BRAK-Mitteilungen 5/2021

zwingende Beteili- gung eines Anwalts unbegründete Klagen (vgl. Freitag/Lang , ZIP 2020, 1201, 1203; Wolf , in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 3. Aufl., § 1 RDG Rn. 9; Deckenbrock , in Deckenbrock/Henssler, RDG, 5. Aufl., § 1 Rn. 10) wird wiederum durch die zwingende Beteiligung eines Rechtsanwalts, und zwar auch bei niedrigen Streitwerten (§ 79 I 2 ZPO), sicherge- stellt ( Freitag/Lang , ZIP 2020, 1201, 1203). [33] Wenn Geschäftsmodelle wie das der Kl. zu insge- samt höheren Verfahrenszahlen bei den Zivilgerichten führen, wird dies in aller Regel auf der Überwindung des rationalen Desinteresses der Rechtsuchenden beru- hen. Der hierin zum Vorschein kommende erleichterte „Zugang zum Recht“ rechtfertigt keinen Eingriff in Art. 12 I GG (vgl. BVerfGE 117, 163, 185; Morell , JZ 2019, 809, 812 [zu Art. 14 GG]). Hinzu kommt, dass ge- rade Geschäftsmodelle wie das der Kl., bei denen ein- zelne Rechts- bzw. Tatsachenfragen, die im Wesent- lichen gleichen Lebenssachverhalten entspringen, in einem oder wenigen Musterprozessen geklärt werden sollen, die Justiz nach den Vorstellungen des Gesetzge- bers insgesamt eher entlasten können (vgl. Kerstges , GVRZ 2020, 15 Rn. 12; Krüger/Seegers , BB 2021, 1031, 1033). Sofern der Umfang bzw. die Komplexität der durch die registrierten Inkassodienstleister geführ- ten Verfahren ( Mann/Schnuch , NJW 2019, 3477, 3481; vgl. LG München I, AnwBl. Online 2020, 284, 299) und die hieraus möglicherweise entstehenden He- rausforderungen der Verfahrensführung ins Feld ge- führt werden, beruhen diese Gesichtspunkte auf der Bündelung einer Vielzahl von Einzelansprüchen. Sie be- treffen § 260 ZPO und sind mit den zur Verfügung ste- henden zivilprozessualen Mitteln, etwa § 145 ZPO, zu bewältigen. [34] Die Anspruchsgegner der Rechtsuchenden sind im Wesentlichen vor einer unberechtigten Inanspruchnah- me zu schützen. Das RDG bezweckt, wie schon das RBerG, nicht den Schutz der Schuldner vor den Folgen zutreffend erteilten Rechtsrats und wirkungsvoller Rechtsbesorgung (BVerfG, NJW 2002, 1190, 1192). An- haltspunkte dafür, dass durch die hier in Rede stehen- den Inkassodienstleister in erheblichem Umfang von vornherein unberechtigte Klageverfahren eingeleitet werden, sind nicht dargelegt und im Hinblick auf die zwingende Beteiligung von Rechtsanwälten auch nicht naheliegend. Dies gilt vor allem dann, wenn, wie vorlie- gend, die Vergütung ausschließlich erfolgsabhängig ausgestaltet und eine Kostenfreihaltung für die Zeden- ten vereinbart wird. Unter dem Gesichtspunkt des Schutzes des Rechtsverkehrs bedenklich wären mögli- cherweise Geschäftsmodelle, die darauf angelegt sind, streitige aber tatsächlich unbegründete Ansprüche zu bündeln, um mittels einer hierdurch erzielten Verhand- lungsmacht den Anspruchsgegner zum Abschluss eines Vergleichs zu zwingen, der bei objektiver Betrachtung nicht mehr gerechtfertigt erscheint (vgl. Prütting , ZIP 2020, 1434, 1440). Ein solches Vorgehen hinge aber nicht davon ab, ob eine Klage erst nach dem Versuch einer außergerichtlichen Regulierung erhoben werden soll. Im Übrigen könnte gerade im gerichtlichen Verfah- ren einem etwaigen Missbrauch am ehesten Einhalt ge- boten werden. Nicht zuletzt besteht für die Verfahrens- beteiligten stets die Möglichkeit einer Mitteilung an die Aufsichtsbehörde zur Einleitung eines Widerrufsverfah- rens nach § 14 RDG. [35] (cc) Der Schutz der Rechtsordnung erfordert eine Einschränkung des Inkassobegriffs in der von der Ge- genauffassung befürworteten Weise ebenfalls nicht. [36] Dieser Schutzzweck zielt darauf ab, dass das Recht als höchstrangiges Gemeinschaftsgut nicht in die Hän- de unqualifizierter Personen gelangen soll, da es als „gelebtes Recht“ maßgeblich durch die Personen beein- flusst und fortentwickelt wird, die Recht beruflich an- wenden. Eine Freigabe der beruflichen Anforderungen hätte negative Auswirkungen auf die Rechtskultur und könnte die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege insge- samt gefährden (RegE RDG, BT-Drs. 16/3655, 45). [37] Eine Beeinträchtigung dieser Belange ist nicht zu befürchten. Bei den gem. § 10 I 1 Nr. 1 RDG registrier- ten Inkassodienstleistern handelt es sich im Hinblick auf die von ihnen als Voraussetzung der Registrierung nachzuweisende Sachkunde in den in § 11 I RDG be- zeichneten Rechtsgebieten gerade nicht um unqualifi- zierte Personen. Zudem sind im gerichtlichen Verfahren mit dem zwingend zu mandatierenden Rechtsanwalt und dem Gericht weitere hinreichend qualifizierte Per- sonen mit der Anwendung der Rechtsvorschriften auf die konkreten Sachverhalte befasst. [38] (c) Die Kritik der Gegenansicht an der Ausdehnung keine unqualifizierten Personen des Inkassobegriffs und der damit verbundenen Öff- nung des Rechtsdienstleis- tungsmarkts für Anbieter eines sog. Legal-Tech-Inkassos wird vielfach damit be- gründet, hierdurch entstehe ein struktureller Wettbe- werbsnachteil der Rechtsanwaltschaft (vgl. Freitag/ Lang , ZIP 2020, 1201, 1203 ff.; Greger , MDR 2018, 897, 899; Henssler , NJW 2019, 545, 547; AnwBl. On- line 2020, 168, 172; Prütting , ZIP 2020, 1434, 1441 f.; Remmertz , AnwBl. Online 2020, 186, 188; Römer- mann , VuR 2020, 43, 51). Dieser Gesichtspunkt recht- fertigt keine Einschränkung der Berufsausübungsfrei- heit der Inkassodienstleister. [39] Es trifft zwar zu, dass die berufsrechtliche Regulie- rung der Inkassounternehmen im Vergleich zu der der Rechtsanwaltschaft weniger streng ausgestaltet ist. Ins- besondere ist es Rechtsanwälten berufsrechtlich, von engen Ausnahmen abgesehen, bisher weder gestattet, mit ihren Mandanten ein Erfolgshonorar zu vereinbaren (§ 49b II 1 BRAO, § 4a RVG), noch den Mandanten im Fall einer Erfolglosigkeit der Inkassotätigkeit eine Frei- haltung von den entstandenen Kosten zuzusagen (§ 49b II 2 BRAO; BGH, Urt. v. 20.6.2016 – AnwZ (Brfg) 26/14, WM 2017, 684 Rn. 17; Urt. v. 27.11.2019 – VIII ZR 282/18, BGHZ 224, 89 Rn. 171). Aus den nicht gänzlich von der Hand zu weisenden Widersprüchen, BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG BRAK-MITTEILUNGEN 5/2021 315

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