BRAK-Mitteilungen 4/2021

durch – wie die Gesetzesbegründung ausdrücklich her- vorhebt – „Online-Veranstaltungen“ kostengünstige und zeitlich flexible Möglichkeiten zum Erwerb von Be- rufsrechtskenntnissen bestehen, hat den Gesetzgeber zur Einfügung des § 43f BRAO n.F. bewegt. 20 20 BT-Drs. 19/30516, 45. 4. ZWECK Schließlich folgt aus der Freiberuflichkeit des Rechtsan- walts und der damit verbundenen (Eigen-)Verantwort- lichkeit, dass die Form der Berufsrechtslehrveranstal- tung nicht weitergehend vorgeschrieben werden darf, als es für den Erfolg (Verschaffung von Berufsrechts- kenntnissen) erforderlich ist. 21 21 Vgl. v. Lewinski , Berufsrecht der Rechtsanwälte, Patentanwälte und Steuerberater, 4. Aufl. 2017, Kap. 10 C.III. Diese auf die Freiberuf- lichkeit abstellende Auslegung wird dadurch gestützt, dass die Kenntnisse im Berufsrecht nicht, wie ganz ur- sprünglich diskutiert, Zulassungsvoraussetzung sind (s.o. I.), sondern Berufspflicht des schon zugelassenen und somit freiberuflichen Anwalts. Zudem spricht die zunehmende „Elektronisierung“ des Anwaltsberufs, wie sie insb. in der Einführung des be- sonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) zum Ausdruck kommt, für eine generelle Öffnung gegenüber elektronischen Formen und damit auch digitalen Lehr- veranstaltungen. Auch das sog. Legal-Tech-Gesetz, wel- ches parallel zur BRAO-Reform das Gesetzgebungsver- fahren durchlief, verfolgt das Ziel, den Rechtsdienstleis- tungsmarkt zukunfts- und digitalisierungsgerecht zu re- gulieren. 22 22 BT-Drs. 19/27673, 1. Das allgemeine Hochschulrecht steht dem Fernstudium und der elektronischen Lehre ebenfalls po- sitiv-fördernd gegenüber (§ 13 HRG), was auch auf Fachanwaltslehrgänge ausstrahlt. 23 23 Vgl. Offermann-Burckart , in Henssler/Prütting, BRAO, 5. Aufl. 2019, § 4 FAO Rn. 11. Bedingt durch die Corona-Pandemie hat sich die tatsächliche Entwicklung in diesen Bereichen beschleunigt. 24 24 Vgl. exemplarisch den zum 10.11.2020 eingeführten § 8 Corona-Epidemie-Hoch- schulVO NRW. Die Anpassungen des Hochschullehrbetriebs sind dabei weitgehend posi- tiv angenommen worden. 25 25 Goertz/Hense , Studie zu Veränderungsprozessen in Unterstützungsstrukturen für Lehre an deutschen Hochschulen in der Corona-Krise (HFD Arbeitspapier Nr. 56), Feb. 2021, 36. 5. ZWISCHENERGEBNIS: OFFENHEIT FÜR DIGITALE BERUFSRECHTSVERMITTLUNG Obwohl sich der Gesetzgeber bei der Formulierung des § 43f I BRAO n.F. nicht von den in der Praxis erprobten Regelungen – insb. der des § 15 FAO – hat inspirieren lassen und trotz weidlicher Corona-Erfahrungen die Fra- ge der Möglichkeit elektronischer Lehrveranstaltungen im Normtext nicht ausdrücklich angesprochen hat, er- gibt sich aus Entstehungsgeschichte und Ratio die Zu- lässigkeit von eLearning. III. ZEITLICHE ANFORDERUNGEN UND NACHWEIS DER TEILNAHME IM eLEARNING Selbstverständlich müssen Online-Berufsrechtslehrver- anstaltungen nach § 43f I BRAO n.F. der gesetzlichen Vorgabe von „mindestens zehn Zeitstunden“ genügen. Während die Teilnahmedauer bei Präsenzveranstaltun- gen ohne weiteres feststellbar ist, entspricht dies nicht unbedingt jedem Konzept des eLearning. Denn digita- les Lernen kann individuell sein, auch und gerade hin- sichtlich der Lerngeschwindigkeit. Wie also können die Anforderungen der „zehn Zeitstun- den“ in digitale Lernformen ohne körperliche Präsenz umgesetzt werden? Fraglich ist dabei zunächst insbe- sondere, ob die Entsprechung in quantitativ-zeitlicher 26 26 Vgl. Scharmer , in Hartung/Scharmer, BORA/FAO, 7. Aufl. 2020, § 4 FAO Rn. 18. oder in qualitativer Hinsicht erfolgen muss. 1. QUANTITATIV-ZEITLICHE VERGLEICHBARKEIT Wenn man die Verpflichtung des § 43f I BRAO n.F. durch einen „Sitzschein“ als erfüllt ansieht, weil Prü- fungen nicht vorgesehen sind, 27 27 BT-Drs. 18/9521, 97. steht man vor dem Problem aller Pflichtveranstaltungen, die ohne Leis- tungskontrolle auskommen: Die Art und Weise der Teilnahme changiert zwischen einem Minimum allge- meiner Höflichkeit gegenüber dem Dozenten und einem Maximum individueller Multitasking-Fähigkeit und deckt unter Umständen auch Mittagsschlaf, Zei- tungslektüre und Aktenbearbeitung ab. Übertragen auf das eLearning könnte dann das Durchscrollen und Durchklicken eines Online-Kurses bereits den An- forderungen aus § 43f I BRAO n.F. genügen. Dabei ist es nicht die rein zeitliche Umrechnung der Zehn-Stun- den-Anwesenheit aus der Offline-Welt auf das eLear- ning, die wenig sinnvoll und auch kaum praktikabel erscheint, sondern vor allem das Erfordernis bloßer Anwesenheit. 2. INHALTLICHE VERGLEICHBARKEIT Sinnvoller ist es, eine Vergleichbarkeit auf der Inhalts- ebene zu suchen. Die Anforderungen an die Lehrver- anstaltung sind so zu verstehen, dass der damit ver- bundene Arbeitsaufwand qualitativ dem eines zehn- stündigen Lehrgangs entspricht. Eine solche gewähr- leistet nach Wertung des Gesetzgebers das legitime Ziel solider Berufsrechtskenntnisse. Selbstverständlich darf das eLearning hinsichtlich seines Anspruchs und Inhalts nicht hinter einer Präsenzveranstaltung zurück- bleiben. 28 28 Zu dieser Mindestanforderung für Fernlehrgänge i.S.d. § 4 I FAO Offermann-Bur- ckart , in Henssler/Prütting, BRAO, 5. Aufl. 2019, § 4 FAO Rn. 12; Vossebürger , in: Feuerich/Weyland, BRAO, 10. Aufl. 2020, § 4 FAO Rn. 5. Es würde dann freilich genügen, geeignete Lehrmateria- lien zusammenzustellen, die üblicherweise innerhalb von (mindestens) zehn Zeitstunden durchgearbeitet werden können und die „wesentlichen Bereiche des an- AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 4/2021 225

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