BRAK-Mitteilungen 6/2021

chung des Einwands des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens ist folglich mit einem immensen Risiko für den Verantwortlichen verbunden. Selbst wenn die höchstrichterliche Rechtsprechung zukünftig – entgegen der bisherigen Ansichten der unteren Instanzen – zu dem Schluss kommen sollte, dass in der Verwendung des Auskunftsanspruchs aus Art. 15 DSGVO zu Zwecken der pre-trial discovery ein rechtsmissbräuchliches Verhalten zu sehen ist, ist dieser Einwand für den Verantwortlichen wohl bedacht rechtssicher zu dokumentieren. 4. ART. 23 I LIT. E, F UND J DSGVO Das Recht aus Art. 15 DSGVO kann darüber hinaus gem. Art. 23 DSGVO zu beschränken sein. Vorliegend könnte der Schutz der vorgerichtlichen Informationserhebung ohne Einwirkung auf die gegnerische Partei gem. Art. 23 I lit. e, f und j DSGVO bestehen. Über dieses Einfallstor würden die Prinzipien des deutschen Zivilprozessrechts auch weiterhin gelten, so dass Art. 15 DSGVO entsprechend reduziert werden müsste, eine pre-trial discovery damit also vollständig entfallen würde. In diesem Rahmen wäre es fraglich, ob die Vorschriften der ZPO den strikten formalen Anforderungen des Art. 23 II DSGVO an ein einschränkendes Gesetz genügen würden. Angesichts der aktuellen Rechtsprechung scheint eine solche Reduktion des Auskunftsanspruchs nicht im Sinne der Gerichte zu sein.36 36 Schmidt-Wudy, in BeckOK DatenschutzR, 37. Ed. 1.8.2021, Art. 15 DSGVO Rn. 52.2. 5. § 29 I 2 BDSG Des Weiteren könnte der Auskunftsanspruch seine Grenze in § 29 I 2 BDSG finden. Nach dieser Norm ist das Recht aus Art. 15 DSGVO ausgeschlossen, wenn durch die Auskunft Informationen offenbart werden würden, die aus einem Rechtsgrund, aufgrund ihres Wesens oder wegen überwiegender Interessen eines Dritten geheim gehalten werden müssen. Diese Einschränkung beruht auf der Öffnungsklausel des Art. 23 I lit. i DSGVO.37 37 Uwer, in BeckOK DatenschutzR, 37. Ed. 1.5.2021, § 29 BDSG Rn. 1. Ein solches überwiegendes Interesse des Anspruchsgegners des Art. 15 DSGVO könnte in einem Geheimhaltungsgrund des Auskunftspflichtigen liegen. Jedoch führt das LAG Baden-Württemberg hierzu aus, dass ein Geheimhaltungsgrund keine absolute Beschränkung bewirkt, sondern es stets einer Güterabwägung zwischen Geheimhaltungs- und Auskunftsinteresse bedarf, um dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gerecht zu werden. Beispielsweise kann das Geheimhaltungsinteresse überwiegen, wenn der Anspruchsgegner die Anonymität seiner Informationsquellen wahren will, um die Integrität eines internen anonymen Meldesystems zu gewährleisten. Sofern aber die Möglichkeit bestehen könnte, dass ein Informant „wider besseres Wissen oder leichtfertig dem Arbeitgeber unrichtige Informationen gegeben hat“, könnte auch das Auskunftsinteresse des Anspruchsstellers überwiegen.38 38 LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 20.12.2018 – 17 Sa 11/18 Rn. 181. Ein pauschaler Ausschluss des Auskunftsanspruchs folgt somit auch nicht aus § 29 I 2 BDSG, es bedarf einer umfassenden Güterabwägung. 6. UNMÖGLICHKEIT Denkbar ist weiterhin eine Berufung des Antragsgegners auf die wirtschaftliche Unmöglichkeit, die Daten bereitstellen zu können, etwa, weil ein Unternehmen die für die Durchsuchung der Datenbestände nach den angeforderten personenbezogenen Daten erforderlichen Ressourcen nicht aufbringen kann. Das OLG Köln erteilt einem solchen Einwand aber einer klare Absage; es sei die Pflicht des Unternehmens, das sich der elektronischen Datenverarbeitung bediene, die Rechtskonformität sicherzustellen.39 39 OLG Köln, Urt. v. 26.7.2019 – 20 U 75/18 Rn. 66. Nach Ansicht des LG Heidelberg soll ein Auskunftsanspruch aber wegen unverhältnismäßigem Aufwand dann ausscheiden, wenn die Auskunft die Sichtung und Schwärzung mehrerer tausend E-Mails voraussetzt.40 40 LG Heidelberg, Urt. v 21.2.2020, – 4 O 6/19 Rn. 24f. 7. ZWISCHENERGEBNIS Der Auskunftsanspruch findet folglich seine Beschränkungen in einer präzisen Stellung des Auskunftsersuchens sowie in möglichen entgegenstehenden Interessen Dritter oder des Anspruchsgegners, sofern dies Ergebnis einer umfassenden Güterabwägung ist. VI. PRAKTISCHE ERWÄGUNGEN Die derzeit fehlende höchstrichterliche Rechtsprechung bezüglich der generellen Zulässigkeit der Verwendung des Auskunftsanspruchs aus Art. 15 DSGVO zu Zwecken der pre-trial discovery führt zu einer unsicheren Rechtslage. Für beide Parteien ergeben sich daraus Konsequenzen im Umgang mit Auskunftsersuchen, die möglicherweise als eine Form der pre-trial discovery eingesetzt werden sollen. 1. SEITE DES VERANTWORTLICHEN Für die ersuchte Beklagtenpartei ergeben sich – abgesehen vom mangelnden Personenbezug – keine klaren Grundsätze, auf Grund welcher sie eine Auskunft verweigern könnten. Der Anspruchsgegner wird demnach weiterhin das Auskunftsersuchen auf seine Bestimmtheit prüfen zu haben und gegeben falls eine Konkretisierung verlangen müssen. Des Weiteren bedarf es dann einer genauen Bewertung der angeforderten personenbezogenen Daten. Sofern Rechte Dritter betroffen sind, kann die Herausgabe versagt werden. Sollten Geschäftsgeheimnisse des Beklagten einer Herausgabe BRAK-MITTEILUNGEN 6/2021 AUFSÄTZE 352

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