war, dass „reine Formverstöße bei materiell bedenkenfreier Beratung oder Vertretung keine Sanktionen auslösen.“63 63 SV-Mat. 12/2006, BRAK-Mitt. 2006, 213, 214. Erteilen die betroffenen Mandanten ihr Einverständnis,64 64 Zur Widerruflichkeit des Einverständnisses s. einerseits Deckenbrock, AnwBl. Online 2018, 209, 211 und andererseits Offermann-Burckart, AnwBl. 2022, 90, 94. muss die Berufsausübungsgesellschaft durch geeignete Vorkehrungen die Einhaltung der Verschwiegenheit des Rechtsanwalts auch innerhalb der Berufsausübungsgemeinschaft sicherstellen (§ 43a IV 4 BRAO n.F.).65 65 Die in § 3 II 2 BORA noch enthaltene Einschränkung „und Belange der Rechtspflege nicht entgegenstehen“, ist dagegen entfallen; vgl. dazu Deckenbrock, DB 2021, 2270, 2272. Diese Verpflichtung soll nach dem in der Begründung des Regierungsentwurfs niedergelegten Willen des Gesetzgebers über die allgemein zum Schutz des Mandatsgeheimnisses erforderlichen organisatorischen und technischen Maßnahmen hinausgehen. Vielmehr seien wirksame Schutzsysteme („Chinese Walls“) in der Form zu errichten, dass die Mandatsbearbeitung sowohl personell als auch sachlich (insb. durch passwortgeschützte Dateien) als auch räumlich getrennt wird.66 66 BT-Drs. 19/27670, 164; zu den Anforderungen an „Chinese Walls“ vgl. Deckenbrock, Parteiverrat, Rn. 519, 729 ff. sowie Kilian, WM 2000, 1366, 1372 ff.; ders., BB 2003, 2189, 2194; Steuber, RIW 2002, 590, 594; Appel/Renz, AnwBl. 2004, 576 f.; Armbrüster/Tremurici, ZIP 2020, 2305, 2312 ff. § 3 IV BORA n.F. trifft nun „im Interesse der Rechtssicherheit“67 67 SV-Mat. 37/2021, 3. eine ergänzende Regelung. Nach der Ausschussbegründung soll durch den in lit. a) verwandten Begriff „verschiedene Personen“ verdeutlicht werden, „dass nicht nur für Berufsträger, sondern auch für andere in die unmittelbare Mandatsbearbeitung eingebundene Personen (Sekretariate, Referendare, wissenschaftliche Mitarbeiter) getrennte Teams zu bilden sind. Auf der Ebene der allgemeinen Verwaltung (Buchhaltung, IT etc.) soll dieses Gebot nicht gelten.“68 68 SV-Mat. 37/2021, 3 f. Um den wechselseitigen Zugriff auf elektronische Daten i.S.d. lit. b) auszuschließen, kann es angezeigt sein, dass „ausschließlich persönliche beAs zur Kommunikation verwendet werden, nicht jedoch das Kanzlei-beA.“69 69 SV-Mat. 37/2021, 4. Der Schutz des wechselseitigen Zugriffs auf Papierakten könne „beispielsweise durch Wegschließen, aber auch durch Pseudonymisierung (falsches Beschriften der Papierakten) sichergestellt werden.“70 70 SV-Mat. 37/2021, 4. Unklar bleibt, welche Anforderungen genau an eine räumliche Trennung zu stellen sind. Weder der Gesetzesbegründung noch der Satzungsregelung lässt sich aber mit hinreichender Klarheit entnehmen, dass widerstreitende Mandate nur von einer überörtlichen Berufsausübungsgesellschaft geführt werden können. Es dürfte aber klar sein, dass ein wirksames Screening-Konzept an ein und demselben Standort, wo sich die jeweiligen Mandatsbearbeiter und ihre Mitarbeiter täglich begegnen, besonders sorgfältig erarbeitet werden muss. Letztlich gilt indes auch hier, dass stets eine Einzelfallbeurteilung zu erfolgen hat. Weder vom Gesetzgeber noch von der Satzungsversammlung wird zudem verhindert, dass die jeweiligen Mandatsbearbeiter am Gewinn aus dem Konfliktmandant partizipieren dürfen.71 71 Vgl. zu diesem aus dem USA bekannten Erfordernis Deckenbrock, Parteiverrat, Rn. 739. Denkbar bleibt es auch, dass die Mandatsbearbeiter für Fehler des „gegnerischen“ Teams (mit)haften, wenn die Haftung nicht rechtsformspezifisch beschränkt ist.72 72 Vgl. BGHZ 193, 193 Rn. 69 ff. = BRAK-Mitt. 2012, 208; für eine konkludente Haftungsbeschränkung dagegegen noch Deckenbrock, Parteiverrat, Rn. 489. Das ist aber der Preis, den Berufsausübungsgesellschaften und ihre Berufsträger dann zahlen müssen. Die betroffenen Anwälte dürfen in diesem Fall auch nicht zur vermeintlichen Wahrnehmung berechtigter Interessen (Abwehr des Schadensersatzanspruchs) entsprechend § 2 IV lit. b) BORA dann doch Zugriff auf die Unterlagen der Gegenseite erhalten. Besondere Bedeutung kommt dem Zeitpunkt der Errichtung einer „Chinese Wall“ zu. Die Schutzbarrieren sollten errichtet werden, sobald ihre Notwendigkeit offenbar geworden ist. Ein zu langes Zuwarten kann dazu führen, dass keine wirksamen vertraulichkeitssichernden Maßnahmen mehr ergriffen werden können.73 73 Vgl. insoweit Deckenbrock, Parteiverrat, Rn. 740. Zu beachten ist ferner, dass bei der Parallelbetreuung widerstreitender Mandate die Errichtung eines wirksamen Screenings schwieriger zu bewerkstelligen sein dürfte als bei Aufnahme eines vorbefassten, ohnehin an die anwaltliche Verschwiegenheit gebundenen Sozietätswechslers. Erweisen sich die Schutzmechanismen allerdings als lückenhaft mit der Folge eines unbeabsichtigten Informationsaustauschs, dürfte dies zunächst als fahrlässige Verschwiegenheitspflichtverletzung zu werten sein. Wenn die betroffenen Mandanten in die Vertretung widerstreitender Interessen durch verschiedene Anwälte eingewilligt haben, kann nicht unterstellt werden, dass ihnen ein bedenkenloser Informationsaustausch innerhalb der Berufsausübungsgesellschaft recht ist.74 74 Deckenbrock, Parteiverrat, Rn. 540 ff. Im Übrigen dürfte mangels wirksamer Errichtung von Chinese Walls auch ein Verstoß gegen das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen anzunehmen sein.75 75 Deckenbrock, DB 2021, 2270, 2272. Beruht ein solcher Verstoß weniger auf individuellem Fehlverhalten denn auf Organisationsversagen, ist in diesem Zusammenhang insbesondere an berufsrechtliche Sanktionen gegen die Berufsausübungsgesellschaft (vgl. §§ 113 III, 114 II BRAO n.F.) zu denken.76 76 BT-Drs. 19/27670, 184 f. II. NEUREGELUNG DER TÄTIGKEITSVERBOTE BEI NICHTANWALTLICHER VORBEFASSUNG Weitere Tätigkeitsverbote für den Rechtsanwalt folgen aus § 45 BRAO. Die Norm regelt die Sachverhalte, in denen der Rechtsanwalt bereits außerhalb seines AnAUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 1/2022 13
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