BRAK-Mitteilungen 1/2022

gebende Gesellschaft und ihre Berufsträger fortbesteht (§ 43a IV 2 und 3 BRAO n.F. i.V.m. § 59e I BRAO n.F.),38 38 Besonderheiten können bezogen auf Rechtsanwälte, die erst nach dem Ausscheiden des Mandatsbearbeiters in die abgebende Gesellschaft eintreten, anzunehmen sein; vgl. Deckenbrock, AnwBl. Online 2012, 594, 596; Offermann-Burckart, AnwBl. 2022, 90, 92. sondern auch auf die ihn aufnehmende Gesellschaft samt aller Berufsträger erstreckt wird. Letzteres folgt aus § 43a IV 2 BRAO n.F. Die Norm verlangt gerade nicht, dass der vorbefasste Anwalt das Kollisionsmandat zu einem Zeitpunkt bearbeitet hat, zu dem er mit seinen neuen Kollegen bereits zur gemeinschaftlichen Berufsausübung verbunden war. Der Gesetzgeber lässt es insoweit nachvollziehbar nicht genügen, dass der wechselnde Anwalt selbstverständlich straf- (§ 203 I Nr. 3 StGB) und berufsrechtlich (§ 43a II BRAO i.V.m. § 2 BORA) zur Verschwiegenheit verpflichtet ist. Insoweit wird das berechtigte Vertrauen eines Mandanten geschützt, dass „sein“ Anwalt nicht plötzlich Teil des gegnerischen Verbunds ist.39 39 Dazu Deckenbrock, Parteiverrat, Rn. 578 ff. Nimmt dagegen eine Berufsausübungsgesellschaft einen nicht vorbefassten Anwalt auf, so muss sie künftig kein Tätigkeitsverbot mehr fürchten.40 40 Ein solches Tätigkeitsverbot nehmen nach geltendem Recht etwa SV-Mat. 12/ 2006, BRAK-Mitt. 2006, 213, 215; Träger, in Weyland, BRAO, 10. Aufl. 2020, § 3 BORA Rn. 34; Zuck, in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 3. Aufl. 2020, § 43a BRAO/§ 3 BORA Rn. 28 an. Dagegen bereits jetzt Deckenbrock, Parteiverrat, Rn. 589 ff., 647 ff.; ders., AnwBl. Online 2018, 209, 214; ebenso Henssler, in Henssler/Prütting, § 3 BORA Rn. 35 ff.; ders., AnwBl. 2013, 668, 674; von Falkenhausen, in Hartung/Scharmer, § 3 BORA Rn. 134 f.; Kleine-Cosack, § 3 BORA Rn. 40 f., 62; Römermann/Praß, in BeckOK BORA, 34. Ed., Stand: 1.6.2020, § 3 Rn. 50; MaierReimer, NJW 2006, 3601, 3604; Hirtz, NJW 2019, 2265, 2268; vgl. auch Bayer. AGH, Beschl. v. 24.4.2012 – BayAGH II-16/11, BRAK-Mitt. 2012, 176, 178 f. Denn die Regelung des § 43a IV 2 BRAO n.F. beschränkt die Erstreckung des Tätigkeitsverbots auf Fälle, in denen der verbundene Rechtsanwalt „nach Satz 1“ ausgeschlossen, also persönlich vorbefasst ist.41 41 BT-Drs. 19/27670, 164. Der Gesetzgeber geht aber offenbar davon aus, dass in diesem Fall der wechselnde Anwalt selbst einem persönlichen (dispositiven) Tätigkeitsverbot unterliegt.42 42 BT-Drs. 19/27670, 164 („dass im Fall eines Wechsels einer persönlich nicht vorbefassten Rechtsanwältin oder eines persönlich nicht vorbefassten Rechtsanwalts das Tätigkeitsverbot nicht auf die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte der aufnehmenden Kanzlei erstreckt wird.“); vgl. auch Offermann-Burckart, AnwBl. 2022, 90, 91; a.A. aber Diller, AnwBl. 2021, 470, 473. Dies ist durchaus sachgerecht, weil es dem Mandanten nur schwer vermittelbar ist, wenn einer seiner „Interessenvertreter“ die Seite wechselt.43 43 Deckenbrock, Parteiverrat, Rn. 588; s. aber den Sonderfall LG Karlsruhe, Urt. v. 6.10.2016 – 10 O 219/16, BRAK-Mitt. 2017, 33 m. Anm. Deckenbrock. Zu ihnen kann ein Mandant, der eine Berufsausübungsgesellschaft beauftragt, aber auch die Anwälte zählen, die ihn nicht persönlich betreuen. Denn er beauftragt ja gerade den Verbund mit all seinen Vorteilen in Bezug auf Organisation und Arbeitsteilung.44 44 Vgl. BGH, Urt. v. 6.7.1971 – VI ZR 94/69, BGHZ 56, 355, 360; vgl. auch BGH, Urt. v. 10.8.1995 – IX ZR 220/94, NJW 1995, 2915, 2916; Urt. v. 13.6.2001 – VIII ZR 176/00, BGHZ 148, 97, 102; BGH, Urt. v. 29.1.2018 – AnwZ (Brfg) 32/17, BRAKMitt. 2018, 85 Rn. 35 m. Anm. Deckenbrock; zurückhaltender BGH, Beschl. v. 16.4. 2008 – XII ZB 214/04, BRAK-Mitt. 2008, 178 Rn. 17. Aus dem Wortlaut des Gesetzes ergibt sich ein solches (persönliches) Tätigkeitsverbot des nicht vorbefassten Sozietätswechslers freilich nicht eindeutig. Denn § 43a IV 2 BRAO n.F. belegt nur Rechtsanwälte, die ihren Beruf gemeinschaftlich mit einem Rechtsanwalt ausüben, der nach S. 1 nicht tätig werden darf, mit einem Tätigkeitsverbot. Dass hiermit auch Anwälte gemeint sein sollen, die ihren Beruf mit einem persönlich disqualifizierten Anwalt ausgeübt haben, lässt sich dem neu gefassten Tatbestand dagegen nicht ohne Weiteres entnehmen. Es fehlt auch an einer dem bisherigen § 3 III BORA („Die Absätze 1 und 2 gelten auch für den Fall, dass der Rechtsanwalt von einer Berufsausübungs- ... zu einer anderen Berufsausübungs- ...gemeinschaft wechselt.“) vergleichbaren Regelung, die eine solche Fortgeltung des Verbots anordnet. § 43a IV BRAO n.F. regelt nur die Folgen für die den Anwalt abgebende Kanzlei, nicht aber das Schicksal des den Wechsler persönlichen Tätigkeitsverbots. Auch § 3 BORA n.F. enthält keine diesbezügliche Klarstellung. cc) BÜROGEMEINSCHAFT Nach aktuellem Recht (vgl. § 3 II 1 BORA) wird das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen noch auf den Bürogemeinschafter erstreckt. Zum 1.8.2022 ändert sich die Rechtslage. Die neue Sozietätsklausel des § 43a IV 2 BRAO n.F. erfasst nur Berufsträger, die mit dem betroffenen Anwalt „ihren Beruf gemeinschaftlich ... ausüben“. Dies ist bei einer Bürogemeinschaft gerade nicht der Fall (vgl. § 59q I BRAO n.F.). Auch in der Gesetzesbegründung wird explizit festgehalten, dass „anders als nach § 3 II 1 BORA ... die Bürogemeinschaft nicht in den Anwendungsbereich“ des Verbots der Vertretung widerstreitender Interessen „einbezogen werden“ soll.45 45 BT-Drs. 19/27670, 163. Der Rechtsuchende sehe den Bürogemeinschafter, mit dem er vertraglich überhaupt nicht verbunden ist, nicht allein aufgrund der organisatorischen Zusammenarbeit als seinen Interessenvertreter an.46 46 BT-Drs. 19/27670, 163 f. unter Verweis auf Deckenbrock, Parteiverrat, Rn. 505 f., 523 ff.; s. auch ders., NJW 2008, 3529, 3531 ff. Zu Besonderheiten bei Scheinsozietäten ders., DB 2021, 2270. In den Blick zu nehmen sei vielmehr die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht, die zwischen Bürogemeinschaftern selbstverständlich besteht.47 47 Vgl. § 59q III BRAO n.F. sowie BGH, Urt. v. 29.1.2018 – AnwZ (Brfg) 32/17, BRAKMitt. 2018, 85 Rn. 38 m. Anm. Deckenbrock. Dass § 3 III 1 BORA n.F. künftig explizit festhält, dass „eine gemeinschaftliche Berufsausübung i.S.v. § 43a IV 2 BRAO ... bei Bürogemeinschaften (§ 59q BRAO) nicht“ vorliegt, ist daher letztlich eine überflüssige Klarstellung, ohne dass hiermit ein inhaltlicher Mehrwert verbunden wäre. dd) EINZELMANDATE Eine interessante Frage betrifft die Regelung des § 3 III 2 BORA n.F. Danach gilt „eine Sozietätserstreckung ... auch für individuell erteilte Mandate“, also auch dann, wenn gar keine Sozietätsmandate, sondern von verschiedenen Sozien geführte Einzelmandate im Widerstreit stehen. Die Satzungsversammlung versteht diese Regelung „lediglich als Klarstellung, so soll z.B. eine Sozietät grundsätzlich nicht für einen Mandanten gegen BRAK-MITTEILUNGEN 1/2022 AUFSÄTZE 10

RkJQdWJsaXNoZXIy ODUyNDI0