und weitreichender der Gesetzgeber das Steuergeheimnis für alle möglichen Zwecke durchlöchert. bb) ARGUMENTATION DES BFH Die Finanzbehörde weigerte sich, die Beträge (anteilig) als Betriebsausgaben anzuerkennen, weil Anlass und Teilnehmer der Bewirtung nicht geprüft werden könnten. Der BFH akzeptierte dies mit zwei – nicht überzeugenden – Argumenten: (1) Zum einen müsse „derjenige, der sich von einem Rechtsanwalt im Zusammenhang mit einem Mandatsverhältnis zum Essen einladen lässt, ... sozialadäquat damit rechnen, dass die Bewirtungsaufwendungen als Betriebsausgaben geltend gemacht und die zu diesem Zweck steuerlich erforderlichen Formalien eingehalten werden. Wenn der Mandant gleichwohl eine Einladung“ annehme, willige „er damit konkludent in die Offenbarung gegenüber den Finanzbehörden ein.“ Diese (eindeutige) Fiktion einer Einwilligung wirkt ergebnisorientiert und lebensfremd: Vielen Mandanten sind nicht einmal die zum Zwecke steuerlicher Geltendmachung von Bewirtungskosten „erforderlichen Formalien“ bekannt. Außerdem besteht kein allgemeiner Erfahrungssatz dahingehend, dass Personen, die zum Essen einladen, die entstehenden Bewirtungskosten anschließend steuerlich geltend machen. Darüber hinaus beinhaltet das Argument einen geradezu schulmäßigen „Zirkelschluss“: Strittig war ja gerade, welche Formalien für die steuerliche Geltendmachung von Bewirtungskosten bei Rechtsanwälten einzuhalten sind. Eine stillschweigende und „sozialadäquate“ Einwilligung eingeladener Mandanten käme also allenfalls in Betracht, wenn die Mandanten vor der Einladung die Entscheidung des BFH gekannt hätten. (2) Zum zweiten sei die Offenlegung der Daten durch Rechtsanwälte notwendig zur „Missbrauchsabwehr und Eingrenzung des Spesenunwesens“ und gesetzliche Regelungen zur Außenprüfung würden sinnentleert, wenn Rechtsanwälte „Einsicht nicht nur in die Akten, sondern z.B. auch in alle Honorarrechnungen verweigern ... könnten“. Damit ist die Reichweite der Verweigerungsmöglichkeiten bewusst falsch dargestellt: Die Einsicht in Honorarrechnungen war und wird nie vollständig gesperrt. Bei Wahrung des Mandatsgeheimnisses z.B. mittels Schwärzung von Name und Anschrift des Mandanten kann die Rechnung von Finanzbeamten eingesehen und – unproblematisch anhand der Rechnungsnummer – mit der Buchhaltung abgeglichen werden. Die vom BFH behaupteten „sinnlosen“ oder unerträglichen Zustände ergeben sich aus den gesetzlichen Regeln also nicht. Außerdem ist ganz grundsätzlich zu verlangen, dass die vom Gesetzgeber – eindeutig im Bewusstsein vorhandenen Missbrauchspotenzials – in Abwägung zwischen Mandatsgeheimnis und Besteuerungsinteressen getroffene Regelung auch dann angewendet wird, wenn sich aus ihr im Einzelfall ein Missbrauchsrisiko folgt (nämlich die Gefahr, steuerrelevante Sachverhalte nicht vollständig prüfen zu können). Zu Recht hat der Gesetzgeber die Einschränkung der Mitwirkungspflichten für Berufsverschwiegene im Steuerverfahren nicht unter den Vorbehalt gestellt, sie sei nur soweit anwendbar, wie sich aus ihnen keine Nachteile für die Besteuerung ergeben. Diese gesetzgeberische Entscheidung ist sowohl von der Verwaltung als auch von der Rechtsprechung umzusetzen. Dazu gehört auch, dass steuerpflichtige Berufsgeheimnisträger durch Verwaltung und Rechtsprechung nicht abstrakt auf angeblich vorhandene, konkret aber nicht mitgeteilte Möglichkeiten verwiesen werden, mit denen trotz Berufsverschwiegenheit die steuerlichen Pflichten vollständig erfüllt werden könnten: Der BFH statuiert,13 13 BFH, Urt. v. 26.2.2004 – IV R 50/01 Rn. 7. es müsse „etwa bei einer Besprechung im Zusammenhang mit einer Steuerhinterziehung nicht diese selbst als Anlass“ der anwaltlichen Bewirtung „angegeben werden. Es reicht auch eine weniger konkrete Angabe aus, sofern sie nur die Nachprüfung des betrieblichen Anlasses für die Bewirtung ermöglicht“. Bleibt die leider unbeantwortete Frage: Wie soll dies konkret aussehen? II. NEUE ENTWICKLUNGEN: DER RECHTSANWALT ALS BERICHTERSTATTER AN DIE FINANZBEHÖRDE Zunächst auf EU-Ebene, nachfolgend dann im nationalen Rahmen hat der Gesetzgeber die steuerlichen Offenlegungspflichten von Rechtsanwälten erweitert (!) in einem noch vor wenigen Jahren völlig undenkbaren Bereich, nämlich ausgerechnet für die Inhalte mandatsbezogener Beratung selbst. Sogar in der Fachöffentlichkeit wurden diese Vorgänge leider recht spät und relativ leise diskutiert, in ihrer vollen Tragweite wohl von Anwälten und (ebenfalls betroffenen) Steuerberatern noch nicht verinnerlicht: Durch §§ 138d ff. AO hat der Gesetzgeber (auch) die Anwaltschaft verpflichtet, bei Beratung zu grenzüberschreitenden – wohl gemerkt: rechtmäßigen! – Steuergestaltungen den Mandanten und den Beratungsinhalt der Finanzbehörde unaufgefordert mitzuteilen.14 14 Zu Einzelheiten ausführlich u.a. Sparfeld, Mitteilungspflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltungen, BRAK-Mitt. 2020, 11 ff., dort auch mit Kritik am Gesetzgeber, 17 f. 1. GESETZLICHE REGELUNG Die mandatsbezogene Meldepflicht hat ihren Ausgangspunkt in der Richtlinie 2011/16/EU zum „verpflichtenden automatischen Informationsaustausch im Bereich der Besteuerung über meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltungen“, geändert durch Richtlinie (EU) 218/822 und mit dem Kürzel „DAC 6“ bezeichnet. Der rechtspolitische Hintergrund liegt im – nicht neuen – Bestreben des Gesetzgebers, legale „Steuerschlupflöcher“ zu schließen. Hierzu verfolgt DAC 6 die BRAK-MITTEILUNGEN 1/2022 AUFSÄTZE 18
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