BRAK-Mitteilungen 4/2021

eine vorvertragliche Pflichtverletzung sähe, die einen auf das positive Interesse gerichteten Schadensersatz- anspruch aus §§ 280 I, 311 II Nr. 2, 241 II BGB hervor- riefe. 4. WEITERE GESTALTUNGSVARIANTEN Ausgehend von der Prämisse, dass der Sozius stets ent- weder eine Abfindung oder das Recht zum Wettbewerb um Mandanten geltend machen kann, lassen sich die üblichen Gestaltungsvarianten im Wege der ergänzen- den Vertragsauslegung nach §§ 133, 157, 242 BGB sachgerechten Lösungen zuführen. 21 21 Näher zum Folgenden Pieronczyk , Auflösung und Ausscheiden, 221 ff. Enthält der Gesellschaftsvertrag eine Vereinbarung, die eine Abfindung zum Ertragswert vorsieht, ist ihm eben- falls konkludent ein Wettbewerbsverbot dergestalt zu entnehmen, dass eine Mitnahme von Mandanten für die Dauer von zwei Jahren unzulässig ist. 22 22 BGH , NJW 2000, 2584; Frhr. v. Falkenhausen , AnwBl. 2020, 502 (503). Dennoch mitgenommene Mandate muss sich der Sozius auf sei- nen Abfindungsanspruch anrechnen lassen. 23 23 BGH , NJW 2000, 2584 (2585). Wird eine Abfindung zum Ertragswert hingegen ausgeschlos- sen, darf der Sozius alle Mandanten mitnehmen, die ihm folgen wollen. Beinhaltet der Gesellschaftsvertrag keine die Mitnahme von Mandanten beschränkende Klausel, ist er dahinge- hend auszulegen, dass eine Abfindung zum Ertragswert ausgeschlossen ist. 24 24 BGH, NJW 2010, 2660 Rn. 6; Frhr. v. Falkenhausen , AnwBl. 2020, 502 (503). Wird dem ausscheidenden Sozius im Gesellschaftsvertrag hingegen die Mitnahme von Mandanten in rechtlicher zulässiger Weise – etwa durch eine wirksame Mandantenschutzklausel 25 25 Hierzu V.3. – un- tersagt, so ist ihm nach § 738 I 2 BGB eine Abfindung zum Ertragswert zu zahlen. 26 26 MüKoBGB/ Schäfer , § 738 Rn. 69. III. BESONDERHEITEN BEI (NEU-)SOZIEN OHNE KAPITALANTEIL? Inwieweit diese Grundsätze auch auf den Sozius über- tragbar sind, der beim Eintritt in die Sozietät keine oder nur eine symbolische Einlage erbracht hat und der da- her anfänglich nicht zum Vermögen der Sozietät beige- tragen hat, ist noch nicht höchstrichterlich geklärt. Nach § 738 I 2 BGB steht ihm eine Abfindung jeden- falls für die während seiner Mitgliedschaft einbehalte- nen Gewinne und der sich aus der Auflösung stiller Re- serven in der Abfindungsbilanz ergebenden Überschüs- se zu. 27 27 MüKoBGB/ Schäfer , § 738 Rn. 58. Weitgehend konsentiert ist allerdings, dass der Sozius weitergehenden Einschränkungen bezüglich sei- ner Kompensation unterworfen werden darf, weil sein Gesellschaftsanteil mehr Wert ist als die Einlage, die er geleistet hat. 28 28 Staudinger/ Habermeier , § 738 Rn. 29; MüKoBGB/ Schäfer , § 738 Rn. 58; Henssler/ Michel , NZG 2012, 401 (407); Hirtz , AnwBl. 2008, 82 (88); Goette , AnwBl. 2007, 637 (641 f.); andeutungsweise BGH, NZG 2008, 623 (627). Daher wird zum Teil sogar ein zeitlich unbegrenzter Abfindungsausschluss für zulässig gehal- ten (sog. „naked in, naked out“). 29 29 MünchHdb-GesR I/ Schmid , 5. Aufl. 2019, § 24 Rn. 71; Heller , Die Beendigung frei- beruflicher Sozietätsverhältnisse, 2000, 103 ff. Einem solchen Ausschluss steht allerdings die Recht- sprechung des BGH zum Gesellschafter „minderen Rechts“ entgegen. 30 30 Diese Rechtsfigur geht zurück auf Flume , BGB AT I 1 PersGes, 1977, 137 f., 179; Flume , NJW 1979, 902 (903 f.); ähnl. Heckelmann , Abfindungsklauseln in Gesell- schaftsverträgen, 1973, 113 f. Denn dieser hält gesellschaftsver- tragliche Beschränkungen von Mitgliedschaftsrechten, die an die Art des Anteilserwerbs anknüpfen, zutreffend für sittenwidrig i.S.d. § 138 I BGB. 31 31 BGH, NJW 1989, 2685 (2686). Schließlich kennt das Gesetz keine Gesellschafter „zweiter Klasse“ und aus der Art des Anteilserwerbes kann die Gesellschaft gegenüber ihrem Gesellschafter auch keine Sonderrech- te herleiten. 32 32 BGH, NJW 1989, 2685 (2686); BGHZ 164, 107 (116) = NJW 2005, 3644; Huber , ZGR 9 (1980), 177 (205); Römermann , NJW 2007, 2209 (2213). Konsequenterweise kann dann ein Aus- schluss der Abfindung, der an eine mangelnde Einlage anknüpft, keine Geltung beanspruchen. 33 33 LG München I , NJW 2014, 478 (481 f.); MüKoBGB/ Schäfer , § 738 Rn. 58 f.; Römer- mann , NJW 2007, 2209 (2213). Erst recht un- zulässig ist der umfassende Ausschluss der Abfindung bei den Gesellschaftern, die eine – wenngleich geringe – Einlage erbracht haben. Allenfalls zulässig ist damit die Beschränkung der Abfin- dung. Insofern wird für eine zeitanteilige Differenzie- rung plädiert. Der Gesellschaftsvertrag könne einen gänzlichen Ausschluss für die ersten zwei Jahre der Mit- gliedschaft, danach prozentuale Kürzungen und ab fünf Jahren eine Beschränkung nur bei Liquiditätsengpässen der Gesellschaft und einer Abfindung von mindestens 50 % bis 75 % des Verkehrswerts des Anteils vorse- hen. 34 34 Henssler/Michel , NZG 2012, 401 (407); ähnl. Pieronczyk , Auflösung und Ausschei- den, 256 ff. IV. ABFINDUNGSVEREINBARUNGEN UND IHRE GRENZEN Aufgrund der besonderen Gestaltungsfreiheit für An- wälte 35 35 Oben II.1. haben sich in der Praxis eine Reihe von Abfin- dungsklauseln etabliert, die den Abfindungsanspruch gänzlich ausschließen, hinsichtlich der Ermittlung des Abfindungsguthabens modifizieren oder die Auszah- lungsmodalitäten näher ausgestalten, um das Bewer- tungsverfahren zu vereinfachen oder die Abfindungs- last zu mindern. 36 36 Ausführlich Pieronczyk , Auflösung und Ausscheiden, 225 ff. Die diesbezügliche Privatautonomie der Gesellschafter findet ihre Grenze in der Inhaltskon- trolle nach §§ 138, 723 III BGB und der Ausübungskon- trolle gemäß § 242 BGB. Hieran hält auch das Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG) 37 37 BR-Drs. 59/21 (Regierungsentwurf); vom Bundestag beschlossen am 24.6.2021 und vom Bundesrat gebilligt am 25.6.2021. trotz aller Kritik fest. 38 38 Näher Bergmann , DB 2020, 994 (994 f.). PIERONCZYK, ABFINDUNGSVEREINBARUNGEN UND NACHVERTRAGLICHE WETTBEWERBSBESCHRÄNKUNGEN AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 4/2021 239

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