BRAK-Mitteilungen 5/2021

II. ANLASS DER GESETZESÄNDERUNG Die zu kritisierenden Vorgehensweisen von Inkassoun- ternehmen sind unterschiedlichster Natur und daher si- cherlich auch nicht pauschal allen Beteiligten der Bran- che vorzuwerfen. Aber es ergibt sich ein Gesamtbild, das im Ergebnis ein Auseinandersetzen mit der Thema- tik durchaus rechtfertigt. 1. ÜBERHÖHTE FORDERUNGEN Vielfach zahlen Schuldner für die Rechtsverfolgung hö- here Kosten als die Höhe der Hauptforderung beträgt. Dies ergibt sich natürlich daraus, dass die Hauptforde- rung selbst sehr gering sein kann. Aber es sind auch die Berechnungsmethoden der Inkassounternehmen, die die Nebenforderungen in die Höhe treiben. Beispiels- weise werden die anwaltlichen Gebührensätze unange- messen ausgereizt, zusätzliche Pauschalen abgerech- net oder hohe Einigungsgebühren angesetzt. Bei niedri- gen Zahlungsraten läuft der Schuldner sogar Gefahr, nie aus der Zahlungspflicht herauszukommen. 2. INFORMATIONSDEFIZITE In der Regel wissen Verbraucher nicht, ob die geltend gemachten Inkassokosten tatsächlich auch dem Grun- de nach berechtigt sind. Es kommt immer wieder vor, dass unberechtigte Forderungen geltend gemacht wer- den. Oder die Forderung ist zwar berechtigt, aber es ist nicht mehr nachvollziehbar, wer Forderungsinhaber ist, weil die Forderung von einem Unternehmen an ein In- kassounternehmen, gegebenenfalls noch an ein weite- res Inkassounternehmen abgetreten wurde. Hier stellt sich durchaus die Frage, ob das nun eintreibende Un- ternehmen tatsächlich für eine „fremde“ Forderung, wie § 2 I RDG es verlangt, handelt. Wer dann tatsächlich Forderungsinhaber ist, kann nicht mehr nachvollzogen werden. Vollmachten werden seitens der Inkassounter- nehmen auch auf Verlangen der Schuldner regelmäßig nicht vorgelegt. Unklar ist auch, ob die berechnete Inkassoforderung tatsächlich die dem Gläubiger gegenüber abgerechne- te Forderung wiedergibt. In der Praxis werden hierüber keine Belege vorgelegt. Der Schuldner erhält lediglich das Inkassoschreiben. Einen Nachweis darüber, dass diese Forderung dem Gläubiger gegenüber geltend ge- macht oder gar von ihm gezahlt wurde, erhält man in der Regel auch auf Nachfrage nicht. Ein weiteres Informationsdefizit spiegelt sich im Um- gang mit Einwänden seitens der Schuldner wider. Wenn überhaupt auf Einwendungen eingegangen wird, dann häufig mit dem Hinweis, sich diesbezüglich an den Gläubiger der Hauptforderung zu wenden, um von die- sem die Information zu erhalten, man habe die Angele- genheit an ein Inkassounternehmen abgegeben. Eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Inhalt des Wi- derspruchs erfolgt nicht. In anderen Fällen werden wie- derholt weitere Inkassoschreiben verschickt und gege- benenfalls die Inkassokosten erhöht, ohne überhaupt auf einen Einwand des Schuldners eingegangen zu sein. 3. BEDROHUNGSSZENARIEN Die Art, wie Inkassoschreiben formuliert werden, kann einschüchternd und bedrohlich wirken. Natürlich dür- fen Szenarien angekündigt werden, die einen gewissen Druck erzeugen. Auch dem uneinsichtigen Schuldner muss klar werden, dass eine Zahlungsweigerung unan- genehme Folgen haben kann. Andererseits kann dieser Ansatz nicht rechtfertigen, dass Inkassoschreiben Schritte ankündigen, die noch gar nicht in Rede stehen. Es ist das eine, anzukündigen, dass in einem nächsten Schritt die gerichtliche Klärung eingeleitet wird. Etwas anderes ist es, wenn bereits an dieser Stelle von Lohn- pfändung, Gerichtsvollziehern, Schufa-Einträgen und Haftbefehlen die Rede ist. Dem geneigten Leser ist si- cherlich bekannt, dass der Weg dorthin noch gegangen werden und der berühmte Titel erst noch (gerichtlich) erstritten werden muss. Aber in der Praxis zeigt sich, dass es sich hierbei nicht um Allgemeinwissen handelt. Auch der Regierungsentwurf geht von einem Wissens- defizit des Schuldners aus und begründet weitergehen- de Informationspflichten mit diesem Defizit. Denn es wird unterstellt, anders als von Unternehmern können von Verbrauchern nicht ohne weiteres die notwendigen Rechtskenntnisse erwartet werden, um die Rechtsfolgen des Schuldnerverzugs vollständig zu erfassen. 5 5 BT-Drs. 19/20348, 31. Dies muss für die Folgen eines Gerichtsverfahrens noch viel mehr gelten, da sich Verbraucher hiermit noch viel sel- tener auseinandersetzen als mit den Folgen eines Zah- lungsverzugs. Viele dieser Missstände bestanden bereits vor 2013. Und augenscheinlich haben die – sicherlich teilweise unglücklich geregelten – Vorschriften aus dem Jahr 2013 nicht ausgereicht, um ein Ausreizen der Möglich- keiten seitens der Inkassobranche einzudämmen. Man könnte auch sagen, viele Inkassounternehmer haben die Warnung von damals nicht ernst genommen und weiter abgerechnet, was möglich und nicht was ange- messen war. Nun ist es Zeit, dem einen Riegel vorzu- schieben. Ob dies allerdings mit den nun in Kraft getre- tenen Änderungen erreicht werden kann, ist zweifel- haft. III. LÖSUNGSANSÄTZE DER NEUEN REGELUNGEN Zunächst fällt auf, dass der Lösungsansatz vor allem darin besteht, neue, kleinteilige Regelungen einzufüh- ren. Die Änderungen betreffen eher einzelne Vorschrif- ten und führen nicht zu einer echten Reform des Inkas- sowesens, in der grundsätzliche Fragen geklärt werden. Es wurde die Gelegenheit verpasst, anstatt über Zahlen nach dem Komma zu diskutieren, lieber darüber nach- AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 5/2021 283

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