolgt ist und hiermit auch das bereits konzipierte Verfahren gemeint hat, bei dem die Nachrichten verschlüsselt übertragen und nur vom be- rechtigten Empfänger entschlüsselt werden können, während die Schlüssel im HSM umgeschlüsselt werden. Die gewählte Formulierung „Ende-zu-Ende-Verschlüsse- lung von Nachrichten“ in der Begründung zu § 19 RAVPV bestätigt diesen Fokus auf die Verschlüsselung der Nachricht an sich, also des lnhalts. [62] Der Senat hält es für ausgeschlossen, dass der Ver- ordnungsgeber allein durch eine nicht in den Verord- nungstext aufgenommene Formulierung in der Begrün- dung des Verordnungsentwurfs abweichend von dem ihm bekannten und veröffentlichten Verschlüsselungs- konzept unter Einschluss des HSM eine Ende-zu-Ende- Verschlüsselung i.S.d. europäischen Patentschrift vorge- ben wollte. Denn eine solche Vorgabe hätte zur Folge gehabt, dass das besondere elektronische Anwaltspost- fach in der konzipierten Form nicht hätte in Betrieb ge- nommen werden können und die Grundstruktur grund- legend hätte überarbeitet werden müssen. Es ist anzu- nehmen, dass der Verordnungsgeber derart gravieren- de Folgen ausdrücklich thematisiert und kommuniziert hätte, wären diese beabsichtigt gewesen. [63] (1.6) Eine verfassungskonforme Auslegung von §§ 19 und 20 RAVPV dahingehend, dass zwingend eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung i.S.d. europäischen Pa- tentschrift vorzusehen ist, ist nicht geboten. Es genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen, dass die einschlägigen Normen dem Grunde nach ein sicheres Übermittlungsverfahren vorschreiben. Hierdurch ist dem rechtlich geschützten Vertrauensverhältnis zwi- schen Rechtsanwalt und Mandant (vgl. hierzu BVerfGE 113, 29, 49; Beschl. v. 29.1.2015 – 2 BvR 497/12 Rn. 18) in ausreichendem Maße Rechnung getragen. Es steht dem Gesetzgeber frei, die technische Konkretisie- rung des gesetzlich vorgegebenen Maßstabs der Bekl. als Körperschaft des öffentlichen Rechts anzuvertrauen (vgl. für Aufsichtsbehörden im Bereich der Telekommu- nikation: BVerfGE 125, 260, 327). [64] Entgegen der Auffassung der Kl. ergibt sich auch aus dem Nichtannahmebeschluss des BVerfG v. 20.12. 2017 (1 BvR 2233/17) nicht, dass §§ 19 und 20 RAVPV verfassungskonform dahingehend auszulegen waren, dass das beA eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung i.S.d. europäischen Patentschrift gewährleisten müsste. Zwar hat das BVerfG in diesem Beschluss entsprechend der BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG BRAK-MITTEILUNGEN 3/2021 197

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