BRAK-Mitteilungen 4/2021
freie Anwaltswahl nach § 134 BGB i.V.m. § 3 III BRAO nichtig sind. 70 70 So Henssler/Prütting/ Henssler , BRAO, 5. Aufl. 2019, § 32 BORA Rn. 33; Henssler/ Streck/ Kopp , Hdb. Sozietätsrecht, 2. Aufl. 2011, Teil C Rn. 92; Peres/Schmid , in Pe- res/Senft, § 10 Rn. 113; Henssler/Michel , NZG 2012, 401 (412); Pieronczyk , Auflö- sung und Ausscheiden, 302; ders. , BerlAnwBl. 2021, 192. 4. GEWINNABFÜHRUNGSVEREINBARUNGEN Mandantenschutzklauseln verlieren allerdings in letzter Zeit an Beliebtheit. Ein Grund hierfür dürfte sein, dass Mandanten, die die Sozietät zugunsten des Ausgeschie- denen verlassen wollen, umso weniger geneigt sein dürf- ten, bei der Sozietät zu bleiben, sobald sie erfahren, dass der Anwalt ihrer Wahl sie aufgrund vertraglicher Ver- pflichtungen gegenüber der Sozietät ablehnen muss. 71 71 Koch/Kilian , Anwaltl. BerufsR, B Rn. 1207. Als Alternative haben sich daher Gewinnabführungsver- einbarungen etabliert, die es dem ausscheidenden Sozi- us zwar erlauben, Mandanten mitzunehmen, ihn aber verpflichten, über einen bestimmten Zeitraum einen prozentualen Anteil seiner aus den Mandaten erzielten Gewinne an die Sozietät abzuführen. Die insoweit ver- tretenen Zeiträume und Quoten sind vielfältig, 72 72 Überblick bei Pieronczyk , Auflösung und Ausscheiden, 306 ff. unbe- denklich dürfte aber jedenfalls eine Abführung von 25 % der erzielten Honorare über einen Zeitraum von zwei Jahren sein. 73 73 Henssler/Prütting/ Henssler , § 32 BORA Rn. 34. Unzulässig sind hingegen Kombina- tionen, die eine Abführung von mehr als 100 % eines Jahreshonorars vorsehen, da die Mandatsmitnahme dann wirtschaftlich unsinnig ist und die Vereinbarung eine verdeckte Mandantenschutzklausel darstellt. 74 74 Vgl. BGH, NJW-RR 1996, 741 (742); für angestellte Rechtsanwälte BAG, NJW 2014, 1198 Rn. 21 f. In der Rechtsprechung ist noch ungeklärt, inwieweit die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht aus § 43a II 1 BRAO bzw. der § 203 I Nr. 3 StGB Gewinnabführungs- vereinbarungen entgegensteht. 75 75 BAG, NJW 2014, 1198 Rn. 28. Denn durch die Ver- einbarung wird der ausscheidende Sozius regelmäßig verpflichtet, offenzulegen, welche Mandate er über- nommen hat und wie hoch die hieraus erzielten Hono- rare sind, obwohl diese Umstände der Verschwiegen- heitspflicht unterfallen. 76 76 Vgl. nur BVerwGE 135, 77 Rn. 37. Überwiegend wird ein Verstoß gegen die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht ver- neint, weil der Ausgeschiedene zur Weitergabe auf- grund der Wahrnehmung berechtigter Interessen i.S.d. § 2 III b) BORA befugt sei. Als berechtigtes Interesse seien auch Rechenschaftspflichten des ausgeschiede- nen Sozius aufgrund einer Gewinnabführungsvereinba- rung anzuerkennen. 77 77 Henssler/Streck/ Deckenbrock , Teil M Rn. 100; Henssler/Prütting/ Henssler , § 43a Rn. 118; in Peres/Senft/ Nitschke , § 42 Rn. 99; krit. Henssler/Streck/ Michalski/Rö- mermann , Teil B Rn. 276; Hartung/Scharmer/ Scharmer , BORA/FAO, 6. Aufl. 2016; § 26 BORA Rn. 128; Pieronczyk , Auflösung und Ausscheiden, 343 ff.; ders. , Ber- lAnwBl. 2021, 192. Trotzdem sollte die Gewinnabfüh- rungsvereinbarung sicherheitshalber auf die Offenle- gung von Namen der mitgenommenen Mandanten ver- zichten und stattdessen vorsehen, anonymisierte Auf- stellungen der erzielten Honorare zu übersenden und bei Bedarf die Richtigkeit der Aufstellungen nach § 259 II BGB an Eides statt zu versichern. 78 78 Henssler/Streck/ Michalski/Römermann , Teil B Rn. 277; Pieronczyk , Auflösung und Ausscheiden, 346 f., 355. VI. FAZIT Auch zukünftig wird es sich lohnen, vor der Gründung oder dem Eintritt in eine Sozietät genau zu evaluieren, welche Form der Abfindungs- oder Wettbewerbsklausel den individuellen Bedürfnissen der Beteiligten am Ehes- ten entsprechen. Genauso lohnt es sich, von Zeit zu Zeit den Sozietätsvertrag mit den Rechtsprechungslinien des BGH abzugleichen, insbesondere wenn dieser eine Buchwertklausel oder besondere Regelungen für Sozien ohne Einlage enthält. Schließlich wird auch das MoPeG an den bisherigen Grundsätzen nichts ändern, da den Änderungen des § 738 I 2 BGB (§ 728 BGB-E) im We- sentlichen klarstellende Funktion zukommt. 79 79 Hierzu Begr. RegE, BR-Drs. 59/21, 197 f. PFLICHTEN UND HAFTUNG DES ANWALTS EINE RECHTSPRECHUNGSÜBERSICHT RECHTSANWÄLTIN ANTJE JUNGK, RECHTSANWÄLTE BERTIN CHAB UND HOLGER GRAMS* In jedem Heft der BRAK-Mitteilungen kommentieren die Autoren an dieser Stelle aktuelle Entscheidungen zum anwaltlichen Haftungsrecht. HAFTUNG ANSPRÜCHE AUFGRUND MANDATSKÜNDIGUNG 1. Kündigt der Anwalt das Mandat zwar ohne wich- tigen Grund, jedoch nicht zur Unzeit, kann der Man- dant die Kosten, die er an seinen neuen Anwalt zah- BRAK-MITTEILUNGEN 4/2021 AUFSÄTZE 242
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