glied des Vorstands mehr ist und sein wird. Eine Zulassung des ausgeschiedenen Mitglieds würde den Sinn und Zweck der vierjährigen Wahlperiode mit zweijährigen Wahlzyklen unterminieren. Sie würde auch gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (venire contra factum proprium) verstoßen; das ausgeschiedene Mitglied müsse sich an seiner Entscheidung, das Amt niederzulegen, festhalten lassen. Die zeitgleiche Durchführung der Neu- und Nachwahlen sei, wie sich aus § 69 III BRAO i.V.m. § 19 Wahlordnung ergebe, nicht zu beanstanden. Eine Vorgabe wie die des § 68 IV BRAO zum Ablauf der Ergänzungswahl existiere für Nachwahlen gerade nicht, vielmehr sei die Durchführung der Nachwahl der Gestaltungsfreiheit der Kammer überlassen. Der Wahlausschuss habe die Verfahrensweise zur Verteilung der Stimmen auf Neu- bzw. Nachwahl auf der Grundlage seiner Wahlleitungsfunktion, § 3 der Wahlordnung, beschließen können. Für das konkrete Procedere hätten insbesondere Praktikabilität und Klarheit gesprochen, es sei Ergebnis einer ordnungsgemäßen Ermessensausübung gewesen. So sei in § 69 III BRAO die Möglichkeit, ein ausgeschiedenes Mitglied durch Nachrücken eines bei der letzten Wahl nicht gewählten Kandidaten, d.h. des Kandidaten mit den meisten Stimmen nach den bereits Gewählten, ausdrücklich vorgesehen. Hieraus ergebe sich zugleich, dass Neu- und Nachwahl nicht getrennt durchgeführt werden müssten. Jedenfalls aber sei ein in der Zusammenlegung der Wahlen liegender Wahlfehler nicht ergebnisrelevant bzw. eine Ungültigerklärung – auch im Fall einer etwaig fehlerhaften Nichtzulassung des Kl. zur Wahl – nicht geboten. Ein etwa gegebener Verstoß gegen §§ 64 ff. BRAO sei jedenfalls nicht erheblich. Das klägerische Interesse an einer Ungültigerklärung der Wahl sei wegen der vorherigen Amtsniederlegung des Kl. nicht schutzwürdig, jedenfalls von untergeordnetem Gewicht. Unzweifelhaft könne sich der Kl. bereits im Jahr 2022 bei der nächsten Vorstandswahl zur Wahl stellen. Das Interesse am Bestandsschutz des im Vertrauen auf die Gesetzmäßigkeit der Wahl gewählten Vorstands wiege schwer und überwiege angesichts des starken Eingriffs einer Ungültigerklärung der Wahl unter jedem erdenklichen Gesichtspunkt einen etwaigen Wahlfehler. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die Schriftsätze v. 10.6.2020, 10.8. 2020, 30.9.2020, 16.11.2020 und v. 12.2.2021 sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung v. 22.7. 2021 Bezug genommen. Mit Beschluss v. 17.3.2021 (Bl. 119 ff.) hat der Senat die für den Wahlbezirk Landgerichtsbezirk München I im April/Mai 2020 turnusgemäß gewählten elf Vorstandsmitglieder beigeladen (Beigeladene zu 1. bis 8. und zu 10. bis 12.) sowie den im Wege der Nachwahl gewählten Rechtsanwalt S. (Beigeladener zu 9.). Die Beigeladenen zu 9. und zu 10. haben ihre anwaltliche Vertretung angezeigt. Der Beigeladene zu 9. hat erklärt, dem Rechtsstreit auf Seiten des Kl. beizutreten und einen Antrag gestellt. Der Beigeladene zu 10. hat die Position der Bekl. vertreten. Auf die Schriftsätze der Beigeladenen zu 9. bzw. zu 10. v. 12.4.2021 wird jeweils verwiesen. Die Beigeladenen zu 4. und zu 11. haben Klageabweisung beantragt. II. 1. Die Klage ist zulässig. a) Die Klagebefugnis ergibt sich gem. § 112f II 1 Nr. 2 BRAO aus der Mitgliedschaft des Kl. bei der Bekl. b) Die Klage ist form- und fristgerecht eingelegt worden. Die am 10.6.2020 eingegangene Klage wahrt die Klagefrist von einem Monat nach der Wahl, § 112f III BRAO, § 20 I Wahlordnung der Bekl. 2. Die Klage erweist sich auch als begründet. a) Nach § 112f I Nr. 2 BRAO, § 20 III der Wahlordnung keine Rechtsgrundlage für Ausschluss der Bekl. können Wahlen zu Organen der Bekl. für ungültig erklärt werden, wenn sie unter Verletzung des Gesetzes oder der Satzung zustande gekommen sind. Dies ist hier der Fall. Denn der Ausschluss des Kl. als wählbarer Kandidat für die Neu- und Nachwahl zum Kammervorstand findet in Gesetz und Satzung keine Rechtsgrundlage. aa) Unstreitig liegen beim Kl. die Voraussetzungen der Wählbarkeit zum Mitglied des Kammervorstands gem. § 65 BRAO vor und sind keine der in § 66 BRAO aufgeführten Ausschlusstatbestände, auf die allein auch § 1 IV Wahlordnung der Bekl. abstellt, erfüllt. bb) Soweit die Bekl. meint, neben den Gründen des § 66 BRAO führe auch eine Amtsniederlegung, § 69 I Nr. 2 BRAO, zum Ausschluss von der Wählbarkeit, teilt der Senat diese Auffassung nicht. (1) Schon der Umstand, dass die Amtsniederlegung weder in § 66 BRAO noch in § 69 BRAO ausdrücklich als Ausschlussgrund für die Wählbarkeit genannt ist, spricht dagegen, sie als solchen zu behandeln. (2) Auch eine Auslegung des § 69 BRAO ergibt entgegen der Ansicht der Bekl. nicht, dass eine Amtsniederlegung ein Ausschlussgrund für die Wählbarkeit bei der nach § 69 III 3, 4 BRAO, § 19 Geschäftsordnung der Bekl. vorgesehenen Nachwahl oder sogar bei der gleichzeitig mit dieser durchgeführten turnusgemäßen Neuwahl ist. (a) Zwar bestimmt § 69 III 1 BRAO, dass ein vorzeitig ausgeschiedenes Vorstandsmitglied durch ein „neues Mitglied“ zu ersetzen ist, was gem. § 69 III 3 BRAO durch Nachrücken oder Nachwahl erfolgen kann. Im Falle des Nachrückens – das die Bekl. nicht vorgesehen hat – handelt es sich tatsächlich um eine neue Person, die das Vorstandsamt übernimmt. Dass das vorzeitig ausgeschiedene Mitglied sich aber im Fall einer Nachwahl oder bei den nächsten turnusmäßigen Vorstandswahlen nicht wieder zur Wahl stellen könnte, wird allerdings weder ausdrücklich angeordnet noch ist dies sonst ersichtlich. Soweit die Bekl. geltend macht, dass das vorzeitig ausgeschiedene Mitglied im Fall seiner Wiederwahl bei der BERUFSRECHTE UND PFLICHTEN BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG BRAK-MITTEILUNGEN 6/2021 385
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