Ein Anwalt sei verpflichtet, den Mandanten über die mit der Erhebung einer Klage verbundenen Risiken zu belehren. Bei Aussichtslosigkeit müsse der Anwalt dies klar herausstellen und dem Mandanten ggf. von der Rechtsverfolgung ausdrücklich abraten. Dabei müsse der Anwalt sich insb. an der aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung ausrichten. Diese Beratungspflicht ende nicht mit der Einleitung eines Rechtsstreits. Verändere sich die rechtliche oder tatsächliche Ausgangslage im Laufe des Verfahrens, müsse der Anwalt den Mandanten auch über eine Verschlechterung der Erfolgsaussichten aufklären und ggf. von Rechtsmitteln abraten bzw. zu deren Rücknahme raten. Die Pflicht des Anwalts zur Beratung des Mandanten gelte gleichermaßen gegenüber Mandanten mit und ohne Rechtsschutzversicherung. Er könne seine Pflichten aus dem Mandat nicht allein dadurch erfüllen, dass er eine Deckungszusage des Rechtsschutzversicherers erwirkt. Der Deckungsanspruch des Mandanten aus dem Versicherungsvertragsverhältnis entstehe bereits mit Eintritt des Versicherungsfalls. Eine später erteilte Deckungszusage verstärke diesen lediglich im Sinne eines deklaratorischen Schuldanerkenntnisses. Ob er den Deckungsanspruch geltend machen wolle, liege ausschließlich in der Entscheidung des Mandanten. Um diese Entscheidung sachgerecht treffen zu können, müsse der rechtsschutzversicherte Mandant vom Anwalt ebenso beraten werden wie ein nicht rechtsschutzversicherter Mandant. Die Beweislast für eine unzureichende Beratung trägt der Anspruchsteller, hier also der Rechtsschutzversicherer. Der Anwalt trägt allerdings eine sekundäre Darlegungslast, wie er den Mandanten beraten hat.5 5 St. Rspr. seit BGH, NJW 1987, 1322. In der vorliegenden Konstellation kann der Mandant als Zeuge benannt werden. Fällt dem Anwalt eine schuldhafte Pflichtverletzung in Form nicht ordnungsgemäßer Beratung des Mandanten zur Last, kommt es auf die haftungsausfüllende Kausalität an, wie sich also der Mandant im Falle pflichtgemäßer Aufklärung verhalten hätte. Dies muss nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich der Anspruchsteller (hier also der Rechtsschutzversicherer) nach § 287 ZPO beweisen. Liegt objektiv nur eine einzige vernünftige Reaktion nahe, wird im Wege eines (ggf. vom Anwalt zu entkräftenden) Anscheinsbeweises vermutet, dass der Mandant dem geschuldeten anwaltlichen Rat gefolgt wäre. Bei Handlungsalternativen mit unterschiedlichen Vorteilen und Risiken kommt ein Anscheinsbeweis dagegen nicht in Betracht.6 6 St. Rspr., z.B. BGH, MDR 2012, 1031. Dabei spiele insbesondere auch das Kostenrisiko eine Rolle. Erfahrungsgemäß sei ein Mandant mit gemindertem Kostenrisiko eher bereit, einen Rechtsstreit auch mit nur geringen Erfolgsaussichten zu führen. Sei eine Deckungszusage eines Rechtsschutzversicherers einwandfrei herbeigeführt worden, also durch vollständige und wahrheitsgemäße Unterrichtung über sämtliche Umstände des Rechtsschutzfalls (vgl. § 17 I b ARB 2010), könnten schon ganz geringe Erfolgsaussichten den Mandanten dazu veranlassen, den Rechtsstreit zu führen oder fortzusetzen. Der Anscheinsbeweis finde jedoch seine Grenze, wenn eine (ggf. weitere) Rechtsverfolgung objektiv aussichtslos war. Dann reiche auch eine bestandskräftige Deckungszusage des Rechtsschutzversicherers nicht aus. Hierzu werde ein vernünftiger Mandant den Deckungsanspruch nicht einsetzen. Auch zu dieser Kausalitätsfrage kommt im Regressprozess des Rechtsschutzversicherers der Mandant als Zeuge in Betracht. Benennen muss ihn ggf. die nach oben Gesagtem beweisbelastete Partei. Mit diesem Urteil hat der BGH einige Rechtsfragen erstmals höchstrichterlich entschieden, insbesondere die Anwendbarkeit von § 86 I VVG auf diese Konstellation.7 7 Hierzu krit. OLG München, r+s 2021, 151, Anm. Grams, BRAK-Mitt. 2021, 84; Cornelius-Winkler, r+s 2020, 432. Nicht explizit eingegangen ist der BGH auf die Rechtsauffassung einiger Oberlandesgerichte, der rechtsschutzversicherte Mandant dürfe wegen § 125 VVG gar keine Deckungsanfrage beim Versicherer stellen, wenn er vom Anwalt über die fehlenden Erfolgsaussichten des beabsichtigten Rechtsstreits aufgeklärt worden sei.8 8 So z.B. OLG Düsseldorf, NJW 2014, 399, m. krit. Anm. von Grams, BRAK-Mitt. 2013, 222. Dies ist nach Ansicht des Verfassers verfehlt. § 125 VVG normiert keine Obliegenheit des Versicherungsnehmers, sondern beschreibt nur die Leistungspflicht des Versicherers. Da der BGH offenbar davon ausgeht, dass auch bei Aussichtslosigkeit eine Deckungszusage versicherungsrechtlich „einwandfrei herbeigeführt“ werden kann, wird damit diese Argumentation konkludent abgelehnt. Ein Anwalt muss und darf ausschließlich die Interessen seines Mandanten vertreten (vgl. § 43a IV BRAO). Zwar muss der Anwalt, wenn er die Korrespondenz mit der Rechtsschutzversicherung führt, die Obliegenheiten des Mandanten und Versicherungsnehmers dem Versicherer gegenüber beachten, insbesondere die zur vollständigen und wahrheitsgemäßen Unterrichtung – aber nur über die tatsächlichen Umstände des Falls (vgl. § 17 I b ARB 2010). Zu einer rechtlichen Bewertung gegenüber dem Versicherer ist der Versicherungsnehmer nicht verpflichtet, insbesondere nicht zu seinen Ungunsten. Für den Anwalt des Versicherungsnehmers kann nichts anderes gelten. Angesichts dieser Entscheidung des BGH wird es in der Praxis stark auf die Abgrenzung zwischen objektiv (völlig) aussichtslosen und „nur“ hoch risikobehafteten Verfahren ankommen. Das in einem aktuellen Beitrag aufgestellte, aus Sicht des Autors Zustimmung verdienende Postulat, dass der Anwalt als Sachwalter der Interessen des Mandanten „gerade in schwierigen und gewagten Fällen ... gefragt und dazu berufen sei, das Recht fortzubilden“,9 9 So soeben noch Lensing, NJW 2021, 3082; der Beitrag hat sich offenbar mit der Veröffentlichung der BGH-Entscheidung gekreuzt. wird durch die BGH-Entscheidung nicht AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 6/2021 371
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