Auch mit dieser Neuregelung hat der Gesetzgeber auf Anforderungen aus der Praxis reagiert, indem er es Vertretungen und Zustellungsbevollmächtigten erleichtert, auf die Posteingänge der Postfachinhaber zuzugreifen. Umgekehrt erlegt er den Postfachinhabern aber zusätzliche Berufspflichten in Form der Vergabe von Rechten auf, die im Falle der Befreiung von der Kanzleipflicht bzw. der vorübergehenden Abwesenheit von der Kanzlei zu beachten sind. Sollte die Rechtevergabe unterbleiben, beispielsweise bei unvorhergesehener Abwesenheit von der Kanzlei, besteht aber weiterhin die Möglichkeit, dass die Rechtsanwaltskammer der amtlich bestellten Vertretung oder Zustellungsbevollmächtigten den Zugriff auf die Nachrichtenübersicht einräumt. 3. GESETZ ZUM AUSBAU DES ELEKTRONISCHEN RECHTSVERKEHRS MIT DEN GERICHTEN Der Bundestag beschloss am 24.6.2021 den Entwurf eines Gesetzes zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer prozessrechtlicher Vorschriften.7 7 Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften v. 5.10.2021, BGBl. 2021 I, 4607. Für die Anwaltschaft bedeutend ist die Einführung der elektronischen Bürgerund Organisationenpostfächer (eBO), die auch die sichere Kommunikation über die EGVP-Infrastruktur zwischen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten und ihren Mandantinnen und Mandanten ermöglicht. Wichtig sind außerdem die Änderung der Zustellvorschiften in der ZPO und die Änderung der Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung (ERVV). In der Vergangenheit hatten detaillierte Anforderungen in der Bekanntmachung zu § 5 der ElektronischerRechtsverkehr-Verordnung vom 20.12.2018 (ERVB 2019) für Irritationen in der Anwaltschaft gesorgt. Wesentliches Merkmal der Änderungen der ERVV und darauf folgend der ERVB 20228 8 BAnz AT 26.11.2021 B2. ist die Differenzierung zwischen verpflichtenden Anforderungen und Soll-Vorschriften. Elektronische Dokumente müssen weiterhin für die Bearbeitung durch das adressierte Gericht geeignet sein. Dazu müssen sie im Dateiformat PDF eingereicht werden (§ 2 I 1 ERVV). Falls bildliche Darstellungen im PDF-Format nicht verlustfrei wiedergegeben werden können, darf das elektronische Dokument zusätzlich im TIFF-Format übermittelt werden (§ 2 I 2 ERVV). Die Dateiformate PDF und TIFF müssen den nach § 5 I Nr. 1 ERVV bekanntgemachten Versionen entsprechen. Diese sind nach Ziff. 1 lit. a und lit. b ERVB 2022 die Formate PDF einschließlich PDF 2.0, PDF/A-1, PDF/A-2 und PDF/UA sowie TIFF Version 6. Verbindlich sind auch weiterhin die Vorgaben für qualifizierte elektronische Signaturen nach Ziff. 5 ERVB 2022. Weitere zwingende Formatvorgaben enthalten die ERVV sowie die ERVB 2022 nicht mehr. Nach § 2 II ERVV soll das elektronische Dokument aber den nach § 5 I Nr. 1 und 6 bekanntgemachten technischen Standards entsprechen. Diese in der ERVB 2022 bekanntgemachten technischen Standard sollten bei der Einreichung elektronischer Dokumente beachtet werden, damit eine Bearbeitung durch die Justiz ohne Verzögerungen möglich ist. Ziff. 1 lit. a ERVB 2022 enthält Formatvorgaben, bei deren Einhaltung der Einreicher davon ausgehen kann, dass die elektronischen Dokumente durch die Justiz verarbeitbar sind. Ziff. 6 ERVB 2022 zählt die technischen Eigenschaften auf, die elektronische Dokumente enthalten sollen.9 9 von Seltmann, BRAK-Magazin 1/2022, 10. § 2 III ERVV sieht vor, dass bestimmte in den Nummern 1–5 genannte Strukturdaten übermittelt werden sollen. Die Konkretisierung erfolgt in Ziff. 2 ERVB 2022. Zu beachten ist ferner die Einhaltung der Mengengerüste nach Ziff. 3 lit. a und b ERVB 2022. Danach werden Anzahl und Volumen elektronischer Dokumente in einer Nachricht auf höchstens 100 Dateien und auf höchstens 60 Megabyte begrenzt. Diese Begrenzung gilt vorerst bis zum 31.3.2022. Ab dem 1.4.2022 werden Anzahl und Volumen angehoben; die Anhebung wird so früh wie möglich bekannt gemacht. Können diese Mengenbeschränkungen nicht eingehalten werden, ist gemäß § 3 ERVV eine Ersatzeinreichung nach den allgemeinen Vorschriften möglich. Der Schriftsatz und die Anlagen sollen möglichst als elektronische Dokumente auf einem physischen Datenträger beigefügt werden. Zulässige Datenträger sind nach Ziff. 4 ERVB 2022 DVD und CD. Auch mit diesen Änderungen haben Gesetz- und Verordnungsgeber auf die Hinweise aus der Praxis reagiert und die Anforderungen an die Einreichung elektronischer Dokumente deutlich klarer gefasst und vereinfacht und dadurch die Verfahrensrisiken der Anwaltschaft deutlich verringert. III. 1.1.2022 – ÜBERGANG IN EINE NEUE PHASE DES ERV 1. DER VERPFLICHTENDE ELEKTRONISCHE RECHTSVERKEHR Mit dem Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10.10.2013 hatte der Gesetzgeber Änderungen in den Prozessordnungen ab dem 1.1.2022 vorgenommen. Diese sind nun bundesweit in Kraft getreten (§ 130d ZPO, § 55d VwGO, § 52d FGO, § 14b FamFG, § 46g ArbGG, § 65d SGG). Seit dem 1.1.2022 besteht nach diesen Vorschriften die Verpflichtung für professionelle Einreicher, Schriftsätze elektronisch an die Gerichte zu übermitteln. Professionelle Einreicher sind Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, Behörden sowie juristische Personen des öffentlichen Rechts. Zu den professionellen Einreichern gehören auch Syndikusrechtsanwältinnen und -rechtsanwälte, wenn sie in dieser Eigenschaft gegenSANDKÜHLER, DER ELEKTRONISCHE RECHTSVERKEHR ZUM JAHRESWECHSEL – RÜCKBLICK UND AUSBLICK BRAK-MITTEILUNGEN 1/2022 AUFSÄTZE 4
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