BRAK-Mitteilungen 5/2021

welcher Weise die Kl. Schritte zur Geltendmachung der Ansprüche ergreifen würde, lag in ihrem freien Ermes- sen, wobei sie neben der außergerichtlichen und ge- richtlichen Geltendmachung auch zum Abschluss von Vergleichen, zum Verzicht gegenüber einzelnen An- spruchsgegnern und zur Weiterabtretung an An- spruchsgegner Zug um Zug gegen Entschädigung be- rechtigt, aber nicht verpflichtet war. [4] Auf der von der Kl. betriebenen Webseite hieß es un- ter der Rubrik „Häufige Fragen“ u.a.: „Habe ich einen Anspruch gegen A. auf Rückzahlung des gezahlten Flugpreises? Den Anspruch haben sie. Leider ist er nichts wert, denn bei A. ist aller Voraussicht nach nichts zu holen. (...) Warum kann ich das nicht selber tun? Das können Sie selbstverständlich. Doch das Verhältnis zwischen Aufwand/Risiko und Ertrag ist sehr ungünstig. Ein Beispiel: Beauftragen Sie einen Anwalt, 1.000 Euro einzuklagen, riskieren Sie bei zwei Instanzen über 1.500 Euro, also mehr als 150 % der eingeklagten Forderung. Würde AI. (Kl.) gesammelte Ansprüche von 10 Mio. Eu- ro einklagen, läge das Prozessrisiko selbst bei drei In- stanzen nur noch bei rund 12 % der eingeklagten Sum- me. Außerdem kann AI. das Risiko durch Musterverfah- ren weiter reduzieren. ... Wie hoch ist die Chance, dass überhaupt etwas bei der Sache herauskommt? (...) Ein Musterverfahren führen (wir) auf jeden Fall. (...) Es kann auch sein, dass die Gerichte am Ende urteilen, alle hätten rechtmäßig gehandelt.“ [5] Das LG hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen ge- richtete Berufung der Kl. hat das Berufungsgericht zu- rückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelasse- nen Revision verfolgt die Kl. ihr Klagebegehren weiter. AUS DEN GRÜNDEN: [6] Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. [7] I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: [8] Die Kl. sei nicht aktivlegitimiert, da die Abtretungen der Kundenforderungen nach § 134 BGB i.V.m. § 3 RDG nichtig seien. Die von der Kl. erbrachten Rechts- dienstleistungen seien keine Inkassodienstleistungen i.S.v. §§ 2 II 1, 10 I 1 Nr. 1 RDG, da sie nicht auf eine au- ßergerichtliche Tätigkeit gerichtet seien. Aus den Allge- meinen Geschäftsbedingungen der Kl. und ihrem Web- auftritt ergebe sich, dass es der Kl. in der Sache um eine Art Sammelklageorganisation für komplexe Forderun- gen insb. insolvenzrechtlicher Art gehe, mit der die ver- meintlichen Forderungen geschädigter Flugkunden der Schuldnerin gegen einen bestimmten Kreis von Dritten durchgesetzt werden sollten. [9] Im Übrigen bestünden in der Sache durchgreifende Bedenken gegen die geltend gemachten Ansprüche. Selbst wenn man zugunsten der Kl. unterstelle, dass die Schuldnerin ab dem 1.2.2017 überschuldet gewesen sei, habe der Bekl. subjektiv im fraglichen Zeitraum von einer positiven Fortführungsprognose ausgehen dürfen. [10] Es habe mit der sog. „n.“-Planung ein Konzept für die Zukunft des Unternehmens vorgelegen, das eine entsprechende Finanzplanung mit der Aussicht auf ein positives operatives Ergebnis für 2018 beinhaltet habe. Der Bekl. habe jedenfalls nicht sogleich ab Beginn sei- ner Direktorentätigkeit im Februar 2017 mit einem Scheitern der operativ-strukturellen Seite der Unterneh- mensfortführung rechnen müssen. Obwohl sich aus dem Geschäftsbericht für 2016, der Ende April bzw. An- fang Mai 2017 vorgelegen habe, erhebliche Zweifel an der Fortführungsfähigkeit der Schuldnerin ergeben hät- ten, habe der Bekl. auf die Weiterführung des Unterneh- mens und dessen Zahlungsfähigkeit vertrauen dürfen. Wesentliche Grundlage dafür sei ein Schreiben der Ge- sellschafterin der A. PLC, der E. (im Folgenden: E.), v. 28.4.2017 gewesen, worin diese die Absicht bestätigt habe, auf der Grundlage der mitgeteilten Vorausbe- rechnungen bis Ende 2018 der Schuldnerin die notwen- dige Unterstützung für die vorhersehbare Zukunft, je- denfalls aber für 18 Monate ab dem 28.4.2017 zu ge- ben, damit die fälligen finanziellen Verpflichtungen er- füllt werden könnten. Daraufhin sei auch der Abschluss- prüfer bei seinem uneingeschränkten Bestätigungsver- merk von einer Fortführung der Unternehmenstätigkeit gem. § 252 I Nr. 2 HGB ausgegangen. Es seien zudem eine Reihe von finanzwirksamen Maßnahmen sofort umgesetzt worden. Für eine gesicherte fortlaufende Fi- nanzierung der Schuldnerin sei darüber hinaus eine Fi- nanzierungsvereinbarung mit E. im Umfang von 350 Mio. Euro bis zum 26.7.2017 wesentlich gewesen. Diese habe zwar eine Kündigungsmöglichkeit für E. vor- gesehen, die u.a. an den Wegfall der Fortführungsfähig- keit nach § 19 II InsO a.F. angeknüpft habe, weshalb der Bekl. fortlaufend Anlass zur Überprüfung der Not- wendigkeit eines Insolvenzantrags für den Fall gehabt habe, dass sich die Umstände, die der Vereinbarung mit E. zugrunde lagen, erheblich veränderten. Eine sol- che Veränderung sei jedoch bis Ende Juli 2017 nicht feststellbar, zumal noch am 20.7.2017 eine Änderungs- vereinbarung geschlossen worden sei, wonach die letz- ten Raten im August 2017 an die Schuldnerin ausge- zahlt werden sollten. Auch wenn sich einem Schreiben der E. v. 11.8.2017 an die L. AG entnehmen lasse, dass die letztlich insolvenzauslösende Nichtauszahlung der Rate v. 9.8.2017 darauf beruht habe, dass bei E. kurz zuvor neue Geschäftsplanungen der Schuldnerin einge- gangen seien, die von denjenigen aus April 2017 abge- wichen seien, habe der Bekl. vor Ende Juli 2017 nicht mit einer Aufkündigung des Engagements E. rechnen müssen. [11] II. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprü- fung nicht stand. [12] 1. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sind die Abtretungen der durch die Kl. geltend gemach- ten Kundenforderungen nicht gem. § 134 BGB i.V.m. § 3 RDG nichtig. Eine Inkassodienstleistung nach §§ 10 I 1 Nr. 1, 2 II 1 RDG liegt auch dann vor, wenn die abge- BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG BRAK-MITTEILUNGEN 5/2021 311

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