BRAK-Mitteilungen 5/2021

schen Kausalverlauf treffen, wie der Kläger sich bei um- fassender Aufklärung verhalten hätte. Auch wenn die Rechtssysteme in Deutschland und Ös- terreich nicht deckungsgleich sind, besteht Überein- stimmung insofern, als Anwälte verpflichtet sind, ihre Mandanten umfassend und erschöpfend zu belehren und auf Risiken, insbesondere Prozessrisiken bei einer beabsichtigten Rechtsverfolgung hinzuweisen. (hg) FRISTEN beA-PROBLEME MIT ANWALTSSOFTWARE Zur Glaubhaftmachung des „Spontanversagens“ des beA bei der Ermittlung des Sendungsempfän- gers und dem (Miss-)Erfolg eines damit begründeten Wiedereinsetzungsantrags. (Ls.) Ein Anwalt, der eine Rechtsmittelbegründungsfrist bis zum letzten Tag ausschöpft, hat wegen des da- mit verbundenen Risikos erhöhte Sorgfalt aufzuwen- den, um die Einhaltung der Frist sicherzustellen. (Os.) LAG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 8.4.2021 – 1 Sa 358/20 In diesem Fall ging es wieder einmal zeitlich sehr knapp zu. Der (neue) Prozessbevollmächtigte hatte sich die Be- rufungsbegründungsfrist verlängern lassen; dennoch wurde der Schriftsatzentwurf erst am Abend des Frist- ablaufs fertig und um 23:24 Uhr an die Mandantin übersandt. Diese hatte noch einige Korrekturen, so dass der Schriftsatz um 23:45 Uhr fertiggestellt war und bei Gericht eingereicht werden sollte. Bei den Ar- beitsgerichten in Schleswig-Holstein ist dies bekanntlich seit dem 1.1.2020 ausschließlich per beA zulässig. Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten, mit dem beA zu arbeiten. Die eine besteht darin, dass man sich im beA direkt mit der beA-Karte anmeldet und die zu ver- sendenden Schriftsatzdateien dort hochlädt. Viele Kanz- leien arbeiten jedoch mit einer Kanzleisoftware, die eine direkte Schnittstelle zum beA hat. Dort wird der Zugang nicht mit der beA-Karte hergestellt, sondern mittels eines Softwarezertifikats. Hier scheiterte die Versendung nun daran, dass die ver- wendete Anwaltssoftware trotz Eingabe der zutreffen- den Adresse die SAFE-ID des LAG Schleswig-Holstein nicht ermitteln konnte. Die Alternative einer Versen- dung direkt über die beA Client Security-Software sei nicht möglich gewesen, weil der Prozessbevollmächtig- te nicht über die hierfür notwendige Zugangskarte ver- füge (was nicht recht erklärlich ist). Es wurde daher die Versendung aus der Software heraus versucht, die Zu- stelladresse wurde erst um 0:15 Uhr erkannt, der Schriftsatz dann sofort versendet. Das LAG gewährte keine Wiedereinsetzung. Es weist zu- nächst darauf hin, dass bei Ausschöpfung der Frist eine erhöhte Sorgfalt aufzuwenden sei und bezieht sich auf eine BGH-Entscheidung vom 9.5.2006 – XI ZB 45/04. Dort war indes der bereits am frühen Abend fertigge- stellte Schriftsatz ohne erkennbaren Grund erst kurz vor Mitternacht versandfertig gemacht worden. Das war hier nicht der Fall. Das LAG meint, es gehöre zu den ge- steigerten Sorgfaltsanforderungen an den Prozessbe- vollmächtigten, sich über das ordnungsgemäße Funk- tionieren des Versands per beA und insbesondere die Adressfindung rechtzeitig zu kümmern. Das ist ange- sichts der Tatsache, dass der Prozessbevollmächtigte vortrug, bereits seit Monaten mit der Software zum beA und insbesondere auch mit der Adresssuche reibungs- los zu arbeiten, nicht recht nachvollziehbar. Das LAG bemängelt jedoch zudem den unzureichenden Vortrag im Hinblick auf die technischen Probleme. In diesen Fällen müsse glaubhaft gemacht werden, dass es sich um ein auf einem technischen Defekt beruhen- des Spontanversagen des Geräts handle und nicht um einen Bedienungsfehler. 3 3 So BGH, Beschl. v. 17.5.2004 – II ZB 22/03. Die zum Fax entwickelte Rechtsprechung überträgt das LAG auf das beA und meint, die Möglichkeit, dass ein Fehler in der Bedienung des Programms vorliegt, sei mindestens so wahrschein- lich wie das von der Klägerin behauptete spontane Auf- treten eines Softwarefehlers, der sich nach ca. einer hal- ben Stunde ohne weitere Maßnahmen des Prozessbe- vollmächtigten der Klägerin von selbst behoben hat. Es bestehe daher keine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass den Prozessbevollmächtigten kein Verschul- den trifft. Das LAG zeigt genau auf, welchen Vortrag es erwartet hätte: nämlich Screenshots von den Anzeigen der Bild- schirmoberfläche, die die Eingaben des Prozessbevoll- mächtigten und die Reaktion der Software belegen, oder eine Auswertung von Metadaten des Programms. Da es unwahrscheinlich sei, dass eine Software sich oh- ne weiteres Zutun von selbst repariere, liege die Annah- me eines Fehlers bei der Eingabe näher. Das dürfte dann auch die Lehre aus dieser Entschei- dung sein: Dass bei technischen Problemen in der Über- mittlung weitest möglich die Einzelheiten und Abläufe dokumentiert werden sollten, um sie im Wiedereinset- zungsantrag entsprechend glaubhaft machen zu kön- nen. Die Frage, ob ein weiteres Verschulden darin liegt, dass der Prozessbevollmächtigte nicht über eine eigene Zu- gangskarte zum beA-System verfügt, sondern sich inso- weit vollständig auf die Software verlassen hat, hat das LAG übrigens offengelassen. Die Revisionsbeschwerde war zugelassen, das BAG (2 AZB 20/21) hat die Beschwerde zurückgewiesen. (ju) DAUERBRENNER ABENDLICHE FRISTENKONTROLLE Zu einer wirksamen Ausgangskontrolle gehört unter anderem die Anordnung des Rechtsanwalts, dass die Erledigung von fristgebundenen Schriftsätzen am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fris- JUNGK/CHAB/GRAMS, PFLICHTEN UND HAFTUNG DES ANWALTS – EINE RECHTSPRECHUNGSÜBERSICHT BRAK-MITTEILUNGEN 5/2021 AUFSÄTZE 298

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