BRAK-Mitteilungen 1/2022

waltsberufs mit der Angelegenheit befasst war. Nach § 45 I Nr. 1 BRAO n.F. darf der Rechtsanwalt nicht tätig werden, wenn er in derselben Rechtssache etwa als Richter, Staatsanwalt, Angehöriger des öffentlichen Dienstes oder als im Vorbereitungsdienst bei diesen Personen tätiger Referendar, als Schiedsrichter, Schlichter oder Mediator oder als Notar oder als im Vorbereitungsdienst bei einem Notar tätiger Referendar bereits tätig war. Gleiches gilt nach § 45 I Nr. 2 BRAO n.F., wenn er mit derselben Angelegenheit bereits als Insolvenzverwalter, Nachlassverwalter, Testamentsvollstrecker oder Betreuer befasst war und nun gegen den Träger des von ihm verwalteten Vermögens vorgehen soll. Diese den Anwalt persönlich treffenden Tätigkeitsverbote werden gem. § 45 II BRAO n.F. sozietätsweit erstreckt, es sei denn, die Vorbefassung ist im Rahmen des Vorbereitungsdienstes erfolgt. Eine Einwilligungsmöglichkeit besteht in den Fällen nicht. Vielmehr gilt ein absolutes Tätigkeitsverbot, weil der Rechtsanwalt zuvor in derselben Angelegenheit in nichtanwaltlicher und zu Unparteilichkeit und Neutralität verpflichtender Funktion tätig geworden ist. In den sonstigen Fällen nichtanwaltlicher Vorbefassung, in denen der Berufsträger auch als Interessenvertreter tätig geworden ist (etwa als Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Unternehmensberater), wird ein Tätigkeitsverbot nur dann begründet, wenn die rechtsanwaltliche Tätigkeit in derselben Rechtssache im widerstreitenden Interesse erfolgen würde (§ 45 I Nr. 3 BRAO n.F.). Eine gleichgerichtete Tätigkeit in nichtanwaltlicher und anwaltlicher Funktion in derselben Rechtssache wird dagegen – anders als nach geltendem Recht –77 77 Dazu Deckenbrock, AnwBl. 2017, 1186 f. zulässig sein. Diese Tätigkeitsverbote gelten nach § 45 II BRAO n.F. grundsätzlich ebenfalls sozietätsweit. Ausnahmen greifen aber hier, wenn die betroffenen Personen der Tätigkeit nach umfassender Information in Textform durch den Rechtsanwalt zugestimmt haben und geeignete Vorkehrungen die Verhinderung einer Offenbarung vertraulicher Informationen sicherstellen. Anders als jetzt nimmt die künftige Fassung des § 3 BORA keinen Bezug mehr auf § 45 BRAO n.F. (aber in § 3 II BORA n.F. auf den die umgekehrte Konstellation regelnden § 43a VI BRAO n.F., der aus dem bisherigen § 45 II BRAO hervorgeht).78 78 Zum Verhältnis von § 45 BRAO zur aktuellen Fassung des § 3 BORA s. Henssler, in Henssler/Prütting, § 3 BORA Rn. 1c, 6 ff., 29 ff., 38; Deckenbrock, AnwBl. 2009, 16, 18 f., 21; ders., AnwBl. Online 2018, 209, 215 ff. Dabei ist zu beachten, dass § 59a II Nr. 4 BRAO n.F. der Satzungsversammlung auch die Kompetenz zubilligt, die besonderen Berufspflichten im Zusammenhang mit der Versagung der Berufstätigkeit näher zu regeln. Dass hiermit auch Konkretisierungen der Tätigkeitsverbote bei nichtanwaltlicher Vorbefassung gemeint sind, erschließt sich allerdings nicht mehr auf den ersten Blick. Leider hat der Gesetzgeber die amtliche Überschrift des § 45 BRAO 2017 durch das Gesetz zur Umsetzung der Berufsanerkennungsrichtlinie und zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe79 79 Vom 12.5.2021, BGBl. 2021 I, 1121; dazu allg. Deckenbrock, NJW 2017, 1425 ff. von „Versagung der Berufstätigkeit“ in „Tätigkeitsverbote“ und nun im Rahmen der Großen BRAO-Reform wiederum in „Tätigkeitsverbote bei nichtanwaltlicher Vorbefassung“ geändert, ohne zugleich den Wortlaut des § 59b II Nr. 4 BRAO (= § 59a II Nr. 4 BRAO n.F.) anzupassen. Der Ausschussbegründung lässt sich nicht entnehmen, warum § 3 BORA n.F. sich zu § 45 BRAO n.F. nicht mehr verhält. Dabei hätte es gute Gründe dafür gegeben, die verschiedenen Formen der Tätigkeitsverbote gleichermaßen in § 3 BORA n.F. (die Bestimmung wurde nun mit der Überschrift „Interessenwiderstreit“ anstelle von „Widerstreitende Interessen, Versagung der Berufstätigkeit“ versehen) zu erfassen. Denn auch bei einem Tätigkeitsverbot nach § 45 BRAO n.F. greift eine Niederlegungspflicht (vgl. § 3 II BORA n.F.). Eine Erstreckung auf die Bürogemeinschaft findet auch hier nicht statt (vgl. § 3 III 1 BORA n.F.). Und schließlich muss eine Berufsausübungsgesellschaft, die einen iSd. § 45 I Nr. 3 BRAO n.F. vorbefassten Anwalt in ihren Reihen hat, durch geeignete Vorkehrungen die Verhinderung einer Offenbarung vertraulicher Informationen sicherstellen, wenn sie gem. § 45 II 4 BRAO n.F. mit dem Einverständnis der betroffenen Personen eine sozietätsweite Erstreckung des Verbots vermeiden will (vgl. § 3 IV BORA n.F.). III. BEWERTUNG: EINGESCHRÄNKTE BEDEUTUNG DES § 3 BORA Dem Gesetzgeber ist – auch wenn die hier angesprochenen Unklarheiten (bezogen auf den nicht vorbefassten Sozietätswechsler und auf juristische Mitarbeiter ohne Anwaltszulassung) bleiben – eine praxisgerechte Neuregelung des Verbots der Vertretung widerstreitender Interessen und der Tätigkeitsverbote bei nichtanwaltlicher Vorbefassung gelungen.80 80 S. bereits das Fazit bei Deckenbrock, DB 2021, 2270, 2272. Der Neuregelung des § 3 BORA wird dagegen kaum eigenständige Bedeutung zukommen. Das ist in erster Linie Folge der (zwingenden) gesetzgeberischen Entscheidung, die sozietätsweite Erstreckung des Verbots der Vertretung widerstreitender Interessen in der BRAO selbst zu regeln. Weitere Folge dieser Entscheidung ist auch, dass die bislang in der BRAO schlicht gehaltene Regelung des Verbots der Vertretung widerstreitender Interessen in § 43a IV BRAO künftig drei Absätze (§ 43 IV-VI BRAO n.F.) mit insgesamt neun Sätzen umfasst. Dies ist mit Blick auf die Wesentlichkeitstheorie gerade bezogen auf das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen – die sozietätsweite Erstreckung des Verbots berührt die anwaltliche Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 I GG) erheblich –81 81 BT-Drs. 19/27670, 162. zwar sachgerecht, führt aber zwangsläufig zu einem weiteren Bedeutungsverlust der Satzungsversammlung.82 82 Vgl. insoweit bereits Deckenbrock, AnwBl. 2011, 705 f. Letztlich sind allein die RegeBRAK-MITTEILUNGEN 1/2022 AUFSÄTZE 14

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