BRAK-Mitteilungen 1/2022

– im Anschluss an ihre digitale Sitzung am 6.12.2021 eine Neufassung verabschiedet. Sie wird, wenn das BMJ keine Einwände erhebt (vgl. § 191e BRAO), ebenfalls am 1.8.2022 Wirksamkeit erlangen. I. NEUREGELUNG DES VERBOTS DER VERTRETUNG WIDERSTREITENDER INTERESSEN Die Neuregelung des § 43a IV-VI BRAO betrifft im Wesentlichen die sozietätsweite Erstreckung des Verbots (Abs. 4), deckt den Sonderfall der Vorbefassung des Referendars mit ab (Abs. 5) und umfasst das bislang in § 45 II BRAO enthaltene Verbot, aufgrund einer anwaltlichen Vorbefassung nichtanwaltlich tätig zu werden (Abs. 6). 1. EINZELANWALT a) GRUNDTATBESTAND Der eigentliche Kerntatbestand des Verbots der Vertretung widerstreitender Interessen bleibt dagegen unangetastet. Daran ändert auch der Umstand, dass der Gesetzgeber für den Grundtatbestand nunmehr 22 Wörter (§ 43a IV 1 BRAO n.F.: „Der Rechtsanwalt darf nicht tätig werden, wenn er einen anderen Mandanten in derselben Rechtssache bereits im widerstreitenden Interesse beraten oder vertreten hat.“) anstelle von bislang sechs Wörtern (§ 43a IV BRAO: „Der Rechtsanwalt darf keine widerstreitenden Interessen vertreten.“) aufwendet, nichts. Insoweit handelt es sich nur um Klarstellungen, die keine inhaltlichen Änderungen bezwecken: Erstens ergibt sich nun aus dem Gesetz, dass ein Tätigkeitsverbot nur bei der Vertretung widerstreitender Interessen „in derselben Rechtssache“ greift. Weiterhin wird verdeutlicht, dass das Verbot nicht nur bei einer – (außer-)gerichtlichen – Vertretung, sondern auch bei einer Beratung einschlägig ist.3 3 Kilian, NJW 2021, 2385 Rn. 34. Weiterhin als unpräzise erachtet den Wortlaut Offermann-Burckart, AnwBl. 2022, 90, 91. Letztlich hat der Gesetzgeber nun fast wortgleich die bisherige Satzungsbestimmung des § 3 I 1 BORA übernommen.4 4 Zur Bedeutung des bisherigen § 3 I 1 BORAHenssler, in Henssler/Prütting, BRAO, 5. Aufl. 2019, § 3 BORA Rn. 1. Insoweit ist es kurios, wenn die Satzungsversammlung ihrerseits „im Interesse der besseren Verständlichkeit ... den inhaltlichen Regelungen der Abs. 2–5 zunächst in Abs. 1 S. 1 eine Wiederholung der gesetzlichen Grundnorm mit dem jetzigen Wortlaut des § 43a IV BRAO“ voranstellt,5 5 SV-Mat. 37/2021 (Stand: 18.11.2021), 3. es dort also jetzt wieder – überkommen – heißt: „Der Rechtsanwalt darf keine widerstreitenden Interessen vertreten.“6 6 Vgl. auch die auf der 2. Sitzung der 7. Satzungsversammlung (SV) am 6.12.2021 geäußerte Kritik, SV-Mat. 02/2022, 14 ff. b) KEIN TÄTIGKEITSVERBOT AUSSERHALB DERSELBEN RECHTSSACHE Im Gesetzgebungsverfahren nicht durchsetzen konnte sich der noch im Regierungsentwurf enthaltene Vorschlag, ein Tätigkeitsverbot auch bei solchen Sachverhalten vorzusehen, in denen ein Rechtsanwalt bei der anwaltlichen Tätigkeit in einem ersten Mandat vertrauliche Informationen aus diesem Mandat erlangt hat und diese Informationen für ein zweites Mandat von Bedeutung sind und entgegen den Interessen des vorherigen Mandanten genutzt werden können (§ 43a IV 1 Nr. 2 BRAO-E). Mit diesem Regelungsvorschlag, der lediglich den Einzelanwalt, nicht aber die Berufsausübungsgesellschaft und ihre Berufsträger erfassen sollte, wollte die Bundesregierung nach eigenen Worten eine nicht unerhebliche Schutzlücke schließen, die bei nicht dieselbe Rechtssache betreffenden Sachverhalten besteht. Denn nach aktuellem Recht ist es dem Anwalt berufsrechtlich nur untersagt, sensibles Wissen zu offenbaren, das er von einem Mandanten erfahren hat; die (interne) Verwertung dieses sensiblen Wissens zu Lasten des Mandanten ist ihm dagegen jedenfalls nicht ausdrücklich verboten. Mit der ursprünglich geplanten Tatbestandserweiterung sollte daher etwa die Beratung eines Mannes bei einer Scheidung und die nachfolgende Beratung seiner neuen Verlobten beim Abschluss des Ehevertrags, reguliert werden.7 7 BT-Drs. 19/27670, 163. Auch wenn diese Ausweitung des Verbots den Schutz der Vertrauensbeziehung zwischen Rechtsanwalt und Mandant gestärkt hätte,8 8 Deckenbrock, DB 2021, 2270, 2273; ders./Lührig, AnwBl. 2022, 37, 39; s. zuvor bereits Deckenbrock, Strafrechtlicher Parteiverrat und berufsrechtliches Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen, 2009, Rn. 401 ff.; Henssler, NJW 2001, 1521, 1522 f.; Kilian, WM 2000, 1366, 1367 f.; Grunewald, JZ 2008, 691, 692. wurde sie nach heftigem Widerstand der Verbände9 9 DAV-Stn. Nr. 18/2021, 5 f.; BRAK-Stn.-Nr. 15/2021, 3 ff. und aus der Literatur10 10 Diller, AnwBl. Online 2021, 1; ders., AnwBl. 2021, 162; Hartung/Uwer, AnwBl. 2020, 659; Römermann, AnwBl. Online 2020, 558, 602 f.; befürwortend aber Henssler, AnwBl. Online 2021, 170, 171 f. vom Rechtsausschuss fallengelassen. Für die Erstreckung des Tätigkeitsverbots auf den Erhalt vertraulicher Informationen bestehe kein praktisches Bedürfnis; auch sei die Vorhaltung der entsprechenden Informationen für die Prüfung von Tätigkeitsverboten unpraktikabel.11 11 BT-Drs. 19/30516, 44. Dabei fanden sich für den Vorschlag der Bundesregierung Vorbilder etwa in Nr. 3.2.3 CCBE und in den Regelungen der US-amerikanischen Bundesstaaten, ohne dass hier Anwendungsprobleme offenbar geworden sind.12 12 Dazu bereits Deckenbrock, Parteiverrat, Rn. 373 ff.; vgl. auch BT-Drs. 19/27670, 344 f. Die Satzungsversammlung könnte indes überlegen, ob sie nicht in § 2 oder § 3 BORA ein ausdrückliches Verbot der Verwertung geheimhaltungsbedürftiger Informationen verankert. Ein Vorbild findet sich in § 11 BS WP/vBP.13 13 Vgl. (zu § 10 BS WP/vBP a.F.) Deckenbrock, Parteiverrat, Rn. 361, 403. Dass die unbefugte Verwertung fremder Geheimnisse berufsrechtlich reguliert werden sollte, zeigt sich auch darin, dass sich auf strafrechtlicher Ebene in § 204 StGB14 14 S. hierzu Deckenbrock, Parteiverrat, Rn. 141 ff., 220, 274. ein bei Vorsatz eingreifendes Verwertungsverbot findet, das den Straftatbestand der Verletzung von Privatgeheimnissen (§ 203 StGB) ergänzt. DECKENBROCK, EINIGE BEMERKUNGEN ZUR NEUFASSUNG VON § 3 BORA AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 1/2022 7

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