BRAK-Mitteilungen 5/2021

die sich aus der eher strengen Regulierung im anwalt- lichen Berufsrecht im Vergleich zu der der Inkassounter- nehmen im Einzelfall ergeben mögen (vgl. Hellwig , AnwBl. Online 2020, 260 f.; Kilian , NJW 2019, 1401, 1406), lässt sich, auch unter Berücksichtigung des all- gemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 I GG; dazu Freitag/ Lang , ZIP 2020, 1201, 1204; Knauff , GewArch 2019, 413, 420), im Ergebnis keine Überschreitung der Inkas- sobefugnis herleiten (BGH, Urt. v. 27.11.2019 – VIII ZR 285/18, BGHZ 224, 89 Rn. 170, 185 f.; BGH, Urt. v. 8.4. 2020 – VIII ZR 130/19, ZIP 2020, 1129 Rn. 69 ff.; Urt. v. 27.5.2020 – VIII ZR 45/19, BGHZ 225, 352 Rn. 55). [40] Zu berücksichtigen ist zunächst, dass dem Rechts- dienstleistungsgesetz der Schutz der Anwaltschaft vor Konkurrenz kein selbstständiges Regelungsanliegen ist ( Deckenbrock , in Deckenbrock/Henssler, RDG, 5. Aufl., § 1 Rn. 13; BeckOK RDG/ Römermann , Stand: 1.7. 2019, § 1 Rn. 32 f.; Overkamp/Overkamp, in Henssler/ Prütting, BRAO, 5. Aufl., § 1 RDG Rn. 11; Kleine-Cosack , RDG, 3. Aufl., § 1 Rn. 41 f.; Krenzler/Remmertz , RDG, 2. Aufl., § 1 Rn. 66). Bedeutung erlangt der Gedanke mittelbar allerdings insoweit, als er dem primären Ge- setzeszweck „Schutz einer funktionsfähigen Rechtspfle- ge“ dient ( Deckenbrock, in Deckenbrock/Henssler, RDG, 5. Aufl., § 1 Rn. 13; Wolf, in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 3. Aufl., § 1 Rn. 16, 16a). [41] Im vorliegenden Zusammenhang gebietet es der Gesichtspunkt des Schutzes der Anwaltschaft als Gan- zes nicht, Geschäftsmodelle wie das der Kl. als nicht mehr von ihrer Inkassodienstleistungsbefugnis nach § 10 I 1 Nr. 1 RDG gedeckt anzusehen, weil sie aus- schließlich bzw. vorrangig auf eine gerichtliche Geltend- machung im Wege des sog. „Sammel-Inkasso“ gerich- tet sind. Für etwaige „Musterprozesse“, sofern solche angestrebt werden, bedarf es der anwaltlichen Vertre- tung ( Kerstges , GVRZ 2020, 15 Rn. 34). Demgemäß ist nicht ersichtlich, dass der Rechtsanwaltschaft als Gan- zes, soweit es die klageweise Geltendmachung der For- derungen betrifft, Anteile am Rechtsdienstleistungs- markt in erheblichem Umfang verloren gingen. [42] Zwar mag sich die Mandatierung auf wenige Kanzleien konzentrieren, sofern die Inkassodienstleis- tungsunternehmen für die gerichtliche Durchsetzung der bei ihnen gebündelten Ansprüche stets dieselben Kanzleien beauftragen. Um einen Eingriff in die Berufs- ausübungsfreiheit der Inkassodienstleistungsunterneh- men rechtfertigen zu können, müssten allerdings wie- derum zumindest Anhaltspunkte für eine Monopolbil- dung im Rechtsdienstleistungsmarkt erkennbar sein, die die Funktionsfähigkeit der Anwaltschaft insgesamt (vgl. Kleine-Cosack , RDG, 3. Aufl., § 1 Rn. 42; Decken- brock , in Deckenbrock/Henssler, RDG, 5. Aufl., § 1 Rn. 13) fühlbar beeinträchtigt (vgl. zum RBerG BVerfGE 97, 12, 30 f.). Solche Anhaltspunkte sind nicht darge- legt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Geschäfts- modelle des sog. „Sammelklage-Inkasso“ eher zu einer insgesamt höheren Zahl von Mandaten und damit zu einem Wachstum des Rechtsdienstleistungsmarkts ins- gesamt führen dürften. Soweit ersichtlich, sind die An- sprüche, die an die in Rede stehenden Inkassounterneh- men abgetreten werden, häufig solche, die anderenfalls aufgrund des rationalen Desinteresses der Anspruchs- inhaber überhaupt nicht geltend gemacht würden ( Rott , VuR 2018, 443, 446). [43] cc) Entgegen einzelner Stimmen im Schrifttum keine Umgehung der Musterfest- stellungsklage ( Henssler , AnwBl. Online 2020, 168, 169, 171; vgl. Grothaus/Haas , ZIP 2020, 1797, 1802 f.; Heese , JZ 2019, 429, 438) führen Ge- schäftsmodelle des sog. „Sammelklage-Inkasso“ auch nicht zu einer Umgehung der Voraussetzungen der Musterfeststellungsklage gem. §§ 606 ff. ZPO ( Rillig , in Deckenbrock/Henssler, RDG, 5. Aufl., § 10 Rn. 46i). [44] Richtig ist, dass nach § 606 I 1 Nr. 4 ZPO Muster- feststellungsklagen nicht zum Zwecke der Gewinnerzie- lung erhoben werden dürfen. Hieraus den klaren Willen des Gesetzgebers abzuleiten, keine Modelle zur kollekti- ven Rechtsdurchsetzung zuzulassen, wenn sie zum Zwe- cke der Gewinnerzielung eingesetzt werden ( Henssler , AnwBl. Online 2020, 168 f.), findet in den Gesetzesma- terialien keine Stütze. Bei Schaffung der §§ 606 ff. ZPO durch das Gesetz v. 12.7.2018 zur Einführung einer zi- vilprozessualen Musterfeststellungsklage (BGBl. I, 1151 ff.) waren die hier in Rede stehenden Geschäfts- modelle bekannt. Die Gesetzesbegründung enthält kei- nen klarstellenden Hinweis, dass solche Geschäftsmo- delle eingeschränkt werden sollten (RegE, BT-Drs. 19/ 2439, 22 ff.). Zudem handelt es sich um unterschied- liche Formen der kollektiven Rechtsdurchsetzung. Dies zeigt sich nicht zuletzt darin, dass Gegenstand der Mus- terfeststellungsklage nur Rechtsverhältnisse mit Ver- brauchern sein können, weshalb sie etwa für Kartell- schadensersatzklagen für ungeeignet gehalten wird ( Kremer/Nowak , NZKart 2020, 311, 313; Krüger/See- gers , BB 2021, 1031, 1033). [45] 2. Die Abtretung der von der Kl. geltend gemach- ten Forderungen ist auch nicht deshalb gem. § 134 BGB nichtig, weil die Kl. mit ihrer Tätigkeit gegen § 4 RDG verstößt, so dass dahinstehen kann, ob es sich um ein Verbotsgesetz handelt. Anders als das LG noch an- genommen hat, lässt sich eine Unvereinbarkeit mit einer anderen Leistungspflicht i.S.d. Vorschrift nicht feststellen. Ein Interessenkonflikt, der eine entsprechen- de Anwendung des § 4 RDG auf den vorliegenden Fall rechtfertigen könnte, liegt nicht vor. [46] a) Mit § 4 RDG hat der Gesetzgeber eine ältere Entscheidung des Senats zur Rechtsschutzversicherung unter Geltung des Rechtsberatungsgesetzes (BGH, Urt. v. 20.2.1961 – II ZR 139/59, NJW 1961, 1113) mit dem Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts v. 30.11.2006 aufgegriffen und zum allgemeinen Grund- satz erhoben, dass Rechtsdienstleistungen nicht er- bracht werden dürfen, wenn sie mit einer anderen Lei- stungspflicht unvereinbar sind (RegE RDG, BT-Drs. 16/ 3655, 39, 51; Johnigk , in Gaier/Wolf/Göcken, Anwalt- BRAK-MITTEILUNGEN 5/2021 BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG 316

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