PFLICHTEN UND HAFTUNG DES ANWALTS – EINE RECHTSPRECHUNGSÜBERSICHT RECHTSANWÄLTIN ANTJE JUNGK, RECHTSANWÄLTE BERTIN CHAB UND HOLGER GRAMS * Die Autorin Jungk ist Leitende Justiziarin, der Autor Chab Leitender Justiziar bei der Allianz Deutschland AG, München; der Autor Grams ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Versicherungsrecht in München. In jedem Heft der BRAK-Mitteilungen kommentieren die Autoren an dieser Stelle aktuelle Entscheidungen zum anwaltlichen Haftungsrecht. HAFTUNG ANWALTSREGRESS DES RECHTSSCHUTZVERSICHERERS 1. Die Pflicht des Rechtsanwalts zur Beratung des Mandanten über die Erfolgsaussichten einer in Aussicht genommenen Rechtsverfolgung besteht unabhängig davon, ob der Mandant rechtsschutzversichert ist oder nicht. 2. Die Pflicht des Rechtsanwalts, den Mandanten über die Erfolgsaussichten einer in Aussicht genommenen Rechtsverfolgung aufzuklären, endet nicht mit deren Einleitung; verändert sich die rechtliche oder tatsächliche Ausgangslage im Laufe des Verfahrens, muss der Rechtsanwalt seinen Mandanten über eine damit verbundene Verschlechterung der Erfolgsaussichten aufklären. 3. Ein bestehender Deckungsanspruch des Mandanten gegen seinen Rechtsschutzversicherer oder eine bereits vorliegende Deckungszusage können den Anscheinsbeweis für ein beratungsgerechtes Verhalten des Mandanten ausschließen; dies gilt nicht, wenn die Rechtsverfolgung objektiv aussichtslos war. BGH, Urt. v. 16.9.2021 – IX ZR 165/19, MDR 2021, 1357; DB 2021, 2484 Entscheidungen zu dieser Konstellation haben wir hier schon mehrfach vorgestellt: Rechtsschutzversicherer nehmen die Anwälte ihrer Versicherungsnehmer nach verlorenem Prozess zunehmend wegen der von ihnen verauslagten Verfahrenskosten aus nach § 86 I VVG übergegangenem Recht in Regress. Der Vorwurf lautet dann, die Anwälte hätten aussichtslose Rechtsstreitigkeiten geführt, ohne die Mandanten/Versicherungsnehmer über die Aussichtslosigkeit zu belehren.1 1 S. hierzu z.B. die Rechtsprechungsübersichten von Dallwig, r+s 2020, 181, sowie – kritisch – von Weinbeer, AnwBl. 2020, 26. Dieser nun ersten BGH-Entscheidung lagen Anlegerklagen gegen Finanzdienstleister zugrunde, die wegen Verjährung abgewiesen wurden, weil vorausgegangene Güteanträge Ende 2011 mangels hinreichender Individualisierung die Verjährung nicht nach § 204 I Nr. 4 BGB gehemmt hätten. Die Versicherung wirft den Anwälten u.a. vor, die Verjährung verschuldet zu haben; außerdem habe die Kanzlei vor Erhebung der Klagen sowie nachfolgender Rechtsmittel den Eintritt der Verjährung erkennen und den Mandanten von den Klagen bzw. der Einlegung von Rechtsmitteln abraten müssen. Das LG Gera gab der Regressklage weitgehend statt; das OLG Jena wies sie ab.2 2 OLG Jena, BRAK-Mitt. 2019, 292 m. Anm. Grams. Der BGH hob das OLG-Urteil auf, soweit es um die Kosten der II. und III. Instanz der Ausgangsverfahren geht, und verwies die Sache zurück. Die Wertung des OLG Jena, dass die Anwälte nicht für den Eintritt der Verjährung selbst und auch nicht für die erstinstanzlichen Verfahrenskosten einzustehen hätten, weil der BGH erstmals 2015 Individualisierungsanforderungen an Güteanträge gestellt habe, die es so zuvor nicht gegeben habe,3 3 BGH, MDR 2015, 943. war nicht Gegenstand der jetzigen BGH-Entscheidung; insofern hatte der BGH bereits die Revision gegen das Urteil des OLG Jena nicht zugelassen. Gleiches gilt, soweit die Klägerin Ersatz der Kosten der Ausgangsverfahren I. Instanz begehrte; die Klagen seien zum Zeitpunkt der Erhebung schon nicht objektiv aussichtslos gewesen. Eine objektive Aussichtslosigkeit sei jedenfalls nicht vor der Berufungseinlegung und der 2015er BGH-Entscheidung eingetreten. Dazu seien noch tatrichterliche Feststellungen zu treffen. Der BGH hat nun entschieden, dass etwaige Haftpflichtansprüche der rechtsschutzversicherten Mandanten gegen die Anwälte gem. § 86 I VVG auf den klagenden Rechtsschutzversicherer übergehen. Die Rechtsschutzversicherung sei eine Schadensversicherung, für die § 86 I VVG gelte.4 4 So bereits BGH, MDR 2020, 485; Anm. Grams, BRAK-Mitt. 2020, 195. Der Deckungsanspruch des Versicherungsnehmers schließe die Annahme eines übergangsfähigen Kostenschadens nicht aus. Ein Schädiger solle nicht deswegen entlastet werden, weil ein Versicherer den Schaden deckt. Ein Anspruch des Versicherers sei nicht schon deswegen ausgeschlossen, weil er ja die Deckungsanfrage der Anwälte geprüft habe und die Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung selbst hätte erkennen können. Den Rechtsschutzversicherer träfen gegenüber den Anwälten der Versicherungsnehmer keine Pflichten. Zwar könne ein Rechtsschutzversicherer nach § 128 VVG, § 3a ARB 2010 eine Deckungszusage ablehnen, wenn die Sache keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe. Eine Rechtspflicht zur Ablehnung bestehe aber nicht, erst recht nicht gegenüber dem Anwalt des Versicherungsnehmers. Auch nach Treu und Glauben sei der Versicherer daher nicht gehalten, die Prüfung des Versicherungsfalls zur Vermeidung einer Haftung des Anwalts einzusetzen. JUNGK/CHAB/GRAMS, PFLICHTEN UND HAFTUNG DES ANWALTS – EINE RECHTSPRECHUNGSÜBERSICHT BRAK-MITTEILUNGEN 6/2021 AUFSÄTZE 370
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