Viel Dynamik im Zivilprozessrecht: Welche Gesetzesänderungen sollten Berater und Richter unbedingt kennen und warum ist die Neuauflage des Zöller besonders hilfreich? Peters: Die 19. Legislaturperiode ist zu Ende gegangen. Was sind die wichtigsten Neuregelungen im Zivilprozessrecht? Schultzky: Der Gesetzgeber war zum Ende der Wahlperiode hin sehr aktiv und hat eine Vielzahl von Gesetzen erlassen, die das zivil- und familiengerichtliche Verfahren betreffen. Das sind nicht nur Gesetze, die Normen der ZPO oder des FamFG ändern, sondern auch solche, die mittelbar Auswirkungen auf den Zivilprozess haben. In der Rechtspraxis besonders bedeutsam sind die Änderungen durch das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs vom 5.10.2021. Zum 1.1.2022 wird der elektronische Rechtsverkehr durch dieses erheblich erweitert. Der Regelfall ist dann die Zustellung eines elektronischen Dokuments –nicht nur an Rechtsanwälte, sondern auch an beliebige Dritte, die über das sog. eBO – das besondere elektronische Bürger- und Organisationenpostfach – ebenfalls am elektronischen Rechtsverkehr teilnehmen können. Der Kreis der zur Teilnahme verpflichteten Teilnehmer wird dabei bis zum 1.1.2024 schrittweise erweitert. Neben diesen Neuregelungen sind auch einzelne Verfahren erheblich geändert worden. So ist das Zwangsvollstreckungsrecht von der Reform des Pfändungsschutzkontos durch Gesetz vom 22.11.2020 und durch das Gesetz vom 7.5.2021 über die Gerichtsvollziehertätigkeit betroffen. Das Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder vom 16.6.2021 ändert nicht nur das Verfahren in Kindschaftssachen, sondern auch das Gerichtsverfassungsgesetz. Die Liste ließe sich weiter fortsetzen. Peters: Sie haben auf viele mittelbare Rechtsänderungen hingewiesen. Können Sie uns relevante Beispiele nennen? Schultzky: Die Neuregelungen im Berufsrecht der Rechtsanwälte zum 1.8.2022 wirken sich auch auf den Zivilprozess massiv aus. Das Gesetz vom 7.7.2021 regelt die Berufsausübungsgesellschaften völlig neu und ermöglicht die Kommunikation über ein Kanzleipostfach – mit neuen Fragen bei der Parteifähigkeit, der Bevollmächtigung, des elektronischen Rechtsverkehrs und des Zustellungsrechts. Eine künftig große Umwälzung wird auch das Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts bringen, das die Gesellschaftsformen der GbR, oHG und KG ab dem 1.1.2024 völlig umgestaltet. Schon jetzt wirft die am 1.12.2020 in Kraft getretene Reform des Wohnungseigentumsrechts zahlreiche neue prozessuale Probleme auf. Peters: Was bedeutet die Hyperaktivität des Gesetzgebers für die Neuauflage des Zöller? Schultzky: Es ist Tradition, dass der Zöller nach dem Ende einer Wahlperiode des Bundestags noch vor dem Jahreswechsel in den Buchhandel kommt – in diesem Jahr am 1.12.2021. Online gestellt wurde die 34. Auflage bereits Ende Oktober 2021. Der diesjährige Erscheinungstermin ist eine besondere Herausforderung gewesen, denn Verlag und Autoren waren sich einig, dass alle in der Legislaturperiode verabschiedeten Gesetze in der Kommentierung vollständig verarbeitet werden müssen. Und das gilt auch für die Gesetze, die erst nach Erscheinen des Zöller in Kraft treten. Da sich der Bundesrat mit einzelnen Gesetzen – z.B. dem bereits erwähnten Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs – erst nach der Sommerpause beschäftigt hat, hat das zu einem sehr engen Zeitplan geführt. Die umfassende Berücksichtigung im Zöller war nur dadurch möglich, dass Autoren und Lektorat die verschiedenen Gesetzgebungsverfahren ganz eng begleitet haben und so auf umfassende Vorarbeiten zurückgreifen konnten. Am Ende musste dann in Tag- und Nachtsitzungen der letzte Feinschliff erfolgen. Peters: Wie gehen Sie als Autoren mit den Neuregelungen im Zöller um? Schultzky: Zunächst sollte der Gesetzesstand zum Ende der Legislaturperiode vollständig dokumentiert werden. Das hat dazu geführt, dass sich zu einigen Vorschriften, z.B. §§ 53, 173 ZPO, mehrere Gesetzestexte imWerk finden. Das Datum des Inkrafttretens ist zur besseren Orientierung immer besonders hervorgehoben. In den Kommentierungen selbst beschränken wir uns nicht darauf, auf die Neuregelungen hinzuweisen, sondern wir bieten die für den Zöller übliche vollständige und tiefgreifende Erläuterung auch aller neuen Normen an. Das gilt sowohl für die unmittelbaren als auch die mittelbar wirkenden Gesetzesänderungen. Für die von den Gerichten noch nicht entschiedenen neuen Rechtsfragen wollen wir zudem stets gut begründete Lösungen anbieten. Peters: Wo liegen weitere Schwerpunkte der Neuauflage des Zöller? Schultzky: Der Zöller hat den Anspruch, die Rechtsprechung nachzuvollziehen und alle wichtigen Gerichtsentscheidungen zu nennen und einzuordnen. Das ist ein Schwerpunkt in jeder Auflage. Um eine Größenordnung zu nennen: Allein für den Bereich der PKH habe ich etwa 700 Urteile und Beschlüsse gesichtet, die in den letzten zwei Jahren veröffentlicht wurden. – Die Digitalisierung wirkt natürlich auch in den Zivilprozess hinein. Die Corona-Pandemie hat dies noch einmal erheblich beschleunigt. Das beste Beispiel sind die Videoverhandlungen. Die Nachfrage ist 2020 sprunghaft gestiegen. Aber auch im Zwangsvollstreckungsrecht sind neue Ausführungen durch die zunehmende Bedeutung von elektronischen Wertpapieren, Kryptowährungen und Daten nötig geworden. – Die Pandemie hat zudem Folgen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, betrifft das Ausbleiben von Zeugen und kann die Gewährung von Räumungsfristen erforderlich machen. Bei der Gewährung von PKH ist mit gewährten Corona-Prämien umzugehen. Peters: Betrifft die Digitalisierung auch den Zöller selbst? Schultzky: Der Zöller ist schon seit mehreren Auflagen über Otto Schmidt online und juris abrufbar. Der elektronische Text entspricht dem der Printausgabe, bietet darüber hinaus aber natürlich die inzwischen gewohnten Verlinkungen. Gemeinsames Ziel von Verlag und Autoren ist es, beide Ausgaben gleichermaßen sinnvoll benutzbar zu gestalten. Zahlreiche Verbesserungen in der Struktur schon in der letzten aber auch in dieser Auflage erleichtern insoweit das Lesen und Recherchieren. Zudem haben wir bereits nach Erscheinen der letzten Auflage auf wichtige Gesetzes- oder Rechtsprechungsänderungen in der elektronischen Ausgabe hingewiesen – diesen Aktualitätendienst wollen wir beibehalten. Weitere Infos: otto-schmidt.de/zpo34 Anzeige Ein Interview von Dr. Birgitta Peters mit dem Zöller-Autor und VorsRiLG Dr. Hendrik Schultzky
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