BRAK-Mitteilungen 4/2021
ten vom Dezember 2016 in Betracht, nicht die Gesamt- dauer bis zur richterlichen Entscheidung, weil diese als Motiv für das Schreiben ausscheidet. Die Zeugin X hat- te seinerzeit durch Schreiben v. 15.9.2016 mitgeteilt, dass eine Bearbeitung aufgrund von Rückständen nicht vor Ablauf von acht bis zehn Wochen möglich sein wür- de. Dies beinhaltete die Möglichkeit einer noch darüber hinausreichenden Verfahrensverzögerung. Eine etwaige Zwangsvollstreckung wegen des Bußgeldes noch vor Rechtskraft lag ersichtlich in der Verantwortlichkeit der Bußgeldbehörde und war der Zeugin nicht zuzurech- nen. Gleiches gilt für den Ablauf des vorangegangenen Hauptsacheverfahrens. Konkrete Anhaltspunkte für eine Beteiligung des Präsidenten des AG C hat der An- geschuldigte nicht benannt. Ein Strafantrag gegen ihn ist in dieser Sache erst aufgrund des Schreibens v. 13.12.2016 gestellt worden. Erschwerend kommt hinzu, dass der Angeschuldigte den Vorwurf der Entfernung von Aktenbestandteilen – nach ihm günstigen Abschluss des Verfahrens – ohne jede vorherige weitere Sachverhaltsaufklärung lediglich auf eine von ihm vorgenommene rechtliche Würdigung des Verfahrensablaufs bei der Bußgeldbehörde und der Einstellung des Verfahrens beim AG M gestützt hat. Da- bei handelte es sich, wie bereits ausgeführt, im Hinblick auf den Verfahrensablauf bei der Bußgeldbehörde we- der um eine logische Schlussfolgerung (vgl. III. 1. Sach- verhaltskomplex), noch konnte der Angeschuldigte sich auf die Verfahrenseinstellung durch den Amtsrichter als Begründung seiner Annahme stützen, denn dieser hatte ihm gegenüber angekündigt, unabhängig von der Stel- lungnahme der Bußgeldbehörde zu der im Schreiben v. 3.6.2016 geäußerten Auffassung das Verfahren gem. § 47 II OWiG einzustellen, was keinen fehlenden An- fangsverdacht attestiert, sondern in rechtlicher Hinsicht eine Wahrscheinlichkeit der Begehung der Ordnungs- widrigkeit durch den Angeschuldigten bei Unverhältnis- mäßigkeit weiterer Ermittlungen voraussetzt. Auf eine möglicherweise unzutreffende verfahrensrechtliche Ein- ordnung durch den Angeschuldigten kommt es aber letztlich auch nicht an. Entscheidend ist vielmehr, dass der Angeschuldigte, der eine abweichende rechtliche Würdigung schon nicht ernsthaft in Erwägung gezogen hat, es verabsäumt hat, durch Überprüfung des tat- sächlichen Geschehens eine Tatsachenbasis für die er- hobenen Vorwürfe zu schaffen. Dies widerspricht den grundlegenden Anforderungen an eine auf die Sache bezogene anwaltliche Tätigkeit, die sich an den ggf. erst festzustellenden, den Sachverhalt begründenden Tatsachen auszurichten hat. Auf dieser Grundlage hält der Senat eine empfindliche empfindliche Maßnahme erforderlich Maßnahme gegen den An- geschuldigten für erforder- lich. Die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege hängt in erheblichem Maße von einem verantwortungsvollen, an Fakten orientierten Um- gang mit der Wahrheit ab. Ferner ist die Rechtspflege darauf angewiesen, dass ihre Organe – auch bei diver- gierenden Rechtsauffassungen – in einer Weise mitein- ander kommunizieren, die an der Sache orientiert ist und jeden Anschein der Ausübung von Zwang vermei- det. Durch die Pflichtverletzung hat der Angeschuldigte gezeigt, dass er seine diesbezüglichen anwaltlichen Pflichten nicht verinnerlicht hat. Soweit er darauf ver- weist, sich und andere nicht mehr in Verkehrsverfahren vertreten zu wollen, sondern nur in anderen Verfahren etwa auf dem Gebiet des Vereins-, Sport- oder Miet- rechts, sieht der Senat nicht, warum diese ein geringeres Konfliktpotential bergen und weniger Anlass zu emotio- naler Beteiligung geben sollten, zumal es auch dort in der Regel um kontradiktorische Verfahren gehen dürfte. Angesichts der im bisherigen Verfahren zutage getrete- nen Persönlichkeit des Angeschuldigten und seines nur wenig von Einsicht geprägten Verhaltens sowie der ho- hen Bedeutung des Sachlichkeitsgebots erachtet der Se- nat unter Abwägung aller Umstände einen Verweis und eine Geldbuße von 500 Euro – letztere auch mit Rück- sicht auf die finanziellen Verhältnisse des Angeschuldig- ten – jedenfalls nicht für zu hoch. disziplinarer Überhang 3. Auch ein disziplinarer Überhang i.S.v. § 115b S. 1 BRAO ist zu bejahen. Das Erfordernis eines solchen Überhangs ist zwar nicht zweifelsfrei. Bei mehreren Vorwürfen ist § 115b S. 1 BRAO grundsätzlich nicht anzuwenden, wenn nur ein Teil der Taten strafgerichtlich abgeurteilt ist, der andere hin- gegen nicht ( Reelsen , in Weyland, § 113 Rn. 31). Die end- gültige Einstellung eines Verfahrens nach Erfüllung von Auflagen und Weisungen gem. § 153a StPO stellt nach bisher h.M. und Rechtsprechung keine anderweitige Ahn- dung dar, während teilweise im Hinblick auf die Regelung in § 14 I BDG und die Vergleichbarkeit des Belastungs- umfangs mit einer Geldstrafe eine solche angenommen wird (vgl. Reelsen , in Weyland, § 115b Rn. 15 m.w.N). Einer Entscheidung hierzu bedarf es nicht, da jedenfalls in diesem Fall nach Auffassung auch des Senats ein dis- ziplinarer Überhang anzunehmen wäre. Ansatzpunkte für die Prüfung, ob die Maßnahme aus- nahmsweise erforderlich ist, um den betroffenen Rechtsanwalt zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten, bieten seine Persönlichkeit und die Strafzumessungser- wägungen aus dem strafgerichtlichen Urteil ( Reelsen , in Weyland, § 115b Rn. 32). Aufgrund der Beschränkung des Einspruchs auf die Ta- gessatzhöhe bzw. die Einstellung des Verfahrens ergibt sich aus den Strafverfahren nichts zum disziplinaren Überhang. Eine vom Angeschuldigten behauptete Ab- sprache mit dem Strafgericht in der Hauptverhandlung, wonach eine anwaltsgerichtliche Ahndung unterbleibt, wäre ohne Bedeutung, weil diese Frage im anwaltsge- richtlichen Verfahren eigenständig zu bewerten ist und Anwaltsgerichte an Meinungsäußerungen oder „Zusa- gen“ der Strafgerichte nicht gebunden sind. Die Notwendigkeit einer zusätzlichen Ahndung wird bei übler Nachrede in Bezug auf die dienstliche Tätigkeit BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG BRAK-MITTEILUNGEN 4/2021 261
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