BRAK-Mitteilungen 4/2021

VI. FAZIT Durch die Zulassungs-Rechtsprechung des BGH sowie die jüngst beschlossene BRAO-Reform 75 75 Zur BRAO-Reform im Überblick: Nitschke , BRAK-Mitt. 2021, 218 (in diesem Heft). wurde weitest- gehend Klarheit im Hinblick auf die besonderen Voraus- setzungen zur Zulassung als Syndikusrechtsanwalt ge- schaffen. Nichtsdestotrotz ist die kohärente Einfügung des Syndikusrechtsanwalts in das System des anwalt- lichen Berufsrechts bis heute nicht in jeder Beziehung gelungen. Mit dem Syndikusrechtsanwalt hat der Ge- setzgeber einen Typus Anwalt geschaffen, den er im Hinblick auf seine Rechte und Pflichten im Vergleich zum Rechtsanwalt nicht als vollständig gleichwertig an- sieht. Dreh- und Angelpunkt dabei ist die Frage, in wel- chem Umfang der Syndikusrechtsanwalt im Unterneh- men hinreichend unabhängig ist. Inwieweit die Unab- hängigkeit des Syndikusrechtsanwalts im Unternehmen gestärkt werden kann, wird bislang zu wenig diskutiert, als dass sich diese Diskussion substantiell in der Zulas- sungs-Rechtsprechung niedergeschlagen hätte. ABFINDUNGSVEREINBARUNGEN UND NACHVERTRAGLICHE WETTBEWERBSBESCHRÄNKUNGEN DR. MARC-CHRISTIAN PIERONCZYK, KIEL* * Der Autor ist Referendar beim Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht. Wenige Rechtsfragen im anwaltlichen Gesellschafts- recht sind derart diffizil miteinander verwoben wie der Abfindungsanspruch des ausgeschiedenen Gesell- schafters und seine Bindung an eine nachvertragliche Wettbewerbsbeschränkung. In der manchmal span- nungsgeladenen Situation des Ausscheidens aus der Sozietät bieten Abfindung und Mandatsverteilung be- sonderes Konfliktpotenzial. Ein vorausschauend konzi- pierter Gesellschaftsvertrag kann solche Streitigkeiten häufig vermeiden. Ausgehend von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes evaluiert der Autor daher die verschiedenen Gestaltungsvarianten und zeigt mög- liche Fallstricke auf. I. DER GESETZLICHE ABFINDUNGSANSPRUCH 1. DAS GRUNDMODELL DES § 738 I 2 BGB Scheidet einer der Gesellschafter aus der Sozietät aus 1 1 Dazu und zum Folgenden ausführlich Pieronczyk , Auflösung und Ausscheiden ein- zelner Gesellschafter bei Rechtsanwaltssozietäten, 2020, 93 ff., 213 ff., 272 ff. – unabhängig davon, ob sie als GbR, PartG oder als GmbH betrieben wird –, steht ihm ein Abfindungsan- spruch aus § 738 I 2 BGB zu, der den Verlust seiner Mit- gliedschaft kompensiert. 2 2 MüKoBGB/ Schäfer , 8. Aufl. 2020, § 738 Rn. 10; Staudinger/ Habermeier , Neube- arb. 2003, § 738 Rn. 5, 7 f.; zur GmbH Baumbach/Hueck/ Kersting , GmbHG, 22. Aufl. 2019, § 34 Rn. 22; Altmeppen , NJW 2013, 1025 (1029). Die Abfindung ist bereits dem Wortlaut („zahlen“) nach auf eine Geldleistung der Ge- sellschaft gerichtet. Denn nach der Vorstellung des Ge- setzgebers besteht der Vermögensstamm einer Gesell- schaft aus Substanzwerten. Eine Realteilung dieser Werte, wie sie bei der Auflösung der Gesellschaft nach §§ 731 S. 2, 751 BGB vorgesehen ist, soll beim Aus- scheiden nicht stattfinden, um den Fortbestand der Ge- sellschaft nicht zu gefährden. 3 3 Vgl. Staudinger/ Habermeier , § 738 Rn. 1, 7. Inhaltlich ist der Anspruch auf den anteiligen Verkehrs- wert der Gesellschaft gerichtet. 4 4 BGHZ 17, 130 (136) = NJW 1955, 1025; BGHZ 116, 359 (370 f.) = NJW 1992, 892; BGHZ 201, 65 Rn. 18 = NZG 2014, 820; BGH , BeckRS 2015, 19755 Rn. 8. Entgegen des missver- ständlichen Wortlauts ist dieser nicht nach dem Liqui- dations-, sondern dem Fortführungswert zu bestim- men. 5 5 Statt vieler Fleischer/Hüttemann/ Fleischer , Rechtshdb. Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 2019, Rn. 24.12 m.w.N.. Dieser wird regelmäßig nach der heute vorherr- schenden Methode des Ertragswertverfahrens be- stimmt, das auch immaterielle Vermögenswerte (sog. „Praxiswert“ oder „Good will“) in die Bewertung einbe- zieht. 6 6 BGHZ 116, 359 (370 f.) = NJW 1992, 892; OLG München , NZG 2017, 1071 Rn. 28, 30; Staudinger/ Habermeier , § 738 Rn. 18; MüKoBGB/ Schäfer , § 738 Rn. 32, 35 f.; Pieronczyk , Auflösung und Ausscheiden, 140 ff. 2. MODIFIKATIONEN BEI FREIBERUFLERSOZIETÄTEN Nun verhält sich der Vermögensstamm einer Rechtsan- waltssozietät diametral zum Konzept des § 738 I 2 BGB. Vernachlässigbaren Substanzwerten stehen er- hebliche immaterielle Werte wie die Mandantenbezie- hungen und die Marktpositionierung gegenüber. 7 7 BGH , NJW 2000, 2584; Goette , ZGR 46 (2017), 426 (431); Römermann , NJW 2007, 2209 (2214); Hirtz , AnwBl. 2008, 82 (88); Wolff , NJW 2009, 1302 (1303); Pieronczyk , Auflösung und Ausscheiden, 138 f. Eine Bestandsgefährdung der Gesellschaft droht daher eher bei einer Abfindung zum anteiligen Ertragswert, als bei der Realteilung der wesentlichen Vermögenswerte durch Wettbewerb um die Mandanten. Daher modifi- ziert der BGH § 738 I 2 BGB für Freiberufler: Um eine komplexe Bewertung des immateriellen Vermö- gens im Zuge der Ermittlung der zu zahlenden Summe AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 4/2021 237

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