BRAK-Mitteilungen 4/2021
BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG BERUFSRECHTE UND PFLICHTEN *LEITSATZ DER REDAKTION (ORIENTIERUNGSSATZ) STRAFRECHTLICH RELEVANTES SCHREIBEN EINES RECHTSANWALTS BRAO § 43a III; StGB §§ 186, 193, 240 * Der Hinweis eines Rechtsanwalts in einem Schrei- ben an eine Bezirksrevisorin, er werde „im Falle eines fruchtlosen Fristablaufs ein serbisches Inkassobüro einschalten, das Hausbesuche durchführt“, stellt eine Drohung mit einem empfindlichen Übel dar. AGH Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 5.3.2021 – 2 AGH 5/20 AUS DEN GRÜNDEN: I. Das AnwG Köln hat mit Urt. v. 2.1.2020 – 4 AnwG 45/18 – gegen den angeschuldigten Anwalt einen Ver- weis sowie eine Geldbuße i.H.v. 500 Euro gem. §§ 43, 43a III, 113 I, 115b BRAO i.V.m. §§ 185, 186, 240 I und 3, 22, 23 StGB verhängt. Gegen das ihm am 14.2.2020 zugestellte Urteil hat der Angeschuldigte mit Schreiben v. 18.2.2020, gerichtet an den AGH, Berufung eingelegt. Die Rechtsmittelschrift wurde am 20.2.2020 von der Geschäftsstelle des AGH per Fax an das AnwG Köln übermittelt. Eine Begründung der Berufung ist durch Schreiben v. 26.2.2020 erfolgt. II. Der Senat hat folgende Feststellungen getroffen: Zur Person: Der Angeschuldigte, der am xx.9.2005 sei- ne zweite juristische Staatsprüfung abgelegt hat und seit dem xx.7.2007 zur Anwaltschaft zugelassen ist, be- treibt unter seiner Wohnanschrift eine Rechtsanwalts- kanzlei. Er ist als Schachgroßmeister, Coach und Rechtsanwalt tätig. Seit 2016 ist er verheiratet. Seine Ehefrau stammt aus der Dominikanischen Republik und erhielt erst nach längerem Verfahren einen Aufenthaltstitel. Der Ange- schuldigte befasst sich neuerdings auch als Content Creator mit dem Erstellen von Streaminginhalten zum Thema Schach. Bei insgesamt gebesserten finanziellen Verhältnissen beläuft sich das aktuelle Einkommen auf ca. 1.000 Euro monatlich. Gesundheitlich ist der Angeschuldigte seit einem im Jahr 1997 anlässlich eines Raubüberfalls erlittenen Schädelhirntrauma mit Defektzone beeinträchtigt. Anwaltsgerichtliche Maßnahmen sind gegen den Ange- schuldigten bislang nicht verhängt worden. Zur Sache: 1. Sachverhaltskomplex: Gegen den Angeschuldigten wurde im Jahr 2016 ein Ordnungswidrigkeitenverfahren wegen Geschwindig- keitsüberschreitung bei dem Polizeipräsidium Rheinpfalz – Zentrale Bußgeldstelle – geführt. Auf den zunächst er- lassenen Bußgeldbescheid v. 14.3.2016 hin bestellte sich der Angeschuldigte zu seinem Verteidiger, legte gegen den Bußgeldbescheid Einspruch ein und beantragte Ak- teneinsicht durch Übersendung der Akten. Hierauf erließ eine Mitarbeiterin der Bußgeldstelle am 30.3.2016 einen neuen Bescheid über ein Bußgeld in reduzierter Höhe, mit dem sie dem Einwand des Angeschuldigten, eine ge- tilgte Voreintragung könne eine Abweichung vom Regel- satz nicht rechtfertigen, Rechnung trug. In der Folgezeit bestand der Angeschuldigte auf Gewährung der Akten- einsicht durch Zusendung der Akte. Daraufhin verfasste der Zeuge T am 20.4.2016 ein Schreiben mit dem folgenden Inhalt: „Verkehrsordnungswidrigkeit mit dem Fahrzeug ... v. 21.1.2016 in ... Sehr geehrter Herr I, Ihr Schreiben v. 14.4.2016 haben wir erhalten. Ihre ‘Drohung’ mit der Dienstaufsicht ist vollkommen unver- ständlich. Welches Verhalten der Sachbearbeiterin wol- len Sie rügen? Wenn überhaupt ist dies eine Frage, in der Ihnen die Möglichkeit zusteht, einen Antrag auf ge- richtliche Entscheidung wegen Versagung der Akten- übersendung beim zuständigen AG zu stellen, aber das ist Ihnen ja sicherlich bekannt. Nach der vorliegenden Akte sind Sie selbst Betroffener. Betroffene, die zugleich Rechtsanwälte sind, dürfen sich nicht selbst vertreten (Göhler § 60 Rn. 7). Sie sind als Betroffene zu behandeln und somit nach § 49 OWiG. Offensichtlich setzen Sie die Begriffe Akten- einsicht und Aktenversendung gleich. Niemand ver- wehrt Ihnen die Akteneinsicht. Die Gewährung des Ob und Wie der Akteneinsicht ist eine Ermessensentscheidung der Verwaltungsbehörde und hat sich hier an den gesetzlichen Vorgaben zu ori- entieren (Göhler § 60 Rn. 55). Somit ist Akteneinsicht unter Aufsicht zu gewähren. Sofern dies möglich ist, kann diese Akteneinsicht im Rahmen der Amtshilfe auch in den Diensträumen einer Behörde in der Nähe des Wohnortes der Betroffenen erfolgen. Auch die Übermittlung einzelner Abschriften oder die Erteilung von Auskünften ist möglich. Eine Versendung der kom- pletten Verfahrensakte unterbleibt. § 29 VwVfG findet im Ordnungswidrigkeitenverfahren keine Anwendung. Der Bescheid v. 30.3.2016 wird hiermit zurückgenom- men. Der Bescheid v. 14.3.2016 ist rechtmäßig. Hin- sichtlich der Erhöhung des Bußgeldes wird auf § 29 VII StVG hingewiesen. Nicht getilgte Eintragungen können für die Zwecke des § 28 II Ziff. 3 StVG verwertet werden. BRAK-MITTEILUNGEN 4/2021 BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG 254
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