BRAK-Mitteilungen 1/2022

Beim Zusammentreffen dieser hohen und im Grundsatz völlig unstreitigen Prinzipien (einerseits gerechter und gleichmäßiger Besteuerung, andererseits vertraulicher Mandatsführung) ergeben sich zwangsläufig Probleme: Darf (oder muss sogar) der Rechtsanwalt gegenüber der Finanzbehörde offenbaren, welche Mandanten er vertritt, was Gegenstand des Mandats ist, wann die Beratung erfolgt etc.? Das Gesetz selbst gibt Antwort: § 102 AO gewährt ein Auskunftsverweigerungsrecht für Berufsgeheimnisträger (darunter gem. Abs. 1 Nr. 3 b: Rechtsanwälte) „über das, was ihnen in dieser Eigenschaft anvertraut worden oder bekannt geworden ist“. Der Schutz wird in Abs. 2 auf Gehilfen und Auszubildende erweitert; er entfällt mit dem Wegfall der Verschwiegenheitspflicht durch Entbindung vom Berufsgeheimnis (Abs. 3). § 104 AO erweitert das Berufsprivileg (keine Pflicht des Geheimnisträgers zur Erstattung von Gutachten und Vorlage von Urkunden). Die Reichweite und die Ausgestaltung des Privilegs folgen sehr genau seiner (auch verfassungsrechtlichen) Rechtfertigung: Es gilt umfassend sowohl für die Mitwirkung des Rechtsanwalts in eigenen Steuerangelegenheiten als auch in Steuerverfahren Dritter (gleichgültig, ob diese Mandanten oder andere Personen sind). Es entfällt andererseits, sobald und soweit die geschützten Mandanten den Berufsträger von seiner Verschwiegenheitspflicht entbinden. (Wie allgemein beim Schutz des Mandatsgeheimnisses, z.B. auch im strafprozessualen Bereich, ist also nicht der Rechtsanwalt, sondern der Mandant „Herr des Geheimnisses“.) 2. VERWALTUNGSPRAXIS UND RECHTSPRECHUNG In der finanzbehördlichen und -gerichtlichen Praxis haben sich bei Anwendung der §§ 102, 104 AO immer wieder Versuchungen ergeben, den sachgerechten und weitreichenden Schutz des Berufsgeheimnisses im Besteuerungsverfahren zu unterlaufen, letztlich mit der (im Gesetz nicht gestützten) Behauptung, die Verweigerungsrechte dürften „allerdings nicht dazu führen, dass der Finanzverwaltung eine Überprüfung der steuerlichen Verhältnisse des Berufsträgers auf Vollständigkeit und Richtigkeit unmöglich wird“.1 1 So ausdrücklich Schreiben des Bayerischen Landesamtes für Steuern (BayLfSt) v. 28.3.20212 – S 0251. 1.1-2/1 St 42 zum Auskunftsverweigerungsrecht von Berufsgeheimnisträgern, Textziff. 2, letzter Absatz. Das Gegenteil ist richtig: Wenn die Verweigerungsrechte (letztlich: das Mandatsgeheimnis) Prüfmöglichkeiten des Finanzamts einschränken oder ganz verhindern, dann ist das Folge des Gesetzes und (auch) durch die Finanzbehörde hinzunehmen. Es versteht sich von selbst, dass die Beschränkung nur in dem Umfang erfolgt, in dem sie zum Schutz des Mandanten nötig ist. Unproblematisch lassen sich einige Bereiche abgrenzen, in denen eine Verletzung von Mandatsgeheimnissen (normalerweise) nicht droht, deshalb nach den allgemeinen Regeln des Steuerverfahrens vorgegangen werden kann. Dazu gehören z.B.: – die Vorlage von Unterlagen ohne Zusammenhang mit der Anwaltstätigkeit (Zinseinkünfte, Vermietung/ Verpachtung etc.), – Eingangsrechnungen und Personalbuchhaltung, – mandatsbezogene Unterlagen, bei denen eine Entbindung von der Schweigepflicht vorliegt.2 2 Beispiele nach Schreiben BayLfSt, Textziff. 2 I-III. Ebenfalls plausibel ist die an den steuerpflichtigen Rechtsanwalt gerichtete Forderung, im Rahmen des Zumutbaren alles zu unternehmen, um (trotz Mandatsgeheimnis und daraus folgenden Verweigerungsrechten, bei richtiger Betrachtung: Verweigerungspflichten) den Finanzbehörden die zutreffende Besteuerung, insbesondere Ermittlung und Prüfung der Besteuerungsgrundlagen zu ermöglichen.3 3 Beispielhaft für die Abgrenzung von eigenem Vermögen und mandatsbezogenem Treuhandvermögen BFH, Beschl. v. 23.2.2011 – VIII B 126/10 sowie Urt. v. 27.9. 2006 – IV R 45/04. Problematisch – und extrem praxisrelevant – sind jedoch zwei Bereiche: a) MANDATSBEZOGENE INFORMATIONEN IN DER BUCHHALTUNG In welchem Umfang ist es Rechtsanwälten (ebenso: anderen Berufsgeheimnisträgern) zumutbar (und dies meint synonym: realistischerweise überhaupt möglich) ihre Buchhaltung so zu organisieren, dass mandatsbezogene Informationen separiert bleiben? Seit Jahren ist das Verlangen nach maschineller Auswertung und Prüfung steuerrelevanter Daten von Seiten der Finanzverwaltung (und auch des Gesetzgebers) ein stetiger (sich permanent verstärkender) Trend. War die Abgrenzung mandatsbezogener (im Steuerverfahren nicht offenzulegender) Informationen bei Einzelbelegen noch praktikabel, z.B. durch Nutzung teilgeschwärzter Dokumentenkopien umsetzbar (allerdings bei sehr großen Belegzahlen bereits mit erheblichem Aufwand verbunden), so ist die Bereitstellung der Buchhaltungsdaten in maschinell lesbarer Form (z.B. Buchhaltung einer Rechtsanwaltskanzlei für ein Kalenderjahr oder – betriebsprüfungs-typisch – mehrere Kalenderjahre) unter Anonymisierung der mandatsbezogenen Informationen praktisch unmöglich, weil schlicht geeignete Software bisher nicht existiert.4 4 Allerdings behauptet Schaumburg, DStR 2002, 828, 836, bereits seinerzeit seien am Markt „Zugriffsschutz-Softwareprogramme“ verfügbar gewesen, die eine entsprechende Trennung gewährleistet hätten, ohne allerdings konkrete Produkte zu benennen. Im Tatbestand eines finanzgerichtlichen Urteils aus dem Jahr 20095 5 FG Nürnberg, Urt. v. 30.7.2009 – 6 K 1286/08, betreffend einen Steuerberater und Wirtschaftsprüfer. wird eine Auskunft des marktbeherrschenden Anbieters (DATEV eG) wiedergegeben, die auch heute noch zutrifft: Die Software ermögliche keine WAGNER, STEUERLICHE OFFENLEGUNGSPFLICHTEN DES ANWALTS BRAK-MITTEILUNGEN 1/2022 AUFSÄTZE 16

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